I. Geschichte des Deutschen Bundestags
Der Wiederaufbau der deutschen Staatlichkeit erfolgte nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschen Reichs am 8. Mai 1945 von unten: Zunächst setzten die Besatzungsmächte auf kommunaler Ebene Bürgermister und Landräte ein. Erst danach wurden politische Parteien zugelassen und erste Gemeindevertretungen und Kreistage gewählt.
Im gleichen Atemzug des Jahres 1946 wurden Länder in den Besatzungszonen eingerichtet und es wurden Wahlen verfassungsgebender Landesversammlungen abgehalten. In dieser Zeit wurden die ersten demokratischen Erfahrungen der Nachkriegszeit gemacht. Aus den Landesversammlungen gingen schließlich Verfassungen und Landtage hervor, die die Grundlage für das staatliche Leben in den 11 westdeutschen Ländern bildeten.
Durch die sogenannten Frankfurter Dokumente, die durch die westalliierten Militärgouverneure den 11 Ländern überreicht wurden, wurde anstatt einer verfassungsgebenden Versammlung ein Parlamentarischer Rat gebildet, der anstelle einer Verfassung eben nur ein Grundgesetz verabschieden sollte.
Im August 1948 wurden schließlich die Abgeordneten für den Parlamentarischen Rat in den 11 Ländern gewählt, die zum 1. September 1948 zusammentraten. Kurz darauf wurde die deutsche Staatlichkeit durch die Wahl des 1. Bundestages am 14. August 1949 zelebriert. Bis zum 20. September 1949 dauerte es zur Bildung der Bundesregierung unter Adenauer. Seitdem gilt die Bundesrepublik Deutschland als endgültig handlungsfähig.
II. Die Aufgaben des Bundestags
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1. Gesetzgebung
Eine besondere und zentrale Stellung hat das Parlament durch die Gesetzgebung. Alle Gesetze müssen durch den Bundestag entschieden werden. Das heißt aber nicht, dass durch das Parlament alle gesetzlichen Normen geregelt werden. Verordnungen und Satzungen fallen eben nicht unter den Gesetzesvorbehalt. Jedoch haben Gesetze nach der Verfassung den höchsten Rang und werden in einem besonderen Verfahren geregelt.
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2. Besetzung von Staatsorganen
Da das Parlament direkt vom Volk gewählt wird, besitzt es eine sehr hohe demokratische Legitimation. Diese gibt sie bei der Besetzung wichtiger Staatsorgane weiter, insbesondere bei der Wahl
- des Bundeskanzlers,
- des Bundespräsidenten,
- der Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe,
- des Wehrbeauftragten,
- des Präsidenten des Bundesrechnungshofes.
3. Kontroll- und Mitentscheidungsrecht
Grundlegende Entscheidungen der Bundesregierung müssen durch den Bundestag bestätigt werden. Völkerrechtliche Verträge, die Feststellung des Haushaltsplanes und der Einsatz der Bundeswehr können nicht durch die Bundesregierung allein entschieden werden. Das Parlament übt in Form gesetzlicher Zustimmung ein Kontroll- und Mitentscheidungsrecht bei besonderen politischen Akten aus.
Ganz traditionell ist es Aufgabe des Parlaments die Regierung zu kontrollieren. Durch die Parteiendemokratie sind die Kontrollrechte des Parlaments als Minderheitsrechte ausgestaltet, die naturgemäß von der Opposition genutzt werden:
- Das Zitier- und Fragerecht zwingt die Bundesregierung, wenn gewünscht, in Ausschüssen und Parlament der Opposition Rede und Antwort zu stehen.
- Das parlamentarische Untersuchungsverfahren erweitert das Fragerecht der Opposition, ungeklärte Sachverhalte von größerer politischer Dimension aufzuklären und im Umfeld von Medien und Öffentlichkeit zu bewerten.
- Das Überprüfungsrecht der jährlichen Haushaltspolitik der Bundesregierung dient zwar regelmäßig zur Generalabrechnung mit der Regierung, dient aber vor allem der Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Ausgaben.
- Auch im Bereich der Verteidigung müssen sich die Ausgaben für die Streitkräfte seit 1957 aus dem Haushaltsplan heraus ergeben. Ein Wehrbeauftragter des Bundestages dient informatorisch als Hilfsorgan dem Parlament.
- Eine schlichte, weil nicht bindende Lenkungs- und Leitungsfunktion, haben sogenannte Parlamentsbeschlüsse, die umso stärker auf die Regierung wirken, je präsenter das jeweilige Thema in der Öffentlichkeit ist. Bei schlichten Parlamentsbeschlüssen handelt es sich um Stellungnahmen oder Empfehlung des Parlaments gegenüber der Bundesregierung.
