Beispiel: Ein Arbeitnehmer überzieht seine Pausen hin und wieder ohne Entschuldigung um eine Viertelstunde. Dies stellt zwar einen arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß dar, reicht aber nicht für eine Kündigung aus. Hat der Arbeitgeber dieses Fehlverhalten jedoch abgemahnt, d.h. dem Arbeitnehmer wegen des Überziehens von Pausen die gelbe Karte gezeigt, darf er im Falle eines erneuten, nach der Abmahnung begangenen Arbeitszeitverstoßes (unentschuldigte Verspätung, unentschuldigtes Pausenüberziehen) kündigen. Denn dann ist aufgrund der bereits erteilten Abmahnung nicht zu erwarten, dass eine weitere Abmahnung eine Verhaltensänderung bewirkt, und dem Arbeitgeber ist eine solche weitere Abmahnung auch nicht zuzumuten.
I. Der Begriff der Abmahnung
Die Abmahnung im deutschen Arbeitsrecht gilt als milderes Mittel vor dem Ausspruch einer Kündigung.
Grundsätzlich sind sowohl eine verhaltensbedingte fristgerechte Kündigung wie auch eine fristlose Kündigung erst nach dem Ausspruch einer Abmahnung zulässig. Jedoch gefährdet nicht jede Vorhaltung oder dringende Ermahnung seitens des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis. Rechtlich relevant wird eine Beanstandung nur dann, wenn eine Abmahnung im Rechtssinne vorliegt.
Aufgrund des sog. Prognoseprinzips sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann eine einmalige Verfehlung seitens des Arbeitnehmers nur in Ausnahmefällen eine sofortige Kündigung legitimieren. Eine Abmahnung ist immer dann von Nöten, wenn die Prognose besteht, dass sich der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung in Zukunft vertragsgemäß verhalten wird. Somit kommt der Abmahnung im Arbeitsrecht in erster Linie eine Warnfunktion zu, die den Arbeitnehmer zu ordnungsgemäßem Vertragsverhalten ermahnen soll.
Demgegenüber ist eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitgeber ohne weiteres zu Tage tritt und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist, nicht (mehr) erforderlich.
Sofern sich ein Arbeitgeber für den Ausspruch einer Abmahnung entscheidet, so liegt hierin zugleich konkludent der Verzicht auf eine Kündigung. Erst im Wiederholungsfall tritt dann die Kündigung an die Stelle der Abmahnung.
II. Funktionen der Abmahnung
1. Rüge- und Hinweisfunktion
Im Sinne einer Rüge- und Hinweisfunktion weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit einer Abmahnung auf dessen Vertragspflichten aus dem Arbeitsvertrag bzw. deren Verletzung hin.
Um den Arbeitnehmer über die Abmahnung sozusagen an die Hand zu nehmen und ihn zu einem vertragsgerechten Verhalten zu leiten, soll dessen Fehlverhalten klar bezeichnet werden. Zudem soll dieser erkennen können, was er in Zukunft an seinem Verhalten ändern soll. Mithin ist eine genaue Beschreibung des beanstandeten Sachverhaltes/Verhalten erforderlich.
Rein pauschalisierte Erklärungen, wie der Arbeitnehmer hätte nicht gut gearbeitet, sind jedoch nicht ausreichend.
2. Warnfunktion
Mittels der Warnfunktion wird der Arbeitnehmer durch seinen Arbeitgeber angehalten, sich in Zukunft vertragsgemäß im Sinne des Arbeitsvertrages zu verhalten. Für den Fall einer neuerlichen Pflichtverletzung steht die Kündigung des Arbeitnehmers im Raum.
Für eine Kündigung ist jedoch dann erforderlich, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten in vergleichbarer Weise verletzt.
Grundsätzlich besteht auch keine mengenmäßige Begrenzung bzgl. der Zahl an Abmahnungen, die vor dem endgültigen Ausspruch einer Kündigung ergehen können/sollen. In manchen Fällen genügt bereits eine Abmahnung, um den Arbeitnehmer wieder auf den rechten Weg zu bringen, in anderen Fällen – gerade bei kleineren und leichten Verstößen gegen den Arbeitsvertrag – kann auch eine Vielzahl an Abmahnungen gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgen.
Jedoch kann die Wirkung der Abmahnung dann entfallen, wenn es dieser an der notwendigen Ernstlichkeit fehlt und der Arbeitgeber im Falle ständiger, immer wieder kehrender Pflichtverletzung stets nur mit einer Kündigung droht, ohne diese im Ernstfall auch umzusetzen.
3. Dokumentationsfunktion
Ferner kann der Arbeitgeber über die Dokumentationsfunktion mit der Abmahnung den Nachweis erbringen, dass er den Arbeitnehmer mit der Androhung rechtlicher Konsequenzen zur Erbringung pflichtgemäßer Arbeit aufgefordert hat. Eine Schriftform ist hierbei nicht erforderlich, erleichtert jedoch bei Streitigkeiten um das Arbeitsverhältnis den erforderlichen Nachweis. Somit gilt § 623 BGB nur für die Kündigung selbst. Damit ist auch eine mündlich ausgesprochene Abmahnung wirksam.
III. Wirksamkeitsvoraussetzungen der Abmahnung
Damit überhaupt eine Abmahnung vorliegt, sind noch folgende Voraussetzungen erforderlich:
- Arbeitgeber muss das abgemahnte Verhalten möglichst genau beschreiben, d.h. er muss Datum und Uhrzeit des Vertragsverstoßes nennen. Pauschale Hinweise auf „häufiges Zuspätkommen“ oder „mangelhafte Arbeitsleistungen“ stellen keine Abmahnung dar.
