I. Allgemeines
In Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV heißt es:
Die Union errichtet einen Binnenmarkt.
Dies soll nach Art. 3 Abs. 3 S. 2, S. 3 EUV die nachhaltige Entwicklung Europas, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, sowie den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt fördern.
Der Binnenmarkt wird in Art. 26 AEUV näher konkretisiert und umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist.
Grundsätzlich handelt es sich bei einem Binnenmarkt um einen Zusammenschluss von Staaten. Im Gegensatz zur Zollunion oder Freihandelszone werden nicht lediglich die Zölle untereinander aufgehoben, sondern die vier Grundfreiheiten garantiert:
- Freier Warenverkehr, Art. 28–44 AEUV,
- Freier Personenverkehr, Art. 45–55 AEUV,
- Freier Dienstleistungsverkehr, Art. 56–62 AEUV und
- Freier Kapitalverkehr, Art. 63–66 AEUV
II. Prüfung der Grundfreiheiten der EU
Die Prüfung der einzelnen Grundfreiheiten ähnelt der Grundrechtsprüfung im nationalen Recht:
I. Anwendbarkeit
- kein spezielleres Sekundärrecht: regelt Sekundärrecht den entsprechenden Fall, ist dieses und nicht die jeweilige Grundfreiheit heranzuziehen
- Unmittelbare Anwendbarkeit: die Umsetzung darf keines weiteren Akts bedürfen (muss „self-executing“ sein); für die Grundfreiheiten ist dies allgemein anerkannt
II. Schutzbereich
- sachlicher Schutzbereich
- grenzüberschreitender Sachverhalt: Bezug zur EU?
- Definition der jeweiligen Grundfreiheit und Subsumtion
- persönlicher Schutzbereich: variiert je nach Grundfreiheit
III. Eingriff
IV. Rechtfertigung
III. Freier Warenverkehr
1. sachlicher Schutzbereich
Im sachlichen Schutzbereich schützt der freie Warenverkehr Waren, die aus einem EU-Mitgliedsstaat stammen.
Definition: Waren sind alle körperlichen und sonstigen Gegenstände oder Rechte, die einen Geldwert haben und daher Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.
Definition: Die Ware stammt aus einem Mitgliedsstaat, wenn sie dort gewonnen oder hergestellt wurde, dort zumindest aber die letzte wesentliche Verarbeitungsstufe durchlaufen wurde.
Das Kernelement der Warenverkehrsfreiheit ist gem. Art. 28 AEUV eine Zollunion zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union für den gesamten Warenaustausch. Es herrscht dementsprechend ein Verbot von Ein- und Ausfuhrzöllen und Maßnahmen mit gleicher Wirkung.
Zudem wird gegenüber nicht EU-Staaten ein gemeinsamer Zolltarif erhoben. Gem. Art. 34 AEUV sind ebenfalls mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten.
Besonders der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung hat zu Rechtsstreitigkeiten und wegweisenden Entscheidungen des EuGH geführt. Dieser entwickelte zunächst die folgende Formel:
Dassonville-Formel: Danach gelten alle staatlichen Maßnahmen, die geeignet sind unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten zu behindern, als Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 34 AEUV.
Diese Formel wurde teilweise als zu weitgehend aufgefasst und der EuGH hat den Begriff in einer späteren Entscheidung durch die „Keck“-Formel wieder eingeschränkt.
Keck-Formel: Die staatliche Maßnahme muss produktbezogen sein, eine vertriebsbezogene Handlungsregelung ist nicht ausreichend.
Nach der sogenannten Cassis-Formel sind unter Maßnahmen gleicher Wirkung mitgliedstaatliche Regelungen zu verstehen, die nicht notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden.
Neben der Dassonville-Entscheidung gehört das Cassis-de-Dijon-Urteil daher zu den grundlegenden, richtungsweisenden Entscheidungen des Gerichtshofs zur Auslegung der europäischen Warenverkehrsfreiheit.
Grundsätzlich entspricht das Cassis-de-Dijon-Prinzip mit der implizierten gegenseitigen Anerkennung von im Ergebnis gleichwertigen, aber unterschiedlich ausgestalteten Regelungen, einer Marktöffnung und liberalem Handeln.
