Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Einsatz deutscher Streitkräfte allgemein sind die Art. 87a GG und Art. 24 Abs. 2 GG.
Definition: Unter Einsatz wird nach herrschender Meinung die Verwendung der Bundeswehr unter Einsatz militärischer Mittel (ergo: bewaffnet) verstanden.
Soll die Verfassungsmäßigkeit eines Bundeswehreinsatzes beurteilt werden, muss zunächst nach dem Einsatzort (Inland oder Ausland) und dem Einsatzzweck (zur Verteidigung oder wegen ausdrücklicher grundrechtlicher Erlaubnis) unterschieden werden.
I. Grundsatz: nur zur Verteidigung
Grundsätzlich dürfen die Streitkräfte nur zur Verteidigung eingesetzt werden gem. Art. 87a Abs. 2 1.HS GG.
Der Begriff „Verteidigung“ ist hierbei nicht gleichzusetzen mit dem in Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG genannten „Verteidigungsfall“.
Definition: Vielmehr meint Verteidigung die Abwehr eines von außerhalb der Grenzen des Bundes kommenden, bewaffneten Angriffs.
Nach herrschender Meinung muss sich dieser Angriff nicht ausschließlich gegen die BRD richten, sondern es sind auch Fälle der Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO umfasst.
Eine Verteidigung ist geboten bei:
- Angriffen auf das Gebiet der BRD
- Angriffen auf einen NATO-Partner
1. Angriffe auf das Gebiet der BRD
Definition: Ein Angriff im Sinne des Völkerrechts (vgl. Art. 51 UN-Charta) liegt vor, wenn ein Staat den anderen mit militärischen Mitteln angreift.
Strittig ist hierbei, ob auch ein terroristischer Anschlag wie z. B. 9/11 als Angriff zu sehen ist. Dies wird nach herrschender Meinung dann bejaht, wenn die Terrororganisation militärisch operiert und auch dementsprechend strukturiert ist, sodass polizeiliche Mittel allein zur Abwehr nicht ausreichen würden. Der Anschlag darf jedoch nicht ausschließlich vom Inland ausgehen und muss einem anderen Staat zumindest mittelbar zurechenbar sein.
a) Verteidigungsfall
Gem. Art. 115a Abs. 1 GG wird das Vorliegen eines Verteidigungsfalles durch eine 2/3 Mehrheit des Bundestages mit Zustimmung des Bundesrates festgestellt. Genaueres regeln die Art. 115 a – 115 Abs. 1 GG.
b) Spannungsfall
Definition: Ein Spannungsfall i.S.d. Art. 80a Abs. 1 GG liegt vor, wenn ein Angriff noch nicht erfolgt ist, aber unmittelbar droht.
Es handelt sich insoweit um eine Vorstufe des Verteidigungsfalls. Auch der Spannungsfall muss durch eine 2/3 Mehrheit des Bundestages mit Zustimmung des Bundesrates festgestellt werden.
2. Angriffe auf einen NATO-Partner/ Bündnisverteidigungsfall
Wird ein NATO-Partner der BRD angegriffen, tritt der in Art. 5 NATO-Vertrag geregelte Bündnisfall ein. Grundlage für Art. 5 NATO-Vertrag ist wiederum Art. 51 UN-Charta, welcher jedem Staat ein naturgegebenes individuelles sowie auch kollektives Selbstverteidigungsrecht zugesteht.
Auf Bundesebene liegt die rechtliche Grundlage für einen solchen Einsatz nach herrschender Meinung in Art. 87a Abs. 2 1.HS GG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 GG. So wird der Begriff der Verteidigung aus Art. 87a Abs. 2 1.HS GG in diesem Fall funktional verstanden, sodass sich die BRD gem. Art. 24 Abs. 2 GG zur Wahrung des Friedens einem kollektiven Sicherheitssystem anschließen kann. Die NATO als Bündnis kollektiver Selbstverteidigung wird als ein ebensolches System kollektiver Sicherheit i.S.d. Art. 24 Abs. 2 GG angesehen.
Mit der Vertragsgegenzeichnung ist die BRD gem. Art. 59 Abs. 2 GG der NATO beigetreten und hat in die Beschränkung ihrer Hoheitsrechte eingewilligt.
Grundsätzlich kann jeder Bündnispartner selbst beurteilen, ob ein Bündnisfall im Sinne des Art. 5 NATO-Vertrag vorliegt, und wenn ja, in welcher Weise er seiner Beistandspflicht genügt. Dies ist in Art. 5 Abs. 1 NATO-Vertrag ausdrücklich geregelt. So heißt es darin, dass jede Vertragspartei:
die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.
