Die Materielle Rechtskraft nach § 322 ZPO

Die Materielle Rechtskraft nach § 322 ZPO

Die materielle Rechtskraft ist in § 322 ZPO geregelt und auf den ersten Blick schwer zu fassen. Sie kann in zivilrechtlichen Klausuren sowohl als Problem der Zulässigkeit einer Klage als auch als Begründetheitsproblem eingebaut werden.
Materielle Rechtskraft
Lecturio Redaktion

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06.02.2024

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Inhalt

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I. Allgemeines zur materiellen Rechtskraft

Die materielle Rechtskraft wird originär in § 322 I ZPO geregelt. Dort heißt es:

Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

Daraus lässt sich zunächst folgende Aussage entnehmen: Soweit ein Gericht bereits einmal über einen Anspruch entschieden hat, ist die Entscheidung hinsichtlich dieses Anspruchs rechtskräftig. Die materielle Rechtskraft nach § 322 ZPO erstreckt sich also auf den Inhalt eines Urteils und legt fest, in welchem Umfang das Gericht und die Parteien in einem erneuten Rechtsstreit um dieselbe Rechtsfolge an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sind (vgl. § 325 I ZPO).

Voraussetzung für die materielle Rechtskraft eines Urteils ist die formelle Rechtskraft. Diese ist gegeben, wenn das Urteil nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann (wenn also die Fristen für Berufung etc. abgelaufen sind). Hinter der materiellen Rechtskraft steht der Gedanke, dass sich Gerichte nur einmal mit einem Streitgegenstand befassen sollen.

II. Materielle Rechtskraft als Zulässigkeitsproblem

Die materielle Rechtskraft ist eine sog. negative Sachurteilsvoraussetzung, sie darf also nicht gegeben sein, sonst ist die Klage schon unzulässig.

Dies ist zum Einen der Fall, wenn der im rechtskräftigen Urteil unterliegende Kläger den identischen Streitgegenstand ein zweites Mal einklagt.

Zum anderen gilt dies aber auch, wenn der im rechtskräftigen Urteil verurteilte Beklagte die Leistung, zu deren Erfüllung er verurteilt worden ist, in einer neuen Klage zurückfordern will.

Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel:

A wird am 10.03. rechtskräftig zu einer Kaufpreiszahlung i.H.v. 2000 Euro an B verurteilt. Nachdem er dem B die 2000 Euro gezahlt hat, erhebt er am 10.05. Klage gegen B auf Rückzahlung der 2000 Euro aus § 812 I 1 1.Alt BGB. Er begründet dies damit, dass dem B der Kaufpreisanspruch nicht zusteht, da kein wirksamer Kaufvertrag zustande kam.

In einem solchen Fall steht der Zulässigkeit der Klage des A die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen, in dem rechtskräftig entschieden wurde, dass ein wirksamer Kaufvertrag besteht. Genau genommen liegt zwar kein identischer Streitgegenstand vor (Streitgegenstand im ersten Verfahren: Anspruch B gegen A ; Streitgegenstand im zweiten Verfahren: Anspruch A gegen B).

Dennoch nimmt die h.M. hier im Ergebnis einen identischen Streitgegenstand an, da eine Identität im Sinne eines „kontradiktorischen Gegenteils“ vorliegt: In beiden Klagen geht es um den Kaufvertrag zwischen A und B.

III. Materielle Rechtskraft als Begründetheitsproblem

Schließlich kann die materielle Rechtskraft auch dazu führen, dass eine Klage unbegründet ist. Denn auch wenn kein identischer Streitgegenstand vorliegt und die Klage damit zulässig ist, ist das Gericht in einem späteren Verfahren an die im ersten Urteil getroffenen Feststellungen gebunden und kann über diese nicht mehr entscheiden.

Bsp.: Es ergeht ein rechtskräftiges Feststellungsurteil, dass ein Kaufvertrag zwischen A und B nicht besteht. Dennoch erhebt B Leistungsklage auf Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, 281 BGB. Der Richter im zweiten Verfahren ist an die rechtskräftige Feststellung gebunden, dass ein Kaufvertrag zwischen den Parteien nicht besteht. Damit fehlt es an einem Schuldverhältnis i.S.d. § 280 I BGB, sodass B keinen Anspruch hat und die Klage unbegründet ist.

