I. Das geschützte Rechtsgut des § 242 StGB
Der Diebstahl ist in § 242 StGB geregelt und zählt zu den Eigentumsdelikten:
(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird […] bestraft.
- Nach einer Ansicht ist auch nur das Eigentum das von § 242 geschützte Rechtsgut.
- Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines überwiegenden Teils der Literatur werden durch diese Vorschrift dagegen sowohl das Eigentum als auch der Gewahrsam als selbstständiges Rechtsgut geschützt.
Für die zweite Ansicht kann man unter anderem argumentieren, dass der Diebstahl (§ 242 StGB) einen höheren Strafrahmen als die in § 246 StGB geregelte Unterschlagung aufweist. Hierin kommt das erhöhte Tatunrecht zum Ausdruck, das darin begründet ist, dass bei einer Verwirklichung des § 242 StGB zusätzlich zum Eigentum auch der Gewahrsam als zweites Rechtsgut verletzt wird. Demnach ist die zweite Ansicht vorzugswürdig. Dies hat zur Konsequenz, dass auch der Dieb selbst bestohlen werden kann.
Auch interessant: Die Abgrenzung von Diebstahl (§ 242 StGB) und Betrug (§ 263 StGB)
II. Schema: Diebstahl, § 242 StGB
- I. Tatbestand des § 242 StGB
- 1. Objektiver Tatbestand
- a) fremden beweglichen Sache
- b) Wegnahme (fremder Gewahrsam, neuer Gewahrsam, Bruch)
- 2. Subjektiver Tatbestand
- a) Vorsatz
- b) Zueignungsabsicht
- 3. Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
- 4. Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
- 1. Objektiver Tatbestand
- II. Rechtswidrigkeit
- III. Schuld
- IV. Strafzumessung: besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 StGB
III. Der objektive Tatbestand, § 242 StGB
Der objektive Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB erfordert die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.
1. Fremde bewegliche Sache
Es müsste also zunächst eine fremde, bewegliche Sache iSd. § 242 Abs. 1 StGB vorliegen.
Definition: Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand im Sinne des § 90 BGB.
Beachte: Elektrische Energie fällt nicht unter den Sachbegriff iSd. § 242 Abs. 1 StGB. Um ihren Diebstahl zu sanktionieren, wurde § 248 c StGB geschaffen.
Definition: Die Fremdheit der Sache erfordert, dass sie nicht im Alleineigentum des Täters steht, nicht herrenlos und verkehrsfähig ist.
Definition: Die Sache ist außerdem beweglich, wenn sie tatsächlich fortbewegt werden kann. Es reicht dabei aus, wenn sie erst für die Wegnahme beweglich gemacht wurde.
Nach herrschender Meinung ist eine Leiche eine Sache, die aber grundsätzlich herrenlos ist. Etwas anderes kann beispielsweise nur im Rahmen einer Organspende oder der Zurverfügungstellung des Körpers für anatomische Untersuchungen gelten.
Lebende Menschen sind selbstverständlich keine Sachen. Nach herrschender Ansicht gilt dies auch für Körperteile und Implantate, die mit ihnen untrennbar verbunden sind. Bei ihrer Abtrennung werden sie hingegen als Sachen angesehen. Tiere fallen ebenfalls unter den Sachbegriff, vgl. § 90a BGB.
Vertiefung:Examenstypische Probleme bei § 242 StGB – Teil 1: fremde bewegliche Sache
2. Wegnahme
Definition: Die Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.
a) Fremder Gewahrsam
Definition: Der Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft eines Menschen über die Sache.
Die Frage, ob Gewahrsam vorliegt, richtet sich nach der Verkehrsauffassung. Auch Kinder, Geisteskranke, Bewusstlose und Schlafende können einen solchen natürlichen Herrschaftswillen haben.
Wichtig: Der Gewahrsam iSd. § 242 Abs. 1 StGB kann nicht mit dem zivilrechtlichen Besitz gleichgesetzt werden.
Haben mehrere Menschen Gewahrsam an einer Sache, ist zu differenzieren: Für die Wegnahme reicht der übergeordneten Gewahrsams sowie gleichrangigen Mitgewahrsams aus. Dagegen genügt der untergeordneten Gewahrsams nicht für eine Wegnahme.
b) Begründung neuen Gewahrsams
Der Täter begründet neuen Gewahrsam über eine Sache, wenn er die tatsächliche Sachherrschaft über diese derart erlangt hat, dass er sie ungehindert durch den bisherigen Gewahrsamsinhaber ausüben kann und Letzterer nicht mehr über sie verfügen kann, ohne die Verfügungsmacht des Täters zu beseitigen.
Wie die Definition der Wegnahme bereits aussagt, ist auch eine Gewahrsamsbegründung bei Dritten ausreichend.
c) Gewahrsamsbruch
Schließlich muss auch ein Bruch des Gewahrsams gegeben sein.
Definition: Ein Bruch fremden Gewahrsams liegt vor, wenn dieser gegen oder ohne den Willen des bisherigen Inhabers aufgehoben wird.
Der Bruch fremden Gewahrsams wird daher durch ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Gewahrsamsinhabers ausgeschlossen.
Vertiefung: Examenstypische Probleme bei § 242 StGB – Teil 2: Wegnahme und Examenstypische Probleme bei § 242 StGB – Teil 3: Wegnahme
Der absolute Klassiker-Fall: Diebstahl (§ 242 StGB) im Selbstbedienungsladen
IV. Der subjektive Tatbestand, § 242 StGB
Der subjektive Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB verlangt Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie die Zueignungsabsicht des Täters. Letztere hat keine Entsprechung im objektiven Tatbestand. Es handelt sich bei dem Diebstahl also um ein Delikt mit überschießender Innentendenz.