III. Organisation
Obwohl offiziell das Plenum des Parlaments die Aufgaben wahrnimmt, lassen sich Arbeitsabläufe nicht ohne die zwei wichtigsten Untergliederungen des Plenums verstehen:
- Fraktionen
- Ausschüsse
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1. Fraktionen
Definition: Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die derselben Partei angehören.
Sie sind für die Strukturierung der politischen Meinung im Vorfeld der parlamentarischen Entscheidungen notwendig. Was gemeinhin immer falsch verstanden wird, ist, dass Fraktionen nicht Teile einer Partei, sondern Teile des Parlaments sind. Fraktionen sind auch nicht Parteien im Parlament, was sich schon daraus ergibt, dass eine Fraktion nicht an Parteibeschlüsse gebunden ist. Kein Abgeordneter ist aufgrund seiner Parteizugehörigkeit verpflichtet, einer bestimmten Fraktion beizutreten.
Fraktionen müssen eine Mindeststärke von 5% aller Bundestagsmitglieder haben. Andernfalls würde man lediglich von einer parlamentarischen Gruppe sprechen. Die Unterschiede zwischen Fraktionen und parlamentarischen Gruppen zeigen sich in den einzelnen Mitwirkungsrechten. Laut Bundesverfassungsgericht sind das:
- Ausschussvorsitz: Abgeordnete von Gruppen können keinen Vorsitz beanspruchen.
- Keine Mitgliedschaft:
- In Enquete-Kommissionen
- In Untersuchungsausschüssen
- Im Vermittlungsausschuss
- Im Gemeinsamen Ausschuss
- Beschränktes Recht, Änderungsanträge der Geschäftsordnung des Bundestages zu stellen
- Kein Anspruch auf vollen Fraktionszuschuss
2. Ausschüsse
Ausschüsse erledigen die eigentliche parlamentarische Arbeit und stehen im Gegensatz zum Plenum des Bundestages. Wird im Plenum die öffentliche Meinung in Form von Standpunkten der Fraktionen kundgetan, so findet in den Fachausschüssen die Sacharbeit statt. Gemäß der Fraktionsstärke sind die Ausschüsse zusammengesetzt und sie bereiten die Beschlüsse des Bundestages zur Abstimmung vor. Daher werden sie auch als „Parlament im Kleinen“ bezeichnet. Auch sie haben gegenüber der Regierung Informations- und Kontrollrechte, um Gesetzentwürfe beraten und als Empfehlung dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen zu können.
Die einzelnen Mitglieder werden nicht gewählt, sondern von den Fraktionen ernannt. Zwar ist der Bundestag frei, Ausschüsse einzurichten, jedoch sind bestimmte Ausschüsse per Verfassung oder Gesetz vorgeschrieben. Dazu gehören:
- Der Ausschuss für EU-Angelegenheiten
- Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten
- Der Verteidigungsausschuss
- Der Petitionsausschuss
- Der Wahlprüfungsausschuss
- Der Haushaltsausschuss
IV. Wahl
1. Allgemein
Die Wahl des Bundestags durch das Volk stellt eine Ausprägung des Demokratieprinzips, Art. 20 Abs. 2 GG dar.
Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG legt eine Regelwahlperiode von 4 Jahren fest. Eine Veränderung der Dauer der Legislaturperiode ist demnach nur durch Verfassungsänderung möglich.
Die Legislaturperiode beginnt mit dem ersten Zusammentritt des Bundestags. Diese sog. konstituierende Sitzung muss gem. Art. 39 Abs. 2 GG spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl stattfinden.
2. Grundsatz der Diskontinuität
Das Wahlsystem in Deutschland ist durch den Grundsatz der Diskontinuität geprägt, der personelle, sachliche und institutionelle Ausprägung findet:
- Personell: Das Mandat der bisherigen Abgeordneten erlischt.
- Sachlich: Alle Gesetzesentwürfe verfallen und müssen bei Bedarf neu eingebracht werden, § 125 GO-BT. Alles was die Beschlussfassung des alten Bundestags bedurfte ist mit der neuen Wahlperiode beendet.
- Institutionell: Alle Einrichtungen, deren Bestand von einer Entscheidung des Bundestags abhängt, werden aufgelöst. Insbesondere Ausschüsse sind von dieser Regelung betroffen: Untersuchungsausschüsse müssen ihren Abschlussbericht bis zum Ende der Legislaturperiode vorstellen, ansonsten muss im neuen Bundestag ein neuer Ausschuss zusammentreten.
3. Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG
Die Wahlgrundsätze, nach denen die Bundestagswahl abläuft, sind in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verankert.