Kostenloses Vertiefungsvideo: Rechtskraft (§§ 705 ZPO, 322 ZPO) von RA Mario Kraatz

IV. Reichweite der materiellen Rechtskraft

Die materielle Rechtskraft und die durch sie ausgelöste Bindungswirkung ist nicht unbeschränkt. Nach § 322 I ZPO beschränkt sich jede Rechtskraftwirkung eines Urteils auf den Streitgegenstand des Vorprozesses (und sein kontradiktorisches Gegenteil). Eine solche Beschränkung hat der Gesetzgeber ausweislich des Wortlautes des § 322 ZPO herbeiführen wollen:

Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den (…) erhobenen Anspruch entschieden ist.

Die Rechtskraft beschränkt sich also auf den Tenor des Urteils. Die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, die in den Urteilsgründen getroffen worden sind, binden spätere Verfahren also nur, soweit der gegen diese Feststellungen gerichtete Angriff zugleich die im Tenor ausgesprochene Rechtsfolge in Frage stellt.

§-322-ZPO-Objektive-Rechtskraft
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Bsp.: A wird am 10.03. rechtskräftig verurteilt 2000 € Reparaturkosten an B, aus Verkehrsunfall, zu zahlen, da er den Unfall allein verschuldet hat. Nachdem A dem B die 2000 € gezahlt hat, erhebt B am 10.05. Klage gegen A auf Zahlung weiterer 1000 € aus demselben Verkehrsunfall. Er begründet seine Klage damit, dass er auch Anspruch auf Schmerzensgeld wegen des Unfalles habe, da er ein Schleudertrauma erlitten habe.

Hier ist das Gericht insoweit an das erste Urteil gebunden, als dass bereits festgestellt ist, dass A den Unfall allein verschuldet hat. Es ist aber frei in der Prüfung, ob der B ein Schleudertrauma erlitten hat und wenn ja, ob der Unfall dafür ursächlich war. Diese Gesichtspunkte wurden im Vorprozess noch nicht geprüft und nicht rechtskräftig festgestellt. Insoweit besteht also keine Bindungswirkung. Käme das Gericht aber zu dem Ergebnis, dass das Schleudertrauma besteht und das der Unfall dafür ursächlich ist, ist es gehindert eine Quote auszuwerfen, da im ersten Urteil bereits entschieden wurde, dass nur A haftet.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

Dr. Frank Stummer

Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

Sobair Barak

Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

Wolfgang A. Erharter

Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

Holger Wöltje

Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

Frank Eilers

Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

Yasmin Kardi

Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

Leon Chaudhari

Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

Andreas Ellenberger

Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Zach Davis ist studierter Betriebswirt und Experte für Zeitintelligenz und Zukunftsfähigkeit. Als Unternehmens-Coach hat er einen tiefen Einblick in über 80 verschiedene Branchen erhalten. Er wurde 2011 als Vortragsredner des Jahres ausgezeichnet und ist bis heute als Speaker gefragt. Außerdem ist Zach Davis Autor von acht Büchern und Gründer des Trainingsinstituts Peoplebuilding.

Wladislav Jachtchenko

Wladislaw Jachtchenko ist mehrfach ausgezeichneter Experte, TOP-Speaker in Europa und gefragter Business Coach. Er hält Vorträge, trainiert und coacht seit 2007 Politiker, Führungskräfte und Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie Allianz, BMW, Pro7, Westwing, 3M und viele andere – sowohl offline in Präsenztrainings als auch online in seiner Argumentorik Online-Akademie mit bereits über 52.000 Teilnehmern. Er vermittelt seinen Kunden nicht nur Tools professioneller Rhetorik, sondern auch effektive Überzeugungstechniken, Methoden für erfolgreiches Verhandeln, professionelles Konfliktmanagement und Techniken für effektives Leadership.

Alexander Plath

Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.