I. Allgemeines
Ein Unfall auf der Arbeit kann immer passieren. Dafür haben die Arbeitnehmer eine Versicherungspflicht.
Definition: Es ist ein außergewöhnliches Ereignis mit Körperschaden während einer versicherten Tätigkeit, § 8 Abs. 1 SGB VII.
Dabei ist mit der versicherten Tätigkeit diejenige gemeint, die der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag schuldet. Auch umfasst sind dem Arbeitnehmer dienende Tätigkeiten, die nicht ausdrücklich laut Arbeitsvertrag geschuldet sind, genauso wie Betriebswege und der Arbeitsweg (§ 8 Abs. 2 SGB VII).
II. Beispielsfall 1
1. Sachverhalt
B ist Fleischfachverkäuferin bei der großen Supermarktkette E. Zu diesem Zwecke werden immer wieder Kontrolleure zur Qualitätssicherung beauftragt. An einem Mittwoch besucht einer dieser Kontrolleure den Supermarkt und begutachtet die Küche hinter der Fleischtheke, während Frau B gerade Filets aus einer Schweinehälfte schneidet.
Unglücklicherweise ist der Kontrolleur K etwas verträumt und stolpert über seine eigenen Füße. Dabei stößt er Frau B an, die ebenfalls stürzt und dabei gegen eine ungesicherte Kante stürzt. E wollte diese Kante nicht mehr sichern lassen, da für den morgigen Tag ohnehin neue Schränke kommen sollen. Frau B erleidet bei dem Sturz schwere Kopfverletzungen und muss 5 Wochen im Krankenhaus bleiben.
Hat Frau B einen Anspruch auf Schadensersatz gegen K oder E?
2. Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber E
Es könnte ein Anspruch aus einer Nebenpflichtverletzung entstanden sein, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.
Tipp: Mehr zur Schadensersatzprüfung aus § 280 Abs.b 1 BGB findest du hier.
a. Pflichtverletzung
E hat tatsächlich eine vertragliche Pflicht verletzt, indem das Unternehmen es versäumt hat, im Betrieb für die notwendige Arbeitssicherheit zu sorgen. Es bestand die Möglichkeit die ungesicherten Kanten zu sichern, doch E hat aus Kostengründen lieber die Lieferung der neuen Schränke abgewartet. Eine Pflichtverletzung ist damit gegeben.
b. Vertretenmüssen
Nach den §§ 280 Abs. 1 S. 2 und 276 BGB hat E dies auch zu vertreten.
c. Haftungsausschluss
Fraglich ist jedoch, ob ein Haftungsausschluss durch § 104 Abs. 1 S1. SGB VII hier greift.
(1) Unternehmer sind den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind […], sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich […] herbeigeführt haben.
In diesem ist geregelt, dass ein Arbeitgeber von der Haftung frei gesprochen ist, wenn es sich um den Personenschaden eines Arbeitnehmers handelt, der in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist und es sich dabei bei dem Schaden um einen Versicherungsfall handelt. Hierfür darf der Arbeitgeber den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt haben. Auch darf es sich nicht um einen Wegeunfall handeln.
aa. Versicherter
Als Arbeitnehmerin ist Frau B gem. § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VII gesetzlich in der Unfallversicherung versichert.
(1) Kraft Gesetzes sind versichert Beschäftigte, […]
bb. Art des Schadens
Es müsste sich um einen Personenschaden handeln. Da Frau B durch den Unfall einen gesundheitlichen Schaden erlitten hat, ist ein Personenschaden gem. § 104 Abs. 1 S.1 SGB VII zu bejahen.
cc. Versicherungsfall
Des Weiteren muss es sich um einen Versicherungsfall handeln. Diese sind in § 7 Abs. 1 SGB VII geregelt, aus dem es heißt, dass Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten Versicherungsfälle sind. Frau B befand sich auf der Arbeit und wurde während ihrer Arbeitstätigkeit verletzt. Es handelt sich also um einen Arbeitsunfall.
§ 7 SGB VII:
(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
dd. Kein Vorsatz des Arbeitgebers
Zudem dürfte der Arbeitgeber E nicht vorsätzlich gehandelt haben, damit der Haftungsausschluss greift. Dies ist im hiesigen Fall jedoch nicht zu bejahen. Der Vorsatz ist laut Definition des BAG nicht nur auf die Pflichtverletzung gereichtet, also eine willentliche und bewusste Pflichtverletzung, sondern muss auch ausdrücklich den Schadenseintritt hervorrufen wollen. E hatte jedoch nie vor seinen Angestellten vorsätzlich durch Nichtsicherung zu schaden. Er hat sich wohl eher keine Gedanken um die Gefahr gemacht. Es handelt sich hier demgemäß um einen Vorsatz im Sinne des § 104 Abs. 1 SGB VII.
ee. Ggf. Wegeunfall
Auch um einen Wegeunfall im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII handelt es sich hier nicht.
c. Zwischenergebnis
Der Haftungsausschluss des §104 Abs. 1 SGB VII greift nicht, da E vorsätzlich handelte. Somit haftet E gegenüber Frau B und ein Anspruch auf Schadensersatz ist auch gegeben.
Des Weiteren kann geprüft werden, ob Frau B gegenüber E Ansprüche aus § 823 Abs. 1, 2 BGB geltend machen kann.
Dem Grunde nach wären diese Ansprüche gegeben, da es sich hier um eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht handelt.
