I. Die Rechtsquellen
Auch wenn ein AT, vergleichbar dem im deutschen Recht, im Völkerstrafrecht nicht existiert, gibt es durchaus Regelungen, die allgemeinen Charakter haben. Für die Strafverfahren vor dem IStGH sind in den Art. 22 ff. IStGHSt (Statut des Internationalen Strafgerichtshof) allgemeine Grundsätze des Völkerstrafrechts niedergeschrieben.
Ergänzt werden diese Grundsätze durch die sogenannten „Elements of Crimes“. Dieser Komplex von Regelungen beruht in seiner Entstehung noch maßgeblich auf den Grundsätzen, die der Internationale Militärgerichtshof seinerzeit 1945 aufgestellt hat. In Teilen haben die ad-hoc-Tribunale in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien dann konkretisiert oder weiterentwickelt, was dem etwas wirren Charakter des Allgemeinen Völkerstrafrechts weiter zugetragen hat.
II. Allgemeine Regelung für das deutsche Völkerstrafgesetzbuch
Der deutsche Staat hat ein eigenes Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) geschaffen, das über keinen eigenen Allgemeinen Teil verfügt. Vielmehr hat es sich der Gesetzgeber insofern einfach gemacht, dass er durch die sogenannten „Umschaltnorm“ des § 2 VStGB eine zentrale Verweisungsnorm geschaffen hat, die den Allgemeinen Teil des StGB anwendbar auch für Fragen des VStGB macht. Ausgenommen sind lediglich einige Sonderregelungen, die das VStGB beinhaltet.
Beachtet werden muss, dass alle Regelungen des Allgemeinen Teils, die aus dem StGB auf das VStGB übertragen werden, immer eine völkerrechtsfreundliche Auslegung auch der StGB-Regeln erfolgen muss. Das heißt, dass bei der Auslegung der Normen nicht die deutsche Judikatur oder Schrifttum zugrunde gelegt werden dürfen, sondern die Auslegung des IStGH, zusammen mit dem Völkergewohnheitsrechts entscheidend ist.
IV. Der Verbrechensaufbau im Völkerstrafrecht
Für deutsche Studierende sicher am gewöhnungsbedürftigsten ist der Verbrechensaufbau des Völkerstrafrechts, der sich nicht an dem in der deutschen Juristenausbildung üblichen Schema, sondern am zweigliedrigen Aufbauschema des „common-law“-Raumes orientiert.
Als erste Voraussetzung muss eine sogenannte „offence“ vorliegen. Das ist das Vorliegen aller objektiven Umstände der Tat, sogenannter „actus reus“ (ansatzweise vergleichbar mit dem Objektiven Tatbestand). Hinzutreten muss das subjektive Moment, sogenannte „mens rea“ (wiederum vergleichbar mit dem Subjektiven Tatbestand). „Actus reus“ und „mens rea“ bilden zusammen dann die „offence“.
Das zweite Glied sind die „defences“ (vergleichbar mit Ausschlussgründen). Hier kommen beispielsweise Notwehr oder verfahrensrechtliche Hindernisse in Betracht.
V. Äußere und innere Tatseite
Ein Verbrechen des Völkerstrafrechts lässt sich grundsätzlich unterteilen in eine äußere und eine innere Tatseite. Die äußere Tatseite („material elements“) hat dabei das Verhalten, oder „conduct“, zum Gegenstand. Beim Erfolgsdelikt ist dies beispielsweise der Eintritt einer bestimmten Folge. Zur äußeren Tatseite gehört dabei auch der Kausalzusammenhang („consequence“) zwischen der Handlung und dem jeweiligen Erfolg. Falls notwendig, müssen auch die erforderlichen Begleitumstände („circumstances“) gegeben gewesen sein.
Die innere Tatseite ist die subjektive Tatseite („mental elements“). Nach ganz einhelliger Meinung ist die entsprechende Norm des Art. 30 IStGHSt nicht besonders gut gelungen, weil schwer verständlich.
Grundsätzlich muss der Täter demnach mit Wissen und Wollen („intent and knowledge“) gehandelt haben. Bei der amtlichen deutschsprachigen Fassung steht bei diesem Artikel „vorsätzlich und wissentlich“, was in der Hinsicht eine unglückliche Formulierung ist, dass Vorsatz im deutschen Recht Wissen voraussetzt.
Die Norm nimmt in Absatz 2 eine Präzisierung in der Weise vor, dass das Verhalten des Täters von dessen Willen getragen werden muss, was letztendlich auf einen dolus directus hinausläuft.
Bezüglich des Erfolges der Tat kann es genügen, wenn Absicht oder Wissen des Täters vorgelegen haben. Um die vorliegenden Begleitumstände muss der Täter lediglich gewusst haben.
Auch wenn der Wortlaut dies nicht unbedingt nahelegt, genügt nach der ganz herrschenden Meinung auch das Vorliegen eines dolus eventualis.
VI. Arten der Beteiligung
Ähnlich zu den nationalen Rechtsordnungen gibt es auch im Völkerstrafrecht unterschiedliche Formen der Beteiligung an Straftaten, die im Wesentlichen den nationalen Vorschriften ähneln.
1. Täterschaft
Die Täterschaft ist in Art. 25 Abs. 3 lit. a IStGHSt geregelt. Sehr ähnlich dem deutschen Strafrecht wird dabei unterschieden zwischen Alleintäterschaft, Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft.
Im Völkerstrafrecht vor allem auch relevant ist das Konstrukt der Organisationsherrschaft als Unterfall der mittelbaren Täterschaft. Da es sich dabei um eine auch von nationalen Gerichten adaptierte Konstruktion des deutschen Strafrechtslehrers Claus Roxin handelt, kann ein deutscher Einfluss auf diese Regelungen und deren Auslegung nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Der IStGH hat in seinen Entscheidungen bei allen Arten der Täterschaft Tatherrschaft verlangt.
