I. Allgemeines und Rechtsquellen
Das Strafverfahren im Sinne eines Völkerstrafverfahrens stellt einen hybriden Prozess dar. Dies liegt in erster Linie daran, dass sowohl Einflüsse des kontinentaleuropäischen Rechtsraumes und des angloamerikanischen Rechtsraumes den Völkerstrafprozess prägen. Namentlich also eine Mischung aus dem angloamerikanischen Parteiverfahren und dem kontinentaleuropäischen inquisitorischen Verfahren (Offizialverfahren).
Die grundlegenden Artikel für das völkerstrafrechtliche Prozessrecht sind die Art. 34 ff. IStGHSt. Ergänzt werden die dort getroffenen Regelungen durch die sogenannten Rules of Procedure and Evidence, also den Prozess- und Beweisregelungen.
II. Die Organe des IStGHSt
Gemäß Art. 34 IStGHSt besteht der Internationale Strafgerichtshof aus vier einzelnen Organen.
- Die Richter, die die Verfahren leiten bilden zusammen das sogenannte Präsidium und bilden das erste Organ des IStGH (Art. 35 IStGHSt).
- Die sogenannten Kammern, also die Spruchkörper, aus denen die Vorverfahrens-, Hauptverfahrens- und Berufungsverfahrensabteilungen bestehen, bilden das zweite Organ (Art. 39 IStGHSt).
- Drittes und bekanntestes Organ ist die Anklagebehörde mit ihrem Chefankläger (Prosecutor) (Art. 42 IStGHSt).
- Als viertes und letztes Organ fungiert die sogenannte Kanzlei des Gerichtshofs. Sie ist nicht mit Rechtsprechungsaufgaben betreut und führt lediglich Verwaltungsaufgaben aus (Art. 43 IStGHSt).
III. Zuständigkeit des IStGH
Fraglich und nicht unumstritten ist bereits der Zuständigkeitsbereich des IStGH. Jedenfalls Voraussetzung ist die Begehung einer der vier in Art. 5 IStGHSt Kernverbrechen (ratione materiae).
Anders als beispielsweise das deutsche Strafrecht, nimmt das internationale Strafrecht jugendliche Täter vollkommen aus der Strafverfolgung aus. Voraussetzung allein schon für die Zuständigkeit des IStGH ist gemäß Art. 25 IStGHSt die Volljährigkeit des Täters (ratione personae).
Wenn der fragliche Täter volljährig ist, muss er die Tat aber nach Inkrafttreten des Rom-Statuts begangen haben um der Gerichtsbarkeit des IStGH zu unterliegen (ratione temporis).
Weiterhin ist notwendig, dass die Tat auf dem Boden eines Vertragsstaates geschehen ist. Dabei spielt es also keine Rolle, ob der Täter auch Bürger eines Vertragsstaates ist, sondern lediglich der Ort der Begehung. Andersherum kann sich der Bürger eines Vertragsstaates der Gerichtsbarkeit nicht entziehen, wenn er die Tat auf dem Boden eines Nicht-Vertragsstaates begeht.
Mögliche ist eine Verfolgung auch, wenn sich ein Staat freiwillig der Gerichtsbarkeit des IStGH unterstellt, auch ohne Vertragsstaat des Rom-Statuts zu sein.
Einen Sonderfall bildet das Tätig werden des IStGH auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Dann ist er schon allein aufgrund der UN-Satzung für die Verfolgung der Tat zuständig.
IV. Wann wird der IStGH tätig?
Der IStGH ist keine Einrichtung, die von allein tätig wird, was auch rein organisatorisch kaum zu bewerkstelligen wäre. Deswegen bedarf es Auslösungsmechanismen, die ein Verfahren beim IStGH in Gange setzen. Insgesamt gibt es drei Auslösungsmechanismen.
1. Staatenbeschwerde
Bei der Staatenbeschwerde bittet ein Vertragsstaat den IStGH gemäß Art. 14 IStGHSt um die Untersuchung von Vorgängen in einem anderen Vertragsstaat. Dies kann auch in der Form geschehen, dass der IStGH darum gebeten wird Ereignisse im eigenen Staat zu untersuchen (sog. self-referrals).
2. Auf Beschluss des Sicherheitsrates der UN
Wie oben bereits angedeutet kann der IStGH auch von den Vereinten Nationen zu Untersuchungen durch Beschluss des Sicherheitsrates angeleitet werden. So können auch Situationen in die Zuständigkeit des IStGH verlagert werden, in denen kein Vertragsstaat involviert ist.