3. Schadensersatzansprüche gegen den Kontrolleur K
Frau Braten möchte nun prüfen lassen, ob sie Ansprüche gegen Kontrolleur K geltend machen kann. Dafür gilt es zu prüfen, ob ein Anspruch aus unerlaubter Handlung besteht. Ein solcher Anspruch könnte bestehen, wenn eine kausale Rechtsgutsverletzung vorliegt, die M verschuldet hat und keine Anrechnung im vollen Umfang stattfindet.
Tipp: Mehr zur Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB findest du hier.
a. Kausale Rechtsgutsverletzung
Dadurch, dass K Frau B anstieß, stürzte diese und verletzte sich dabei. Eine kausale Rechtsgutsverletzung liegt somit vor.
b. Verschulden
K hat diese Verletzung fahrlässig herbeigeführt.
c. Schaden
Tipp: Zur Erklärung der Bestimmung des Schadens gemäß §§ 249 ff. BGB, lies hier.
Nach § 249 BGB ist im vorliegenden Fall der kausale Schaden zu ersetzen. Darüber hinaus hat Frau B gem. § 253 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Schmerzensgeld. § 104 Abs. 3 SGB VII besagt, dass Leistungen, die der Geschädigte durch die gesetzliche Unfallversicherung erhält auf Schadensersatzansprüche anzurechnen sind.
(3) Die nach Absatz 1 oder 2 verbleibenden Ersatzansprüche vermindern sich um die Leistungen, die Berechtigte nach Gesetz oder Satzung infolge des Versicherungsfalls erhalten.
Aus diesem Grund fallen die Schadensersatzansprüche gegen Kontrolleur K weg.
Eventuell käme auch ein Anspruch von Frau B gegen K aus § 823 Abs. 2 BGB und § 229 StGB in Frage.
4. Endergebnis
Frau B kann gegen E keine Ansprüche geltend machen. Sie erhält lediglich Leistungen durch die Unfallversicherung, welche immer nur ihren materiellen Schaden ersetzen. Gegen K hat sie einen Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld.
III. Beispielsfall 2
1. Sachverhalt
P ist Profibasketballer beim M. Bei einem Spiel gegen G wird P nach wenigen Spielminuten vom Gegenspieler F übel gefoult. P bricht sich dabei den Ellenbogen und muss ins Krankenhaus. Er ist für 12 Wochen arbeitsunfähig und kann nicht spielen. Als er wieder loslegen kann, bemerkt er, dass sein Arm einfach nicht mehr so gut funktioniert wie vor dem Unfall, und dass es ihm auch etwas an Kondition mangelt. Dadurch spielt er nicht mehr so gut und sein Marktwert sinkt deutlich. Auch sein Vertrag bei M wird nicht verlängert.
Hat P Ansprüche gegen G oder F?
P möchte zunächst wissen, ob er Ansprüche gegen die gegnerische Mannschaft geltend machen kann.
2. Schadensersatzansprüche gegen M
Ein solcher Anspruch wäre lediglich aus § 823 Abs. 1, 2 BGB i. V. m. § 229 StGB herzuleiten. Immerhin wurde P von F grob fahrlässig im Spiel verletzt und damit an der Gesundheit geschädigt. Auch eine Einwilligung von P steht dem nicht entgegen. Er hat am Spiel nicht mit dem Wissen teilgenommen, dass F ihn absichtlich mit grob regelwidrigem Verhalten verletzt. Jedoch ist auch hier fraglich, ob die Haftung der Mannschaft M nicht durch § 105 Abs. 1 S.1 SGB VII ausgeschlossen ist.
(1) Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich […] herbeigeführt haben.
Zwar gilt dieser nur für Arbeitnehmer des selben Betriebs, jedoch sieht das Gesetz eine Ausnahme vor. § 106 Abs. 3 Var. 3 SGB VII sieht vor, dass § 105 Abs. 1 S.1 SGB VII trotzdem Anwendung findet, wenn Versicherte verschiedener Unternehmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte betrieblich tätig sind.
(3) Wirken Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder Unternehmen des Zivilschutzes zusammen oder verrichten Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte, gelten die §§ 104 und 105 für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander.
a. P und F Versicherte
Auch Profibasketballer gelten als Arbeitnehmer der jeweiligen Vereine und sind somit Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und damit kraft Gesetz versichert.
b. Gemeinsame Betriebsstätte
Die Tätigkeit ist in diesem Fall nicht rechtlich, sondern tatsächlich zu ermitteln. Dafür entscheidend ist ein gewolltes und bewusstes gemeinsames Tätigwerden, was durch das gemeinsame Spiel hier gegeben ist.
c. Versicherungsfall
Es liegt auch ein Versicherungsfall im Sinne der §§ 7, 8 Abs. 1 S.1 SGB VII vor.
d. Ausschluss durch Vorsatz
Der Versicherungsfall wurde laut Sachverhalt nicht vorsätzlich von dem Schädiger herbeigeführt.
e. Zwischenergebnis
§ 106 Abs. 3 SGB VII greift in diesem Fall zugunsten von M, welcher nicht haften muss. P hat somit keine Ansprüche gegenüber M.
3. Schadensersatzansprüche gegen F
Die einzige Möglichkeit bestünde hier über den deliktischen Anspruch aus § 831 BGB. Da jedoch F sich gemäß § 831 Abs. 1 S.2 BGB exkulpieren kann, wird dieser Anspruch scheitern.
Tipp: Lies hier mehr über die Prüfung des § 831 BGB.
P hat keine Ansprüche gegenüber F.
4. Endergebnis
P hat weder gegenüber M noch gegenüber F Ansprüche, die er geltend machen kann und bekommt lediglich die Leistungen der Unfallversicherung.