Bei gegenseitigen Verträgen stehen die beiden Hauptleistungspflichten der Vertragspartner (bspw. Übergabe und Übereignung der Kaufsache und Bezahlung des Kaufpreises) in einem Austauschverhältnis, sie sind abhängig voneinander. Gemäß § 320 I BGB kann jede Partei eines gegenseitigen Vertrages die eigene Leistung solange verweigern, bis die Gegenseite vollständig und frei von Mängeln erfüllt. § 320 BGB ist wie § 273 BGB eine rechtshemmende Einrede, welche den eigenen Anspruch des Schuldners zeitweise sichern und gleichzeitig den Gegner zwingen soll, seine eigene Leistungspflicht zu erfüllen.
Die Einrede aus § 320 I BGB basiert auf der synallagmatischen Verknüpfung der Leistungspflichten in gegenseitigen Verträgen: Jede Partei hat sich deshalb zur Leistung verpflichtet, damit sich die andere Seite auch verpflichtet (do ut des). Deshalb ist es angemessen, dass der Vertrag auch Zug um Zug abgewickelt wird.
I. Gegenseitiger Vertrag
Ein gegenseitiger Vertrag liegt vor, wenn sich jede Partei deshalb verpflichtet hat, damit sich die andere Partei ebenfalls verpflichtet. So sind alle entgeltlichen Verträge gegenseitige Verträge; der Schuldner der Leistung verpflichtet sich, weil die Gegenseite dafür Geld zahlt. Beispiele für gegenseitige Verträge sind der Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag, Dienstvertrag usw., auch der Tauschvertrag.
Dieser gegenseitige Vertrag muss auch wirksam sein: Wurde der Vertrag durch Kündigung, Ablauf der Vertragszeit, Nichtigkeitsgründen oder Anfechtung unwirksam, so gilt die Rückabwicklung nach § 273 BGB und nicht nach § 320 BGB. Im Falle des Rücktritts gilt für das Rückgewährschuldverhältnis nach § 348 BGB jedoch weiterhin § 320 BGB.
II. Synallagmatische Gegenforderung
Anders als in § 273 BGB reicht es nicht aus, dass der Gegenanspruch des Schuldners auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruht. Stattdessen muss er dem gegenseitigen Vertrag entspringen und mit der Hauptforderung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Zwischen allen Hauptleistungspflichten, die den Vertrag als solchen bestimmen, besteht diese Gegenseitigkeit.
Außerdem gilt § 320 BGB auch für Pflichten, deren Erfüllung nach dem Vertragszweck von besonderer Bedeutung sind, so etwa wenn die Parteien typische Nebenleistungspflichten bewusst in das Gegenseitigkeitsverhältnis einbeziehen.
III. Gegenforderung wirksam und fällig
Aus einredebehafteten oder gerichtlich nicht durchsetzbaren Ansprüchen kann der Schuldner keine Einrede begründen. Wie auch in § 273 BGB macht § 215 BGB analog für die verjährte Forderung eine Ausnahme: Die Verjährung des Gegenleistungsanspruchs schließt die Einrede aus § 320 nicht aus, sofern die Verjährung erst nach der Entstehung des Leistungsverweigerungsrechtes eingetreten ist.
IV. Schuldner selbst vertragstreu
Lehnt der Schuldner die Erfüllung seiner eigenen Leistungspflicht grundlos ab oder befindet er sich im Schuldnerverzug, kann er § 320 BGB nicht geltend machen.
Will der Schuldner selbst nicht mehr erfüllen, weil auf der Gegenseite eine Leistungsstörung vorliegt, dann muss er sich über § 323 BGB vom Vertrag trennen.
V. Ausschlussgründe
1. Gegner hat den Vertrag noch nicht erfüllt
Wenn die Gegenseite noch nicht oder nicht vollständig erfüllt hat, dann darf der Schuldner seine eigene Leistung vorerst verweigern. Eine Ausnahme besteht, wenn die Leistungsverweigerung wegen der relativen Geringfügigkeit des noch ausstehenden Teils gegen Treu und Glauben verstoßen würde, § 320 II BGB.
Neben der Nichtleistung berechtigt auch die mangelhafte Leistung zur Leistungsverweigerung.
2. Schuldner ist nicht zur Vorleistung verpflichtet
Eine Vorleistungspflicht kann sich aus dem Gesetz ergeben: Der Mieter (§ 556b), der Dienstverpflichtete (§ 614 BGB), der Werkunternehmer (§ 641 BGB) und der Verwahrer (§ 699) sind gesetzlich zur Vorleistung verpflichtet. Diese Vorleistungspflichten sind aber vertraglich abdingbar. Daneben kann eine Vorleistungspflicht vertraglich vereinbart werden.
Verschlechtern sich nach Vertragsschluss die Vermögensverhältnisse der Gegenseite so stark, dass der Anspruch des Schuldners auf seine Gegenleistung in Gefahr gerät, entfällt die Vorleistungspflicht des Schuldners gemäß § 321 I BGB.
Auch entfällt die Vorleistungspflicht des Schuldners, wenn die Gegenseite ausdrücklich erklärt hat, dass sie den Vertrag nicht erfüllen werde. Der Schuldner kann dann entweder am Vertrag festhalten und auf Erfüllung klagen oder sich gem. § 323 BGB vom Vertrag trennen, ohne dass man ihm die Vorleistungspflicht entgegenhalten kann.
VI. Rechtsfolgen
- Im Prozess wird der Schuldner nach § 322 BGB nur zu einer Zug-um-Zug Leistung verurteilt, wenn er sich auf § 320 BGB beruft.
- Bereits das Bestehen der Einrede des § 320 BGB schließt den Schuldnerverzug aus. Im Gegensatz zur Einrede des § 273 BGB ist es also nicht erforderlich, dass sich der Schuldner auf die Einrede beruft.
- Wenn der Schuldner in Unkenntnis des § 320 bereits geleistet hat, so kann er seine Leistung nicht nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB zurückverlangen. Wie auch § 273 BGB ist § 320 BGB nur dilatorisch, d.h. die Einrede wirkt nicht auf Dauer, sondern nur zeitweise. Deshalb liegen die Voraussetzungen des § 813 I 1 BGB im Ergebnis nicht vor.
Quellen
- Looschelders, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 2014
- Kropholler, Studienkommentar BGB, 14. Aufl. 2013.
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 20. Aufl. 2014.