3. Aus eigenem Antrieb der Anklagebehörde
Letztlich kann auch die Anklagebehörde den IStGH aus eigenem Antrieb (proprio motu) zu Ermittlungen anhalten (Art. 13 c IStGHSt).
V. Grundsatz der Komplementarität
Der IStGH ist grundsätzlich nur komplementär zuständig zu den nationalen Gerichten der Vertragsstaaten. Erst wenn ein Staat nach dem Wortlaut von Art. 17 I a IStGHSt nicht willens oder nicht in der Lage ist, Ermittlungen selbst aufzunehmen, kann der IStGH das Verfahren an sich ziehen.
VI. Der Gang des Verfahrens
1. Ermittlungsverfahren
Bevor ein Fall auf dem Tisch des Gerichts landet, prüft die Anklagebehörde im Ermittlungsverfahren, ob überhaupt eine sogenannte „Situation“ vorliegt, also eine hinreichende Grundlage für eine Ermittlungstätigkeit. Beispielsweise einen Haftbefehl kann die Ermittlungsbehörde dabei aber nicht alleine ausstellen, sondern dieser muss durch die Vorverfahrenskammer angeordnet werden. Andere Maßnahmen ohne Zwangscharakter, also „normale“ Ermittlungstätigkeit, kann die Anklagebehörde auch selbst vornehmen.
2. Zwischenverfahren
Sieht die Anklagebehörde eine „Situation“ als gegeben an, entscheidet die Vorverfahrenskammer (ACHTUNG: anders als in Deutschland!) und nicht die Kammer des Hauptverfahrens über die Zulassung der Anklage. Nach Zulassung der Anklage, wird der nunmehr Angeklagte einer Hauptverfahrenskammer zugewiesen.
3. Hauptverfahren
Im Hauptverfahren hat sich das kontinentaleuropäische inquisitorische Verfahren durchgesetzt. Das heißt, der Richter entscheidet nicht bloß nach der besseren Argumentation einer der beiden Seiten, sondern wird selbst (also inquisitorisch) wahrheitsfindend tätig. Dabei sind alle Verhandlungen vor dem IStGH öffentlich.
4. Rechtsmittel
Hat die Hauptverfahrenskammer eine Entscheidung getroffen, kann diese mit dem Rechtsmittel des „appeals“, also der Berufung gemäß Art. 81 ff. IStGHSt angefochten werden. Dabei können vor allem Verfahrensfehler, fehlerhafte Tatsachenfeststellungen oder fehlerhafte Rechtsanwendungen geltend gemacht werden.
5. Strafe, Strafvollstreckung, Verjährung und Rechtskraft
Eine Besonderheit des IStGHSt ist, dass die dort befindlichen Straftatbestände keinerlei Strafrahmenregelungen enthalten. Vielmehr legt Art. 77 IStGHSt einen allgemein gültigen Strafrahmen fest. Dieser umfasst eine zeitige Freiheitsstrafe von bis zu höchstens dreißig Jahren oder die lebenslange Freiheitsstrafe.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen vollzieht sich in denjenigen Vertragsstaaten, die sich zur Vollstreckung bereiterklären unter Aufsicht des IStGH.
Völkerrechtsverbrechen verjähren grundsätzlich nie (Art. 29 IStGHSt). Der Grundsatz „ne bis in idem“, den wir auch aus dem deutschen Strafprozess kennen, gilt unter der Maßgabe des Art. 20 IStGHSt uneingeschränkt.
VI. Prüfungsschema Zulässigkeit
A. Zuständigkeit materiell: Vorliegen eines Verbrechens nach dem IStGHSt
B. Zuständigkeit personell: kein Jugendlicher Täter, sprich über 18 Jahre alt
C. Zuständigkeit zeitlich: Fragliche Tat nach dem Inkrafttreten des IStGHSt
D. Zuständigkeit formell:
I. Tatort liegt in Vertragsstaat
II. Täter gehört Vertragsstaat an
III. Anerkennung des IStGH durch Nicht-Vertragsstaat
E. Ausübung der Gerichtsbarkeit durch:
I. Vorlage durch Vertragsstaat
II. Vorlage aufgrund UN-Resolution
III. Vorlage durch Anklagebehörde
F. Komplementarität:
I. Fehlender Wille des Staates zur Verfolgung durch eigentlich zuständigen Staat
II. Fehlende Fähigkeit des Staates zur Verfolgung durch eigentlich zuständigen Staat