Entschuldigender Notstand, § 35 StGB

Entschuldigender Notstand, § 35 StGB

Der entschuldigende Notstand gem. § 35 StGB gehört zum Basiswissen im Allgemeinen Teil des Strafrechts. Gerade deshalb sollte man sich bei der Prüfung möglichst keine Fehler erlauben. Doch leichter gesagt als getan – viele Studierende bringen die Voraussetzungen dieses Entschuldigungsgrundes mit denjenigen des § 34 StGB durcheinander oder differenzieren gar nicht erst zwischen den beiden Vorschriften. Ein schwerer Fehler! Damit dir dies nicht passiert, erklären wir hier den entschuldigenden Notstand gem. § 35 StGB Schritt für Schritt.
Entschuldigender Notstand
Lecturio Redaktion

·

21.02.2024

·

Inhalt

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Prüfungsschema

Bei der Prüfung des entschuldigenden Notstands kann man sich an folgendem Schema orientieren:

I. Notstandslage
a) Gegenwärtige Gefahr
b) Notstandsfähiges Rechtsgut: Leib, Leben oder Freiheit
c) des Täters, eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person
II. Notstandshandlung
a) Geeignetheit
b) Erforderlichkeit
III. Unzumutbarkeit der Gefahrenlage, § 35 Abs. 1 S. 2 StGB
a) Gefahrverursachung
b) Besonderes Rechtsverhältnis
c) Unbenannte Fälle der Zumutbarkeit
IV. Subjektives Element: Der Rettungswille
V. kein Schuldausschließungsgrund, § 35 Abs. 2 StGB

I. Notstandslage

a) Notstandsfähiges Rechtsgut

Der entschuldigende Notstand setzt zunächst einmal eine Notstandslage voraus. Diese erfordert eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Die Aufzählung dieser Rechtsgüter ist abschließend. Eine analoge Anwendung auf andere Rechtsgüter wird ganz herrschend abgelehnt.

Dies wird damit begründet, dass das rechtswidrige Handeln des Täters nur von der Rechtsordnung toleriert werden kann, wenn eines dieser grundlegenden und höchstpersönlichen Rechtsgüter bedroht ist.

Beachte: Mit dem Schutz des Lebens ist im Rahmen des § 35 StGB nach herrschender Meinung nicht das ungeborene Leben gemeint. Außerdem umfasst der Begriff der Freiheit (wie im Rahmen des § 239 StGB) nur die Fortbewegungs-, jedoch nicht die allgemeine Willensbetätigungsfreiheit.

b) Gefahr

Bei der Frage, ob eine Gefahr vorliegt, kann nach überwiegender Ansicht auf die für § 34 StGB entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden.

Definition: Danach ist eine Gefahr gegeben, wenn der Eintritt eines Schadens bei natürlicher Weiterentwicklung zu erwarten ist.

Bei der Entscheidung, ob eine Gefahr vorliegt, muss auf das ex ante-Urteil eines sachkundigen objektiven Beobachters abgestellt werden, wobei auch ein eventuelles Sonderwissen des Täters in die Beurteilung einbezogen werden muss.

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c) Gegenwärtigkeit

Definition: Die Gefahr ist gegenwärtig, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts an dem betroffenen Rechtsgut so hoch ist, dass das Ergreifen von Abwehrmaßnahmen zum Zeitpunkt der Notstandshandlung angezeigt ist.

d) Geschützter Personenkreis

Daneben muss die Gefahr für den Täter selbst, einen Angehörigen oder eine andere ihm nahestehende Person bestehen.

Angehöriger ist, wer zu dem in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB festgelegten Personenkreis gehört. Hinsichtlich der Definition der „anderen ihm nahestehenden Personen“ gibt das Gesetz keine Auskunft. Hiervon werden diejenigen Menschen erfasst, zu denen der Täter eine ähnlich enge Beziehung wie zu seinen Angehörigen hat. Als Beispiel werden meist die nicht eheliche Lebensgemeinschaft oder enge Freundschaften genannt.

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II. Notstandshandlung

Der Täter muss außerdem eine entsprechende Notstandshandlung vornehmen. Dabei verlangt das Gesetz, dass die Gefahr nicht anders abwendbar sein darf. Dies ist der Fall, wenn die Notstandshandlung geeignet und erforderlich ist.

