Der europarechtliche Staatshaftungsanspruch

Der europarechtliche Staatshaftungsanspruch

Verstoßen die Mitgliedsstaaten gegen das Europarecht, müssen die entsprechenden Hoheitsträger unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber den betroffenen Unionsbürgern für die entstandenen Schäden haften. Mit dem europarechtlichen Staatshaftungsanspruch wird die schwierige Materie des Staatshaftungsrechts mit dem Europarecht verzahnt. Mit folgendem Prüfungsschema behälst du in der Klausur den Überblick.
europarechtliche Staatshaftungsanspruch
Lecturio Redaktion

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04.01.2024

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Inhalt

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I. Haftungslücken im deutschen Staatshaftungsrecht

Verstößt ein deutscher Hoheitsträger gegen das Europarecht und erleidet ein Betroffener hieraus einen Schaden, bestehen grundsätzlich Staatshaftungsansprüche nach deutschem Recht. Es können aber Haftungslücken bestehen, wenn bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen des Staatshaftungsrechts nicht erfüllt sind.

1. Haftungslücke bei Nichtumsetzung einer Richtlinie

Dies kann einerseits durch die Nichtumsetzung einer Richtlinie geschehen. Unterlässt der Gesetzgeber die (vollständige) Umsetzung, besteht kein Amtshaftungsanspruch nach deutschem Recht. Denn ein Verstoß gegen eine drittgerichtete Amtspflicht liegt nicht vor, da Gesetze nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen werden. Aufgrund des Grundsatzes des Haftungsausschlusses für legislatives Unrecht besteht auch kein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff.

2. Haftungslücke bei fehlender Angleichung deutscher Gesetze an Europarecht

Andererseits kann es durch die fehlende Angleichung deutscher Gesetze an Europarecht zu Haftungslücken kommen. Wenn Behörden anschließend aufgrund von europarechtswidrigen Rechtsgrundlagen Verwaltungsakte erlassen, scheitern Amtshaftungsansprüche am fehlenden Verschulden. Die Behörden sind nämlich zum Vollzug deutscher Gesetze verpflichtet und besitzen keine Normverwerfungskompetenz. Der enteignungsgleiche Anspruch ist wegen des Ausschlusses für legislatives Unrecht ebenfalls nicht anwendbar.

II. Das Francovich-Urteil des EuGH

Der europäische Staatshaftungsanspruch ist im europäischen Primärrecht nicht ausdrücklich verankert. Er wurde vom Europäischen Gerichtshof 1991 in seiner berühmten Francovich-Entscheidung entwickelt.

Hintergrund war die Nichtumsetzung einer Richtlinie durch Italien, die Arbeitnehmern einen Mindestschutz bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers garantieren sollte. Herrn Francovich wurden von einem Gericht in Italien unerfüllte Lohnansprüche gegen seinen Arbeitgeber zugesprochen, die Zwangsvollstreckung war jedoch fruchtlos. Eine direkte Anwendbarkeit der Richtlinie durch nationale Gerichte schied wegen Unbestimmtheit der Richtlinie aus. Diese hatte den Staaten einen großzügigen Umsetzungsspielraum zugestanden. Um Herrn Francovich nicht vollends schutzlos zu stellen, entwickelte der EuGH das Rechtsinstitut des europäischen Staatshaftungsanspruchs und sprach ihm Schadensersatz gegen Italien zu.

III. Prüfungsschema: Europarechtlicher Staatshaftungsanspruch

Prüfungsschema:

1. Herleitung des Anspruchs
2. Anspruchsgrundlage
3. Handeln eines Hoheitsträgers
4. Qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht
5. Unmittelbare Kausalität zwischen Verstoß und Schaden
6. Kein Haftungsausschluss
7. Art und Umfang des Schadensersatzes
8. Verjährung
9. Anspruchsgegner

1. Herleitung des Anspruchs

Der europarechtliche Staatshaftungsanspruch findet sich nicht unmittelbar im Unionsrecht wieder. Dementsprechend griff der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei der Entwicklung dieser Rechtsfigur in der Francovich-Entscheidung auf das Prinzip der Effektivität des Unionsrechts aus Art. 4 Abs. 3 EUV (Vertrags über die Europäische Union) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze als ungeschriebenes Primärrecht zurück. Allgemeine Rechtsgrundsätze bestehen aus den rechtlichen Grundsätzen, die in den meisten Rechtsordnungen der Staaten gelten.