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4. Wahlsystem
Das Wahlsystem wird durch das Bundeswahlgesetz (BWahlG) bestimmt.
Demnach wird der Bundestag durch eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl gewählt. Dieses System, das eine Kombination aus beiden Wahlsystemmodellen darstellt, nennt man auch personalisierte Verhältniswahl:
Maßgebend sind die Grundsätze der Verhältniswahl. Die Zusammensetzung des Bundestags bestimmt sich in erster Linie nach denen für die Parteien prozentual abgegebenen Stimmen. Zusätzlich gibt es die sog. 5%-Hürde, um Splitterparteien zu verhindern. Die Hürde ist notwendig, um die Nachteile des Systems der Verhältniswahl auszugleichen. Die Elemente der Mehrheitswahl hingegen dienen dazu, eine persönliche Verbindung zwischen Abgeordneten und Wahlkreis herzustellen.
5. Ablauf
Bei der Bundestagswahl werden nach dem BWahlG 598 Abgeordnete gewählt.
299 Abgeordnete werden hierbei nach Einzelwahlkreisen, 299 über Landeslistengewählt. Hierfür hat jede*r Wähler*in gem. § 4 BWahlG zwei Stimmen: Erst- und Zweitstimme.
Die Erststimme wird verwendet, um den/die Direktkandidat*in zu wählen. Mit der Zweitstimme wird eine Partei gewählt. Die Zweitstimme ist damit maßgebend und Ausdruck der vorherrschenden Verhältniswahl.
Da die Erst- und die Zweitstimme aufgesplittet werden können, entstehen Überhangmandate.
a) 5%-Sperrklausel
Nach § 6 Abs. 3 BWahlG finden nur Parteien Berücksichtigung, die bundesweit mindestens 5% errungen haben. Rückausnahme zu dieser Regel ist die Grundmandatsklausel (s.u.), die den jeweiligen Listenanteil nachziehen.
Durch die 5%-Hürde wird die Wahlrechtsgleichheit eingeschränkt (Zählwert gleich, Erfolgswert nicht gleich). Diese Beschränkung der Chancengleichheit der kleineren und nicht etablierten Parteien wird für den Schutz vor Zersplitterung des Parlaments und damit der Wahrung der Funktionsfähigkeit in Kauf genommen.
b) Grundmandatsklausel
Die Grundmandatsklausel in § 6 Abs. 3 S. 2 BWahlG als Rückausnahme zur 5%-Hürde bestimmt die Aussetzung dieser, wenn mindestens drei Direktmandate errungen werden. Dies reduziert wiederum die Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit.
c) Überhangmandate
Gibt es mehr Direktmandate als einer Partei nach der Zweitstimme zustehen, entstehen Überhangmandate. Durch dieses Phänomen werden in der Regel insbesondere größere Parteien begünstigt. Hierdurch erhöht sich die Gesamtanzahl der Abgeordneten.
6. Berechnung
Für das Erstreiten der Direktmandate durch die Erststimme ist die relative Mehrheit ausreichend.
Die Zweitstimme hingegen bestimmt die Besetzung der freien Sitze einer Partei durch die Landeslisten.
7. Wahlprüfung, Art. 41 GG
Die Wahlprüfung gem. Art. 41 GG bestimmt die nachträgliche objektive Überprüfung über die Gültigkeit der Wahl. Liegen erhebliche Verstöße gegen das Wahlrecht mit Auswirkung auf die parlamentarische Kräfteverteilung vor, kann eine Berichtigung durch Neuauszählung, begrenzte Nachwahl oder vollständige Neuwahlen möglich sein.
Die erste Prüfungsinstanz ist der Bundestag selbst. Es kann Einspruch nach § 2 WahlprüfG gegen das Ergebnis des Bundestags eingelegt werden.
Sodann würde die Wahlprüfung durch das BVerfG weitergeführt. Es prüft als zweite Instanz gem. § 13 Nr. 3 BVerfG die Beschwerde.
V. Vorzeitige Auflösung des Bundestags
Das Grundgesetz ist auflösungsfeindlich. Deshalb ist die vorzeitige Auflösung des Bundestags nur in zwei Ausnahmefällen möglich:
- Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG: Besteht keine absolute Mehrheit für den Bundeskanzler, kann in einer Wahl mit einfacher Mehrheit ein Bundeskanzler entschieden werden. Wenn diese Wahl ebenfalls fehlschlägt, kommt die Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten in Betracht.
- Art. 68 GG: Der Bundeskanzler kann dem Parlament die Vertrauensfrage stellen. Wenn er oder sie keine absolute Mehrheit erhält, kann er Bundespräsident vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.