I. Ausgangssituation der Drittschadensliquidation (DSL)
Der Drittschadensliquidation (DSL) liegt die Situation zugrunde, dass der Schuldner gegenüber seinem Vertragspartner eine Pflichtverletzung begangen hat. Hierdurch ist einem Dritten ein Vermögensschaden entstanden, dem jedoch kein Anspruch gegenüber dem Schuldner zusteht. Der Vertragspartner hat dagegen einen Anspruch, aber keinen Schaden.
Diese Konstellation kann sich auch bei einer unerlaubten Handlung ergeben: Die Rechtsgutverletzung erfolgt bei einer anderen Person als derjenigen, die den Schaden erleidet.
Danach wäre der Schädiger normalerweise nicht schadensersatzpflichtig. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, wendet die herrschende Meinung jedoch die Figur der Drittschadensliquidation (DSL) an. Das bedeutet, dass der Vertragspartner ausnahmsweise den Schaden des Dritten geltend machen kann. Den Schadensersatz führt er dann an diesen ab.
II. Schema der Drittschadensliquidation (DSL)
Wie sich bereits teilweise aus der Ausgangssituation herleiten lässt, hat die Drittschadensliquidation (DSL) diese Voraussetzungen – Drittschadensliquidation Schema:
1. Anspruch ohne Schaden
Hinsichtlich einer Person müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs erfüllt sein. Sie selbst darf allerdings keinen ersatzfähigen Schaden haben.
2. Schaden ohne Anspruch
Eine weitere Person muss einen Schaden erlitten haben. Bei ihr dürfen allerdings nicht die Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs erfüllt sein.
3. Zufällige Schadensverlagerung
Hinzutreten muss, dass die Schadensverlagerung zufällig von dem Anspruchsberechtigten auf einen Dritten erfolgt ist, wobei über die Zufälligkeit aus der Sicht des Schädigers zu entscheiden ist. D.h. ein Schaden tritt regelwidrig bei einem Dritten ein, obwohl er beim Gläubiger zu erwarten war. Die Zufälligkeit ist ausgeschlossen, wenn sie aufgrund eines Vertrags erfolgte (z.B. aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter).
III. Konsequenz der Drittschadensliquidation (DSL)
Sind die Voraussetzungen der Drittschadensliquidation (DSL) erfüllt, wird „der Schaden zum Anspruch gezogen“. Der Vertragspartner kann den Anspruch gegenüber dem Schädiger geltend machen, ist im Innenverhältnis aber dazu verpflichtet, den Schadensersatz an den Geschädigten herauszugeben bzw. den Schadensersatzanspruch an ihn abzutreten. Dies ergibt sich in der Regel aus § 285 BGB (analog). Ist § 285 BGB nicht einschlägig, muss auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragspartner und dem Geschädigten als Grundlage zurückgegriffen werden.
IV. Verschiedenen Fallkonstellationen der Drittschadensliquidation (DSL)
Die Drittschadensliquidation (DSL) bildet eine Ausnahme von der Grundregel, dass jeder seinen Schaden selbst geltend machen muss. Aus diesem Grund ist sie nur in einigen Fallkonstellationen anerkannt.
1. Obligatorische Gefahrentlastung
Eine Fallgruppe ist die der sogenannten obligatorischen Gefahrentlastung beim Versendungskauf gemäß § 447 BGB (sowie § 644 BGB). Hierbei wird die Sache durch die Transportperson beschädigt. Der Verkäufer hat sich dabei seiner Leistungspflicht bereits entledigt, sein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2 BGB bleibt jedoch unberührt. Der Käufer erleidet einen Schaden, hat aber keinen eigenen Anspruch gegen die Transportperson, sodass hier die Konstruktion der Drittschadensliquidation (DSL) anwendbar ist.
2. Mittelbare Stellvertretung
Der mittelbaren Stellvertretung liegt die Situation zugrunde, dass der Stellvertreter nicht in fremdem Namen handelt. Er wird stattdessen in seinem Namen aber auf fremde Rechnung tätig. Verletzt der Vertragspartner des mittelbaren Stellvertreters seine vertraglichen Pflichten, steht nur dem mittelbaren Stellvertreter ein Anspruch gegen ihn zu. Den Schaden erleidet jedoch der Vertretene.
3. Obhut für fremde Sachen
Die ganz herrschende Ansicht erkennt eine Drittschadensliquidation (DSL) auch bei der Inobhutnahme fremder Sachen an.
Beispiel: A verwahrt eine wertvolle Keramikskulptur des B in seinem Garten. Für die Pflege des Gartens beauftragt er das Unternehmen C. Dessen Angestellter D schubst die Skulptur versehentlich mit dem Rasenmäher um, sodass diese zerstört wird. Hier hat A einen vertraglichen Anspruch gegen C, ihm selbst ist jedoch kein Schaden entstanden. B hat dagegen einen Schaden erlitten. Ihm steht gegen D ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu, daneben hat er gegen C gegebenenfalls einen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.
Diese lassen sich aber mitunter nicht oder nur schwer realisieren, wenn C sich exkulpieren kann und D mittellos ist, sodass hier die Anwendung der Drittschadensliquidation (DSL) anerkannt wird. Dagegen wird jedoch eingewandt, dass B tatsächlich eigene Ansprüche zustehen und die Anwendung der Rechtsfigur hier nur dazu dient, ihn hinsichtlich des Risikos einer mangelnden Realisierungsmöglichkeit abzusichern.
V. Abgrenzung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD)
Es ist wichtig, die Drittschadensliquidation (DSL) vom Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter abzugrenzen. Letzterer ist immer vor der Drittschadensliquidation (DSL) zu prüfen, da diese nur in den o.g. Ausnahmefällen Anwendung findet! Der wesentliche Unterschied von Drittschadensliquidation und VSD liegt im Haftungsrisiko.
- Bei der Drittschadensliquidation (DSL) bleibt das Haftungsrisiko konstant, der Schaden wird lediglich von einer Person auf eine andere verlagert.
- Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hingegen kommt es zu einer Haftungshäufung, denn der Dritte erwirbt einen eigenen Anspruch.
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Quellen
- Brox, Hans/Walker, Wolf-Dietrich: Allgemeines Schuldrecht, 39. Aufl., München 2015