I. Begriff Rechtspsychologie
Der Begriff Rechtspsychologie ist kein wissenschaftlich einheitlich verwendeter Terminus. Viele Forscher*innen haben sich im Laufe der Jahre an einer Definition versucht, von denen sich aber letztlich keine einheitlich und flächendeckend durchsetzen konnte.
Beispielshaft sollen hier drei Definitionen angeführt werden:
Nach Gudjonsson und Haward (1998) soll Rechtspsychologie der Zweig der angewandten Psychologie sein, der sich mit der Sammlung, Untersuchung und Präsentation von Evidenz für rechtliche Zwecke beschäftigt.
Blackburn bezeichnete Rechtspsychologie 1996 als die Bereitstellung psychologischer Informationen zur Erleichterung einer juristischen Entscheidung.
Eine sehr weite Definition verwendete Wrightsman 2001. Er beschrieb Rechtspsychologie als jede Anwendung psychologischen Wissens oder psychologischer Methoden zur Lösung von Aufgaben des Rechtssystems.
So sehr sich diese Definitionen im Einzelnen unterscheiden, bleibt doch festzustellen, dass ein gewisser Konsens zwischen den Versuchen besteht und sich Uneinigkeit nur in Details verliert.
Deswegen scheint im Ergebnis weniger die Anwendung eines starren Begriffs zielführend zu sein, als vielmehr eine Darstellung, was Rechtspsychologie im realen Leben alles leisten kann.
II. Tätigkeitsfelder der Rechtspsychologie
Grob lassen sich zwei Tätigkeitsfelder der Rechtspsychologie unterscheiden. Und zwar die forensische Psychologie (auch Gerichtspsychologie), sowie die Kriminalpsychologie.
1. forensische Psychologie
Bei der forensischen Psychologie geht es für Gutachter*innen in erster Linie darum, Begutachtungen im Wege der Rechtsfindung (vor allem im Strafrecht) durchzuführen. Dazu können beispielsweise Glaubhaftigkeitsbegutachtungen zählen.
Außerhalb des Strafrechts kommen solche Gutachter*innen auch gehäuft im Bereich von Familien- und/oder Sorgerechtsstreitigkeiten vor. Dabei sollen sie dem Gericht helfen, eine Entscheidung im Sinne des Kindeswohls treffen zu können.
Ein dritter häufig vorkommender Bereich sind verkehrspsychologische Begutachtungen, insbesondere bei Verkehrsunfällen, deren Verhandlungen häufig erst sehr spät nach den eigentlichen Geschehnissen stattfinden und die Erinnerungen sehr getrübt sein können.
2. Kriminalpsychologie
Das zweite Tätigkeitsfeld ist die Kriminalpsychologie. Zum Beispiel können Rechtspsycholog*innen hier bei dem Versuch der Erklärung und der späteren Prävention, sowie der Intervention bei kriminellem Verhalten zum Einsatz kommen.
Auch eine Tätigkeit als Polizeipsycholog*innen (im englischsprachigen Raum „Profiler“) kann hier verortet werden. Eine solche Tätigkeit wird, wenn überhaupt jedoch eher von Kriminalist*innen ausgeübt und stellt kein realistisches Berufsbild für Psycholog*innen dar.
Relevanter ist hier die Tätigkeit als Psycholog*in im Strafvollzug. Dabei steht die Zusammenarbeit mit den Insassen im Vordergrund. Letztlich können Psycholog*innen auf Grundlage dieser Zusammenarbeit eine entscheidende Hilfe zur Resozialisierung, oder auch Erstsozialisierung eines Gefangenen sein. Eine wichtige Rolle kann der Einschätzung der Psycholog*innen aber auch bei der Frage nach der Rückfallwahrscheinlichkeit oder der sozialen Prognose eines Gefangenen zukommen.
III. Die Historie der Rechtspsychologie
Die Rechtspsychologie ist keinesfalls eine neumodische Disziplin, wie die Häufung gerade amerikanischer Serien zu diesem Thema („Lie to me“ oder „Criminal Minds“ beispielsweise) vermuten lassen könnte.
Schon im 16. Jahrhundert gibt es Aufzeichnungen über ein erstes Konzept bezüglich der Schuldfähigkeit bei „Irrsinn“, wie es damals noch bezeichnet wurde. Es wurde also erstmals die Frage gestellt, in wie weit es Sinn macht, ein Individuum für etwas zu bestrafen, an dem es aufgrund etwaiger Defizite keine Schuld tragen kann. Die Schritte zu einer modernen Rechtspsychologie waren aber noch groß.