2. persönlicher Schutzbereich
In persönlicher Hinsicht schützt die Warenverkehrsfreiheit alle Unionsbürger.
IV. Personenfreizügigkeit
Der freie Personenverkehr innerhalb der Europäischen Union hat viele Facetten.
Zum einen besteht das unionsbürgerliche Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 AEUV. Außerdem gibt es für Arbeitnehmer die besonderen Ausprägungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 ff. AEUV. Darüber hinaus ist die Niederlassungsfreiheit in Art. 49 ff. AEUV geregelt.
1. sachlicher Schutzbereich
Das unionsbürgerliche Freizügigkeitsrecht schützt in sachlicher Hinsicht das Recht zum Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat sowie das Recht auf Bewegung innerhalb bzw. zwischen den Staaten.
Der sachliche Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit wird in Art. 45 Abs. 3 AEUV näher konkretisiert:
Sie gibt […] den Arbeitnehmern das Recht,
a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt.
Nach Art. 49 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften.
2. persönlicher Schutzbereich
Das unionsbürgerliche Freizügigkeitsrecht gilt nach Art. 21 Abs. 1 AEUV nur für Unionsbürger.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit schützt ebenfalls nur Angehörige der EU-Mitgliedsstaaten, also Unionsbürger. Von diesen allerdings nur Arbeitnehmer. Die Definition ähnelt der im deutschen Arbeitsrecht:
Definition: Arbeitnehmer ist jede Person, die während einer bestimmten Zeit einem anderen auf dessen Weisung Leistungen gegen Vergütung erbringt.
Durch die Niederlassungsfreiheit sind in persönlicher Hinsicht alle Unionsbürger geschützt, die eine Tätigkeit, welche zum sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit gehört, in einem anderen Mitgliedsstaat auf Dauer ausüben möchten.
Sie gilt sowohl für natürliche als auch für juristische Personen, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaats gegründet wurden und ihren Sitz in einem Mitgliedsstaat haben.
V. Dienstleistungsfreiheit
Die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 ff. AEUV unterscheidet sich von der Arbeitnehmer- oder Niederlassungsfreiheit durch die vorübergehende und selbstständige Art der Tätigkeit.
1. sachlicher Schutzbereich
Hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs genügt in der Klausur das genaue Lesen von Art. 57 AEUV. Dort findet sich zunächst eine Definition von Dienstleistungen.
Definition: Dienstleistungen sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
Dazu gehören insbesondere:
- Gewerbliche Tätigkeiten
- Kaufmännische Tätigkeiten
- Handwerkliche Tätigkeiten
- Freiberufliche Tätigkeiten
Zu den geschützten Verhaltensweisen zählen die Erbringung und Entgegennahme von Leistungen sowie die Anbahnung von Verträgen über Dienstleistungen.
2. persönlicher Schutzbereich
Alle Unionsbürger können sich in persönlicher Hinsicht innerhalb der EU auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat vorübergehend ausüben möchten, die zum sachlichen Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit gehört.
Auch Dienstleistungsempfänger können sich auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie eine EU-Binnengrenze überschreiten, um Dienstleistungen in Empfang zu nehmen.
Dienstleistungserbringer sind zudem ebenfalls geschützt, wenn der Empfänger Angehöriger eines Drittstaates aber in der Union ansässig ist.
VI. Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
Art. 63 AEUV verbietet alle Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten, sowie zwischen Mitgliedsstaaten und Drittländern. Somit kann korrespondierend zu den anderen Grundfreiheiten für die Dienstleistung bzw. die Ware gezahlt werden.
1. sachlicher Schutzbereich
Zum sachlichen Schutzbereich zählen alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte (bspw. Abschluss und die Ausführung von Transaktionen).
Zahlungsverkehr ist der Transfer von Zahlungsmitteln für die Erbringung von Leistungen im Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr sowie von Renditen. Dabei ist zu beachten, dass nur gültige Zahlungsmittel geschützt sind. Hinsichtlich alten Münzen o.ä. greift die Warenverkehrsfreiheit (s.o.).
2. persönlicher Schutzbereich
Nach Art. 63 AEUV gilt die Grundfreiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs nicht nur für Unionsbürger, sondern auch für Drittstaatsangehörige.
Manchmal wird daher auch vertreten, dass die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs keinen persönlichen Schutzbereich hat.