Der europarechtliche Staatshaftungsanspruch kann in der Klausur mit folgenden Argumenten hergeleitet werden:

  1. Das Prinzip der Effektivität des Unionsrechts (effet utile), Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union.
  2. Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass der Einzelne Regress gegen einen Mitgliedsstaat bei diesem zurechenbaren Verstößen gegen das Europarecht nehmen kann.
  3. Artikel 340 AUEV (Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union), in denen die europarechtliche Staatshaftung partiell geregelt ist und die nationalen Rechtsordnungen kennen ebenfalls Staatshaftungsansprüche. Dies lässt auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz schließen.

2. Anspruchsgrundlage

Der EuGH hat bei der Entwicklung des europarechtlichen Staatshaftungsanspruchs bestimmte abschließende Vorgaben hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen aufgestellt. Umstritten ist das Verhältnis zum nationalen Staatshaftungsanspruch und welche Anspruchsgrundlage für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen gilt:

  • Nach einer Ansicht sind wie beim deutschen Staatshaftungsrecht der § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG anzuwenden. Diese sollen allerdings europarechtskonform im Lichte der vom EuGH aufgestellten Kriterien ausgelegt werden.
  • Die andere Ansicht differenziert hinsichtlich der anspruchsbegründenden und anspruchsausfüllenden Voraussetzungen. Erstere entspringen allein den vom EuGH entwickelten Rechtsgrundsätzen. Die weiteren Voraussetzungen entsprechen dem deutschen Staatshaftungsrecht gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

Da beide Ansichten regelmäßig zu gleichlautenden Ergebnissen kommen und es sich zudem um einen „Aufbaustreit“ handelt, muss der Streit in der Klausur nicht entschieden werden.

3. Handeln eines Hoheitsträgers

Es muss ein öffentlich-rechtliches Handeln der Legislative, Exekutive oder Judikative vorliegen.

4. Qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht

Die verletze Unionsnorm muss den einzelnen Unionsbürgern Rechte verleihen. Weiterhin muss es sich um einen qualifizierten Rechtsverstoß handeln. Dies ist dann der Fall, wenn der Verstoß offenkundig und erheblich ist. Beispiel ist die Nichtumsetzung einer Richtlinie. Sofern die Richtlinie nur unvollständig oder fehlerhaft umgesetzt worden ist, kommt es darauf an, ob der Mangel offenkundig und erheblich ist.

5. Unmittelbare Kausalität zwischen dem Verstoß und Schaden

Es muss ein materieller oder immaterieller Schaden beim Geschädigten eingetreten sein. Die Kausalität wird nach der conditio-sine-qua-non Formel bestimmt. Denn diese gilt ebenfalls nach Grundsätzen, die für Art. 340 Abs. 2 AEUV entwickelt wurden. Daher darf der Verstoß nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Schaden entfällt. Weiterhin sind Schäden nur kausal, wenn sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung typischerweise geeignet sind einen Schaden zu verursachen.

6. Kein Haftungsausschluss

Nach der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB besteht kein Amtshaftungsanspruch, wenn dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last fällt und der Verletzte auf andere Weise Ersatz erlangen kann.

Diese Klausel ist jedoch im Fall des europarechtlichen Staatshaftungsanspruchs nicht anwendbar (str.), weil es sich bei diesem Anspruch nicht um eine übergeleitete, sondern um eine unmittelbare Haftung handelt.

Das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB ist ebenfalls nicht anwendbar.

Ein Amtshaftungsanspruch kann gem. § 839 Abs. 3 BGB noch ausscheiden, wenn der Geschädigte es in vorwerfbarer Weise versäumt hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Diese Vorschrift findet auch für den europarechtlichen Staatshaftungsanspruch Anwendung.

7. Art und Umfang des Schadensersatzes

Der Schadensersatz erfolgt bei Amtshaftungsansprüchen grundsätzlich in Geld. Ansprüche auf Amtshandlungen sind mit diesem Instrument nicht durchsetzbar.

8. Verjährung

Die Verjährung richtet sich nach den §§ 194 ff. BGB. Dies wurde vom EuGH nicht beanstandet.

9. Anspruchsgegner

Es haftet die juristische Person des öffentlichen Rechts, die den Verstoß gegen Europarecht begangen hat.

IV. Zusammenfassung

Der europarechtliche Staatshaftungsanspruch stellt ein anspruchsvolles Thema dar, welches aus guten Gründen gerne im Staatsexamen geprüft wird. Zum einen lässt sich hervorragend Europarecht mit nationalem Staatshaftungsrecht kombinieren. Zum anderen müssen viele Voraussetzungen des Anspruchs auswendig gelernt werden. Wird er tatsächlich einmal geprüft, trennt sich schnell die Spreu vom Weizen. Es lohnt sich daher den Anspruch zu beherrschen.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

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Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

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Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

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Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

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Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

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Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

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Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

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Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

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Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.