I. Allgemeines zur Streitverkündung
Die Hauptpartei eines Prozesses kann durch die Streitverkündung, eine an eine bestimmte Form gebundene Mitteilung (förmliche Zustellung) an einen Dritten, erreichen, dass der Dritte Beteiligter des Prozesses wird.
Die Streitverkündung ist in den §§ 72 bis 74 ZPO geregelt. Das Interesse der Hauptpartei daran, dass der Dritte Beteiligter des Prozesses und sein Streithelfer wird, kann vielfältig sein.
Einerseits ist der Dritte oft des Sachverhalts besser kundig und zum anderen tritt zu Gunsten der Hauptpartei die Interventionswirkung im Falle des Prozessverlustes ein, welche darin besteht, dass sich die tatsächlichen Fragestellungen und rechtlichen Beurteilungen im laufenden Prozess bindend auf den Dritten im Folgeprozess erstrecken (§§ 74 III, 68 ZPO).
Die Streitverkündung bezweckt demnach überwiegend, neben materiellrechtlichen Folgen (z.B. Verjährungshemmung gem. § 204 I Nr. 6 BGB), die Herbeiführung der Interventionswirkung gem. §§ 74 III, 68 ZPO. Gemeint ist, dass die tragenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Beurteilungen im laufenden Prozess – dem sog. Vorprozess – bindend auf den Dritten im Folgeprozess erstrecken!
Der Dritte kann sich entscheiden, ob er der Hauptpartei als Nebenintervenient beitreten will oder nicht. Tritt er bei, kommt es zur Nebenintervention und der Interventionswirkung (§§ 74 I ZPO, 68 ZPO). Tritt der Dritte nicht ein, kommt es jedoch auch zu der Interventionswirkung. Diese Wirkung herbeizuführen ist das hauptsächliche Ziel der Streitverkündung. Eine Entscheidungsdivergenz wird dadurch vermieden.
II. Verhältnis zum Dritten bei der Streitverkündung
Laut § 72 I ZPO:
(1) Eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden.
kann eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden.
Diese Formulierung weicht deutlich von § 66 ZPO, der Nebenintervention, ab. Dennoch kann die Hauptpartei grundsätzlich einem nach § 66 ZPO Beitrittsberechtigten den Streit verkünden. Ab Beitritt gelten die Vorschriften der Nebenintervention entsprechen, § 74 I ZPO.
III. Haupt- und Folgeprozess bei der Streitverkündung
Die Streitverkündung beeinflusst den Hauptprozess, abgesehen von der Zustellung der Streitverkündungsschrift und deren Erwähnung im Urteil, nicht. Der Streitverkündungsempfänger wird kein Prozessbeteiligter, ihm können auch keine Kosten auferlegt werden.
Im Erstprozess erfolgt die Streitverkündung durch Schriftsatz, der dem Dritten von Amts wegen durch das Gericht zuzustellen ist (§ 73 ZPO). Nicht geprüft wird, ob die Voraussetzungen des § 72 ZPO vorliegen.
Mit der Zustellung tritt eine materiell-rechtliche Hemmung der Verjährung ein (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Bezüglich des Handelsrechts werden durch die Zustellung die Gewährleistungsrechte gemäß § 414 Abs. 3, § 423, § 439 HGB gewahrt.
Gemäß § 74 ZPO äußert die Streitverkündung im Folgeprozess Interventionswirkung. Im Falle der Streitverkündung greift die Interventionswirkung nach herrschender Meinung nur zugunsten des Streitverkünders, nicht zu seinen Lasten (BGHZ 100, 257, 260). Im Folgeprozess muss freilich auch geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Streitverkündungswirkung nach § 72 f. ZPO vorliegen.
IV. Übersicht Streitverkündung und Nebenintervention
Streitverkündung | Nebenintervention | |
Zweck | Benachrichtigung eines Dritten von einem anhängigen RechtsstreitStreitverkündender Dritter kann beitretenBindung des Dritten an Prozessergebnisse ohne Rücksicht auf den Beitritt | Beteiligung eines Dritten am Rechtsstreit bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses des Dritten |
Voraussetzungen | § 72 ZPO:Anhängiger RechtsstreitStreitverkünder glaubt, im Falle des Prozessverlusts einen Regressanspruch zu haben oder befürchtet einen solchen | § 66 ZPO:Anhängiger RechtsstreitRechtliches Interesse am Sieg der Hauptpartei |
Wirkungen | Mit Beitritt Nebenintervenient (§ 74 I ZPO)Interventionswirkung ohne Rücksicht auf Beitritt (§§ 74 III, 68 ZPO) | § 67 ZPO: Beteiligung im anhängigen Rechtsstreit§ 68 ZPO: Interventionswirkung im Folgeprozess |
V. Streitverkündung im Urteil
Besonders im zweiten Staatsexamen gewinnt die Streitverkündung an Relevanz. Die Streitverkündung hat für den aktuell laufenden Prozess, in dem sie erklärt wird jedoch zunächst keinerlei prozessuale oder materiellrechtliche Auswirkungen. Demnach wird sie auch nicht im Tenor erwähnt, dem Dritten nichts zu- oder aberkannt. Im Tatbestand wird sie nicht erwähnt, weil der Vortrag keine Partei betrifft.
Liegt ein Beitritt vor, ist die Streitverkündung überholt und es gelten dann die Regeln zur Nebenintervention. Das bedeutet:
- Der Nebenintervenienten ist in der Kostentscheidung zu berücksichtigen (§ 101 ZPO) und demnach im Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit.
- Er kann selbstständig Anträge stellen und eigenen Parteivortrag bringen. Dies ist im Tatbestand zu berichten.
VI. Kosten und Gebühren bei der Streitverkündung
Gerichtskosten werden durch die Streitverkündung nur in Form von Zustellgebühren verursacht. Diese hat der Streitverkünder zu tragen. Sie gehören nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, § 91 ZPO. Ferner entstehen keinerlei zusätzliche Rechtsanwaltsgebühren, da die Streitverkündung (§§ 72ff. ZPO) mit der Verfahrensgebühr abgegolten ist.
Weiterhin ist zu beachten, dass für den Streitverkündungsempfänger keine Kosten entstehen, solange er dem Rechtsstreit nicht beitritt. Nach Beitritt gilt § 101 ZPO.
Quelle
- Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht, 14. Auflage, München 2014.