Zum bisher einzigen Mal wurde der Bündnisfall i.S.d. Art. 5 NATO-Vertrag durch den NATO-Rat am 12. September 2001 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon ausgerufen. Der Bündnisfall wurde nicht aufgehoben und ist bis heute (formell) in Kraft.
Abschließend bleibt festzustellen, dass es bei Vorliegen eines Verteidigungsfalles bzw. eines Bündnisverteidigungsfalles unerheblich ist, ob die Bundeswehr im In- oder Ausland eingesetzt wird.
II. Ausnahme: Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 2. HS GG
Gem. Art. 87a Abs. 2 2.HS GG dürfen deutsche Streitkräfte ausnahmsweise nicht zur nur Verteidigung, sondern auch aus anderen Gründen eingesetzt werden, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt.
Hier muss nun differenziert werden zwischen Einsätzen im Inland und Einsätzen im Ausland.
1. Einsätze im Inland
- Art. 87a Abs. 3 GG: Äußerer Notstand (Verteidigungs- oder Spannungsfall); hier ist gerade nicht der Fall des Art. 87 Abs. 2 1.HS GG gemeint, die Streitkräfte werden zum Schutz ziviler Objekte und zur Verkehrsregelung sowie allgemeinen Unterstützung der Polizei eingesetzt!
- Art. 87a Abs. 4 GG: Innerer Notstand (Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Bundes oder eines Landes)
- Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG: Polizeilicher Notstand
- Art. 35 Abs. 3 GG: Katastrophennotstand
In all diesen Fällen dürfen die Streitkräfte nur zur Unterstützung der Polizei herangezogen werden. Sie dürfen dabei nur polizeitypische Waffen einsetzen, sollen also quasi als zusätzliche Polizeikräfte agieren.
2. Einsätze im Ausland
Nach herrschender Meinung und insbesondere nach der Entscheidung des BVerfG zum Lissabon-Vertrag (BVerfGE 123, 267), gilt der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 2.HS. GG auch für Einsätze der Streitkräfte im Ausland. Diesem Verfassungsvorbehalt entspricht für Auslandseinsätze nur Art. 24 Abs. 2 GG.
Verfassungsrechtliche Grundlage für derartige Einsätze bildet also Art. 24 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 87a Abs. 2 2.HS. GG.
Hier ist zwischen folgenden Fällen zu differenzieren:
- Einsatz als UN-Friedenstruppe („Blauhelme“) auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates
Auch die UN wird als System kollektiver Sicherheit i.S.d. Art. 24 Abs. 2 GG angesehen.
Der Einsatz muss der Friedensschaffung dienen gem. Art. 42 UN-Charta. Ein solcher Einsatz wurde auch vom BVerfG gebilligt.
- Einsatz als UN-Sanktions- bzw. Kampftruppe auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates
Auch hier muss der Einsatz der Friedenschaffung dienen gem. Art. 43 UN-Charta. Hierzu wurde vom BVerfG noch keine Stellung bezogen.
- Einsatz im NATO-Verband
Hier liegt kein Bündnisfall vor und der Einsatz erfolgt außerhalb des NATO-Gebietes, also „out of area“ (Bsp.: AWACS 1993).
Grundsätzlich muss der Einsatz im Auftrag der UN erfolgen. Die NATO ist durch Verträge in das Sicherheitssystem der UN einbezogen. Auch dies wurde vom BVerfG gebilligt.
Sehr strittig ist die Zulässigkeit von Einsätzen der Bundeswehr im NATO-Verband ohne Auftrag der UN (Bsp.: Kosovo). Gerechtfertigt werden derartige Einsätze durch völkerrechtliche Notstände und zur Abwendung einer humanitären Katastrophe bzw. zur Aufrechterhaltung eines Mindeststandards der Menschenrechte. Hierzu hat das BVerfG noch keine Entscheidung getroffen.
III. Beschluss über den Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland
Nach herrschender Meinung und laut dem BVerfG (BVerfGE 90, 286) bedarf ein derartiger Einsatz der Zustimmung des Bundestages mit einfacher Mehrheit (Parlamentsvorbehalt). Bei Gefahr im Verzug kann die Bundesregierung die Streitkräfte auch vorläufig entsenden und muss später die nachträgliche Zustimmung des Bundestages einholen.