So dauerte es beispielsweise bis zum 19. Jahrhundert, genauer gesagt bis zu den Entscheidungen „Mathey“ von 1816 und „Marc“ von 1840, dass die Täter aufgrund von krankhafter Kleptomanie für die von ihnen begangenen Diebstähle für nicht schuldig erkannt wurden.
Im Jahre 1896 kam es in Leipzig nun zum ersten Auftreten eines Gutachters in einem Mordprozess. Der Wundt-Schüler Schenk-Nortzing verwies in diesem Prozess auf eine sogenannte „retroaktive Gedächtnistäuschung“ durch mittlerweile veröffentlichte Zeitungsberichte, die die Glaubwürdigkeit einiger Aussagen nachhaltig in Frage stellten.
1911 bewies der gerichtlich eingesetzte Gutachter Karl Marbe in einem Verfahren gegen einen Lokführer, dass es diesem völlig unmöglich gewesen war, bei den im Zeitpunkt des Geschehens gegebenen Bedingungen, den Zug, den er führte, rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Im gleichen Jahr trat Hugo Münsterberg als Gutachter in einem Zivilprozess zugunsten der flämischen Weber auf.
Im Jahre 1915 kommt es zu einem fragwürdigen Meilenstein der Rechtspsychologie. William Marston entwickelte in diesem Jahr den ersten Vorläufer eines Polygraphen, besser bekannt als Lügendetektor. Gerade in den USA hat dieser wissenschaftlich ausgesprochen fragwürdige Test bis heute eine große Bedeutung behalten.
Im Jahre 1953 schließlich prägt der deutsche Rechtspsychologe Udo Undeutsch die sogenannte „Undeutsch-Hypothese“. Diese besagt, dass sich erlebnisbasierte Schilderungen systematisch von erfundenen Schilderungen unterscheiden. Des Weiteren pochte Undeutsch darauf, lediglich die Glaubhaftigkeit einer Aussage als solche zu beurteilen, nicht aber die Glaubwürdigkeit, also den Leumund, des Aussagenden selbst.
IV. Sachverständige im Strafverfahren
Die Rolle der Sachverständigen im Strafverfahren hängt wesentlich davon ab, welchem allgemeinen Rechtssystem sie zugehören.
Der eindrücklichste Unterschied besteht dabei zwischen dem kontinentaleuropäischen Rechtssystem und dem „common law“ des angloamerikanischen Rechtsraums.
In Kontinentaleuropa herrscht im Strafverfahren das sogenannte inquisitorische System. Dieser Begriff klingt beim ersten Hören missverständlich, verbindet man mit Inquisition doch etwas Ungerechtes und Brutales. In der Realität heißt es aber nichts anderes, als dass es die originäre Aufgabe eines jeden Gerichts ist, die Wahrheit herauszufinden, mit den Mitteln, die dem Gericht zur Verfügung stehen. In dieses System bettet sich dann auch die Rolle der Gutachter*innen ein. Diese sind in unserem Rechtsraum niemals Partei oder ergreifen diese direkt. Es kommt ihnen lediglich die Rolle als neutraler Zeuge zu, der beispielsweise mit der gründlichen Prüfung von Alternativhypothesen betraut wird. Dabei obliegt den Richter*innen immer das letzte Wort. Sie sind an die Aussagen der Sachverständigen nicht gebunden.
Dem entgegen steht das sogenannte adversariale System des „common-law“-Raumes. Hier ist es nicht die originäre Aufgabe des Gerichts oder der Jury die Wahrheit herauszufinden. Die Entscheidung wird letztlich auf Grundlage der überzeugenderen Argumentation einer der beiden Seiten gefällt. So verhält es sich auch mit der Rolle der Gutachter*innen, die von einer der beiden Seiten beauftragt werden. Sie haben die Argumentation der jeweiligen Seite mit wissenschaftlichen Daten zu füttern und ergreifen hierdurch regelmäßig Partei.
V. Fazit und Blick auf Deutschland
Die Arbeit der Rechtspsycholog*innen kann somit sehr vielfältig aussehen und je nach Rechtssystem, in denen sie arbeiten auch sehr divergieren. In Deutschland sind Rechtspsycholog*innen meist entweder in der Grundlagenforschung tätig oder vor Gericht, im Strafvollzug oder Ähnlichem. Dabei profitieren beide Seiten durch eine enge Zusammenarbeit.
Für Studierende ist es wichtig, einen groben Überblick über Tätigkeit und Tätigkeitsfelder der Rechtspsycholog*innen zu haben und mit der Begrifflichkeit der Rechtspsychologie souverän umgehen zu können. Durch die Einordnung in ein bestimmtes Rechtssystem kann darüber hinaus eine rechtspsychologische Aussage kritisch hinterfragt werden.