2. Veranlassung und Unterstützung
Ein Täter veranlasst im Sinne des Art. 25 Abs. 2 lit b IStGHSt eine Straftat, wenn er in einem hierarchischen Verhältnis die Anordnung zu einem Völkerrechtsverbrechen gibt oder dazu anstiftet oder auffordert. Die Veranlassung ist, genau wie im deutschen Recht, streng akzessorisch, das heißt, dass eine Haupttat mit voll verantwortlichem Täter bestehen muss.
Die Unterstützung eines Völkerrechtsverbrechens umfasst Beihilfe und alle anderen denkbaren Formen der Unterstützung. Die Handlung muss aber immer einen substanziellen Effekt auf die Begehung der Haupttat haben.
3. Beitrag bei einem Gruppenverbrechen
Der Beitrag zu einem Gruppenverbrechen stellt die schwächste Form der Beteiligung dar. Hier genügt jeder denkbare kleine Beitrag, wenn eine Gruppe von mindestens drei Personen ein Völkerrechtsverbrechen begangen hat.
4. Die Vorgesetztenverantwortlichkeit
Ein elementar wichtiges Thema für das Völkerstrafrecht ist die Bestrafung von Vorgesetzten als Täter. Rechtsdogmatisch schwierig, handelt es sich dabei aber letztendlich ja genau um die Gruppe von Tätern, die man unbedingt bestrafen möchte, weil es sich bei ihnen um die Hintermänner der Verbrechen handelt.
Art. 28 IStGHSt enthält dabei eine besondere Regelung, die die Verantwortlichkeit von Vorgesetzten betrifft.
Die Vorschrift setzt voraus, dass zwischen dem Vorgesetzten und den Untergebenen ein Über-Unterordnungs-Verhältnis bestanden haben muss. Weiterhin muss der Vorgesetzte von den Völkerrechtsverbrechen seiner Untergebenen gewusst haben oder hätte diese zumindest kennen müssen („willfull blindness“) und präventive oder repressive Maßnahmen pflichtwidrig unterlassen haben.
VI. Vorbereitung und Versuch
Art. 25 Abs. 3 f IStGHSt stellt jeden Versuch eines Verbrechens unter Strafe. Die Planung und Vorbereitung hingegen ist nicht strafbar. Ähnlich dem deutschen Strafrecht enthält der Artikel auch eine Rücktrittsregelung, die es möglich macht vom Versuch eines Völkerrechtsverbrechens strafbefreiend zurückzutreten.
VII. Unterlassen
Das IStGHSt enthält keine allgemeine Regelung zum Unterlassen. Manche Tatbestände ziehen das Unterlassen mit ein, sodass eine unmittelbare Bestrafung wegen Unterlassens möglich ist. Die Rechtsprechung geht aber auch in allen anderen Fällen des Unterlassens davon aus, dass eine Bestrafung erfolgen kann, wenn der Täter eine Pflicht zum Handeln gehabt hätte.
IIV. Strafausschließungsgründe (Art. 31 IStGHSt)
Der Artikel zu den Straffreistellungsgründen unterscheidet, anders als im deutschen Recht, nicht zwischen rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen. Der Artikel regelt einheitlich alle in Frage kommenden Gründe.
1. Notwehr und Notstand
Bezüglich der Notwehr kann fast ausschließlich auf die deutsche Regelung verwiesen werden, Besonderheiten ergeben sich insoweit nicht. Beim Notstand hingegen ist die Besonderheit zu beachten, dass immer eine Gefahr für Leib und Leben vorgelegen haben muss. Anders als im deutschen Recht, reicht also eine Gefahr für etwaige andere Rechtsgüter zur Begründung der Notstandslage nicht aus.
2. Handeln auf Befehl (Art. 33 Abs. 1 IStGHSt)
Grundsätzlich kann ein Handeln auf Befehl nur dann von der Strafe befreien, wenn der Täter eine Pflicht zum Handeln hatte, die Rechtswidrigkeit des Befehls nicht kannte und diese auch nicht erkennen konnte.
Nicht möglich ist eine Berufung auf einen Befehl aber schlechterdings nicht beim Vorliegen von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu Lasten des Täters wird hier davon ausgegangen, dass der Befehl zu einer solchen Tat immer offensichtlich rechtswidrig ist und auch als rechtswidrig zu erkennen ist.
3. Schuldunfähigkeit (Art. 31 a IStGHSt)
Eine Beeinträchtigung, die zur Schuldunfähigkeit des Täters führen kann, wird nur dann anerkannt, wenn diese die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters mindert. Die in Deutschland nur gewohnheitsrechtlich anerkannte actio libera in causa, ist im Völkerstrafrecht ausdrücklich normiert.
4. Irrtümer
Das IStGHSt unterscheidet zwischen Tat-und Rechtsirrtum, was in etwa dem Tatbestands- und dem Verbotsirrtum im deutschen Recht entspricht. Völlig gleich kann man sie gleichwohl nicht setzen. So hilft die Unkenntnis der rechtlichen Verbotsnorm dem Täter im Völkerstrafrecht nicht weiter, weil sie stets unbeachtlich ist.
5. Immunität und Verjährung
Ein entscheidender Unterschied zu nationalen Gerichtsverfahren ist, dass die Immunität von Staaten und ihren Amtsträgern vor dem IStGH, sowohl für hoheitliche, als auch für private Handlungen, unbeachtlich ist.
Außerdem verjähren Völkerrechtsverbrechen gemäß Art. 29 IStGHSt nie.