- Arbeitgeber muss das abgemahnte Verhalten deutlich als Vertragsverstoß rügen und den Arbeitnehmer dazu auffordern, dieses Verhalten in Zukunft zu unterlassen.
- Arbeitgeber muss klar machen, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen muss.
Ferner setzt die Abmahnung nach herrschender Ansicht kein Verschulden des Arbeitnehmers voraus. Auch muss der Arbeitnehmer vor einer Abmahnung grundsätzlich nicht angehört werden (außer tarifliche Vorgaben sehen dies vor).
Zudem muss der Arbeitnehmer von dem Inhalt der Abmahnung tatsächlich Kenntnis erlangen. Dies ist nicht bereits durch den Zugang der Erklärung beim Arbeitnehmer gegeben.
Des Weiteren kann eine Abmahnung auch durch Mitarbeiter erfolgen, die ihrer Aufgabenstellung nach dazu berechtigt sind, Anweisungen zur Art und Weise, sowie zum Ort und zur Zeit der auszuführenden Tätigkeit zu geben.
Zuletzt ist der Ausspruch einer Abmahnung nicht an eine Ausschlussfrist gebunden (wie sie z.B. bei § 626 Abs. 2 BGB für die fristlose Kündigung besteht). Hier hängt der Verlust der Abmahnwirkung vielmehr von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.
IV. Unterschied zwischen Abmahnung und Ermahnung
Viele Arbeitgeber sprechen oft anstelle einer Abmahnung eher eine bloße Ermahnung aus. Für den betroffenen Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob er vielleicht trotz der weniger schlimm klingenden Bezeichnung der Rüge eine „echte“ Abmahnung erhalten hat oder nicht.
Bei dieser Frage – Abmahnung oder bloße Ermahnung – kommt es nicht auf die Bezeichnung der vom Arbeitgeber erhobenen Vorwürfe an, sondern allein auf die Frage, ob die obigen Voraussetzungen einer Abmahnung gegeben sind. Ist das der Fall, liegt eine Abmahnung vor, egal wie sie von den Parteien bezeichnet wird.
V. Abmahnung durch den Arbeitnehmer?
Grundsätzlich werden Abmahnungen durch den Arbeitgeber ausgesprochen, doch kann auch der Arbeitnehmer zum Ausspruch einer Abmahnung berechtigt sein, sofern der Arbeitgeber gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. Voraussetzung ist hierbei ein konkreter Vertragsverstoß des jeweils anderen Vertragspartners, der durch die Abmahnung beanstandet wird.
VI. Abmahnung auch vor einer außerordentlichen Kündigung?
Fraglich erscheint, ob eine Abmahnung auch vor einer außerordentlichen Kündigung zu erfolgen hat. Grundsätzlich ist dies zu bejahen. Nach der aktuellen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den allermeisten Fällen auch vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zuvor eine Abmahnung erteilen.
So betont das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner neueren Rechtsprechung, dass auch erhebliche Pflichtverstöße wie z.B. eine kriminelle Handlung des Arbeitnehmers kein ausreichender Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung sind, wenn der angerichtete Schaden gering ist (Bagatelldiebstahl, Bagatellbetrug), wenn das Arbeitsverhältnis zuvor lange Zeit ohne Beanstandungen durchgeführt wurde und wenn der Pflichtverstoß ein einmaliger Ausrutscher war. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber sogar einen Diebstahl oder einen Betrug abmahnen, kann somit aus diesem Grund nicht kündigen.
VII. Entfernungsanspruch
Ferner steht dem Arbeitnehmer bei rechtswidrig erfolgter Abmahnung ein Entfernungsanspruch aus der Personalakte über §§ 12, 862, 1004 BGB analog in Verbindung mit § 242 BGB gegenüber dem Arbeitgeber zu.
Typische Fälle einer unberechtigten Abmahnung:
- Inhaltlich unrichtige oder nicht zu beweisende Tatsachenbehauptungen,
- Unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens,
- Inhaltliche Unbestimmtheit,
- Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Fraglich erscheint hier, ob eine Abmahnung allein durch Zeitablauf ihre Wirkung verlieren bzw. überflüssig werden kann. Hierzu lässt sich sagen, dass im Rahmen der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung immer eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist, so dass sich eine zeitliche Fristsetzung bereits erübrigt hat. Grundsätzlich soll nämlich gerade die Art der Verfehlung des Arbeitnehmers sowie dessen Verhalten im Vordergrund stehen bzw. die Reaktion des Arbeitgebers auf diese Verhaltensweisen.
In der Praxis erfolgt eine Löschung einer Abmahnung aus der Personalakte in der Regel nach zwei bis drei Jahren, sofern sich der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum vertragsgemäß verhalten hat.
IIV. Abmahnung im Kündigungsschutzverfahren
Des Weiteren erscheint fraglich, welche Wirkung der Abmahnung im Kündigungsschutzprozess zukommt. Denn, oftmals wird das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Abmahnung erst im Lauf des Prozesses überprüft.
Relevant ist, dass nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für die kündigungsrechtliche Wirksamkeit einer Abmahnung vor allem entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer dieser entnehmen konnte, dass der Arbeitgeber eine Wiederholung des angemahnten Verhaltens nicht billigen, sondern bei erneutem Fehlverhalten eine Kündigung aussprechen werde.
Quellen
- Abbo Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 14. Auflage, 2015, Rn. 406.
- Peter Hanau / Klaus Adomeit, Arbeitsrecht, 13. Auflage, 2005, Rn. 945, 988 f.