Definition: Sie ist geeignet, wenn die erfolgreiche Abwendung des Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist.

Definition: Sie ist auch erforderlich, wenn sie unter mehreren gleich geeigneten Mitteln das mildeste Mittel darstellt.

III. Keine Zumutbarkeit, § 35 Abs. 1 S. 2 StGB

Schließlich ist nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB zu prüfen, ob es dem Täter nach den Umständen zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen. Als Gründe für die Zumutbarkeit werden dabei die Fälle genannt, dass der Täter die Gefahr selbst verursacht hat oder er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand.

Diese beiden Regelbeispiele können jedoch widerlegt werden. Auch bei ihrer Einschlägigkeit ist die Entschuldigung also nicht von vornherein ausgeschlossen. § 35 Abs. 1 S. 2 StGB bestimmt außerdem, dass die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

Der Täter stand in einem besonderen Rechtsverhältnis, wenn er berufliche oder berufsähnliche Schutzpflichten wahrnimmt, die in der Regel mit einer erhöhten Gefahr für ihn selbst einhergehen. Dies ist zum Beispiel bei Polizist*innen oder Feuerwehrleuten der Fall. Die Zumutbarkeit liegt jedoch nur dann vor, wenn die Gefahr bei der Ausübung der Tätigkeit typischerweise zu erwarten war, da nur in Bezug auf diese Aufgaben Sonderpflichten bestehen.

Die Formulierung „namentlich“ zeigt bereits, dass es neben den genannten Beispielen auch andere Gründe für eine Zumutbarkeit des Hinnehmens der Gefahr gibt. Hierunter fällt etwa die Konstellation, dass der Angehörige oder die nahestehende Person in einem besonderen Rechtsverhältnis stand.

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IV. Subjektives Element: Der Rettungswille

§ 35 Abs. 1 S. 1 StGB verlangt, dass der Täter handeln muss, „um die Gefahr […] abzuwenden“. Er muss sich also der Gefahrenlage bewusst sein und mit Rettungswillen handeln. Die Gefahrabwendung muss das Motiv seines Handelns sein.

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V. Kein Schuldausschließungsgrund, § 35 Abs. 2 StGB

Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB), welche ihn nach § 35 Abs. 1 StGB entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte.

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VI. Unterschiede zwischen dem rechtfertigenden und dem entschuldigenden Notstand

Abschließend möchten wir noch einmal die Unterschiede zwischen dem rechtfertigenden (§ 34 StGB) und dem entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB) verdeutlichen.

Tipp: Schau dir zur Wiederholung am besten noch einmal diesen Artikel zu § 34 StGB an!

Ein grundlegender Unterschied ist, dass der Täter beim rechtfertigenden Notstand (wie der Name schon sagt) gerechtfertigt ist. Dies bedeutet, dass gegen sein Verhalten keine Notwehr zulässig ist. Demgegenüber bewirkt der entschuldigende Notstand logischerweise erst eine Entschuldigung des Täters, sein Handeln bleibt also rechtswidrig.

Hinzukommend ist im Rahmen des § 34 StGB jedes Rechtsgut notstandsfähig. Bei § 35 StGB müssen dagegen Leib, Leben oder Freiheit gefährdet sein. Außerdem wird innerhalb des rechtfertigenden Notstandes eine Interessenabwägung verlangt. Dagegen wird innerhalb des § 35 StGB nur geprüft, ob der Täter die Gefahr hinzunehmen hatte.

Schließlich darf der Täter die Gefahr aufgrund von § 34 StGB von sich oder einem Dritten abwenden. § 35 StGB schreibt dagegen vor, dass er die Gefahr nur von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abwenden darf.

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Tipp: Mehr zum entschuldigenden Notstand gem. § 35 StGB? Dann schau dir dieses Video an!

Quellen

  • Zieschang: Der rechtfertigende und der entschuldigende Notstand, JA 2007, 679 ff.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

Dr. Frank Stummer

Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

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Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

Wolfgang A. Erharter

Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

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Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

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Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

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Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

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Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

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Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.