1. Vorsatz
Der Vorsatz wird bekanntermaßen als Wissen und Wollen der tatbestandlichen Verwirklichung definiert.
2. Zueignungsabsicht
Die Zueignungsabsicht des § 242 Abs. 1 StGB besteht aus zwei unterschiedlichen Komponenten:
Der Täter muss zum einen dolus eventualis bezüglich einer dauerhaften Enteignung und dolus directus 1. Grades im Hinblick auf eine zumindest vorübergehende Aneignung aufweisen. Er kann dabei die Absicht haben, sich die Sache selbst oder einem Dritten anzueignen. Die Drittaneignungsabsicht ist jedoch subsidiär zu prüfen.
Erforderlich ist folglich ein Enteignungsvorsatz sowie eine Aneignungsabsicht.
Gegenstand der Zueignung
Seit jeher umstritten ist der Gegenstand der Zueignung. Der Streitstand wird im Folgenden dargestellt.
a. Die Substanztheorie
Gemäß der Substanztheorie liegt eine Zueignung immer dann vor, wenn der Täter die fremde Sache ihrer Substanz nach erlangen will und sie unter Ausschluss des Berechtigten für eigene Zwecke nutzen will.
Probleme im Rahmen der Substanztheorie können sich vor allem im Bereich der eigenmächtigen Verfügung über fremde Sparbücher und dergleichen ergeben. Zwar gibt der Täter die Sache (z.B. das Sparbuch) in diesen Fällen wieder zurück, hat jedoch zuvor den der Sache innewohnenden Wert ganz oder zumindest zum Teil entzogen.
b. Die Sachwerttheorie
Gemäß der Sachwerttheorie liegt eine Zueignung dagegen immer dann vor, wenn der Täter, ohne Rücksicht darauf, wo die Sache endgültig verbleiben soll, den in der Sache verkörperten wirtschaftlichen Wert seinem Vermögen unter Ausschluss des Berechtigten zuführt.
Im Rahmen der Sachwerttheorie werden zwar die sog. Sparbuchfälle einer annehmbaren Lösung zugeführt, jedoch erscheint die Sachwerttheorie unzureichend, wenn die entwendete Sache keinen wirtschaftlichen Wert verkörpert oder von dem Täter anders benutzt wird, als es ihrem wirtschaftlichen Wert entspricht.
c. Die Vereinigungstheorie
Gemäß der Vereinigungstheorie liegt eine Zueignung immer dann vor, wenn der Täter die Sache oder den in ihr verkörperten Sachwert mit Ausschlusswirkung gegen den Eigentümer dem eigenen Vermögen einverleibt. Die Vereinigungstheorie/Vereinigungsformel stellt die heute ganz herrschende Meinung dar.
Als Kritikpunkt lässt sich allerdings anführen, dass die Begründung der Zueignungsabsicht mit Hilfe von Sachwertgesichtspunkten immer die Gefahr einer Verwischung der Grenzen von Zueignungsdelikten und Bereicherungsdelikten in sich trägt.
Aufgrund der oben dargestellten berechtigten Kritik an den aufgeführten Theorien ist somit der Gegenstand der Zueignung bis heute noch immer umstritten.
Hier finden sich die wichtigsten Qualifikationen des Diebstahls §§ 242, 244 StGB
V. Die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und der darauf bezogene Vorsatz
Anschließend folgt die Prüfung der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und des dazugehörigen Vorsatzes des Täters.
Dabei ist zu beachten, dass die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Täter einen fälligen und einredefreien Anspruch auf die Übereignung der Sache hat. Geht es dagegen um eine Drittzueignung, ist auch ein solcher Anspruch des Dritten ausreichend.
Wird eine Sache weggenommen, die Gegenstand einer Stückschuld ist, entfällt die Rechtswidrigkeit also. Bei Gattungsschulden ist dies nicht der Fall, wenn vorher keine Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 StGB) auf die betroffene Sache stattgefunden hat.
Eine Besonderheit ergibt sich bei Geldschulden. Der BGH nimmt hier einen Tatbestandsirrtum des Täters an, wenn er aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre irrtümlich davon ausgegangen ist, einen Anspruch auf das Geld zu haben, das das Opfer gerade bei sich trägt. Dagegen könnte man einwenden, dass es bei Geldschulden nicht darauf ankomme, dass diese mit bestimmten Scheinen bezahlt werden.
Nach der in der Literatur vertretenen Wertsummentheorie entfällt deshalb die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung auch bei Geldschulden, wenn der Täter einen Anspruch auf die Wertsumme des entnommenen Geldes hat.
Zum kostenlosen Vertiefungsvideo des Diebstahl (§ 242 StGB) hier klicken!
Quellen
- Rengier, Rudolf: Strafrecht Besonderer Teil I Vermögensdelikte, 15. Aufl. 2013, § 2.
- Schramm, Edward: Grundfälle zum Diebstahl, JuS 2008, 678 ff.; JuS 2008, 773 ff.
- Schmitz in: MüKoStGB, 2. Aufl. 2012, § 242 Rn. 9.
- Zopfs, Jan: Der Tatbestand des Diebstahls – Teil 1, ZJS 2009, 506 ff; Der Tatbestand des Diebstahls – Teil 2, ZJS 2009, 649 ff.