Allgemeines
Vorab sollte erwähnt werden, dass in vielen Bundesländern, ein Berufungsverfahren kein Gegenstand der Klausur allein sein wird, da eine vollständige neue rechtliche und tatschte Überprüfung stattfindet. Im ersten Staatsexamen kann eine Zusatzfrage dran kommen, in der nach der Zulässigkeit gefragt ist und im zweiten Staatsexamen etwa eine Revision gegen ein Berufungsurteil (Prüfung der Zulässigkeit als eigenständiger Prüfungspunkt).
Wie immer gilt die grundlegende Regel:
Alles, was unproblematisch ist, wird in der Klausur kurz behandelt. Wenn also nach der Zulässigkeit der strafrechtlichen Berufung gefragt ist, gilt es zunächst die Probleme zu finden und herauszuarbeiten. Unkomplizierte Prüfungspunkte werden jedoch nicht einfach weggelassen wie im Zivilrecht, sondern müssen zumindest kurz “abgearbeitet” werden. Dies gilt vor allem im ersten Staatsexamen, weil man in dieser Ausbildungsphase noch nicht so vertraut mit dem Strafprozessrecht ist. Zeigen Sie, dass Sie die Systematik der Zulässigkeitsprüfung verstanden haben, indem Sie alle Punkte kurz ansprechen.
Dabei ist vor allem sehr hilfreich, dass fast alles im Gesetz steht (§§ 312 – 332 StPO) !
Funktionell zuständig ist für die Berufungsentscheidung immer die kleine Strafkammer des Landgerichts, §§ 74 III, 76 I 1 Alt. 2 GVG mit der Ausnahme nach § 76 VI GVG ist ein zweiter Berufsrichter hinzuzuziehen, wenn es sich um eine Berufung gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichtes (§ 29 II GVG) handelt.
1. Statthaftigkeit, § 312 StPO
Der erste Prüfungspunkt lautet „Statthaftigkeit“ und nicht „Zulässigkeit“!
Entsprechend dieser Norm ist die Berufung in Strafsachen gegen erstinstanzliche Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts statthaft. Erstinstanzliche Strafurteile des Landgerichts oder des OLG sind nicht berufungsfähig! lediglich Revisionsfähig. In der Berufung wird der Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht neu untersucht (zweite Tatsacheninstanz).
2. Evtl. Annahmebeschränkung, § 313 I StPO
Grundsätzlich ist eine Berufung bei den o.g. Urteilen immer möglich. Es gibt jedoch wenige Ausnahmen, in denen es notwendiges, dass das Gericht die Berufung annimmt, dazu bedarf es einer nicht offensichtlichen Unbegründetheit, § 313 II StPO:
- bei Geldstrafen von nicht mehr als 15 Tagessätzen
- bei Verwarnung (§ 59 StGB) mit vorbehaltener Strafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen
- bei Geldbußen nach dem OWiG
- bei einem Freispruch des Angeklagten (wenn StA nicht > 30 Tagessätze Geldstrafe beantragt hat)
- Einstellung des Verfahrens (wenn StA nicht >30 Tagessätze Geldstrafe beantragt hat)
Die Annahme erfolgt durch Beschluss! Er ist nach § 322a S. 2 StPO unanfechtbar, lediglich die sofortige Beschwerde ist zulässig, wenn es darum geht, dass behauptet wird, es besteht kein Fall einer Annahmeberufung, § 322 II StPO analog.
Dieser letzte Prüfungspunkt kann ausnahmsweise weggelassen werden, wenn kein Fall des § 313 StPO vorliegt.
3. Anfechtungsberechtigung
Als dritter Schritt der Prüfungsfolge ist zu erörtern, ob der Berufungsführer anfechtungsberechtigt ist. Alle notwendigen Informationen lassen sich wiederum im Gesetz finden. Am relevantesten sind die Regelungen im allgemeinen Teil zu den Rechtsmitteln.
Gemäß § 296 I StPO kann der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft Berufung einlegen. Die Berufung der Staatsanwaltschaft kann auch zu Gunsten des Beschuldigten erfolgen, § 296 II StPO. Der Verteidiger kann für den Beschuldigten, aber nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen in Berufung gehen, § 297 StPO. Darüber hinaus kann gemäß § 298 I StPO der gesetzliche Vertreter des Beschuldigten für diesen Berufung einlegen.
Wie aus § 67 III JGG folgt, kann im Jugendstrafverfahren auch der Erziehungsberechtigte Berufung einlegen. Dies dürfte jedoch nur für Schwerpunktkandidaten relevant sein. In einigen Fällen können auch Privat- oder Nebenkläger anfechtungsbefugt sein, doch auch diese Konstellationen sind in einer Klausur nicht zu erwarten.
4. Beschwer
Wenn feststeht, dass der Berufungsführer berufungsbefugt ist, ist unter Punkt vier zu erörtern, ob er durch das angefochtene Urteil auch beschwert ist. Dieser Prüfungspunkt ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Er ist aber logischer Bestandteil der Prüfung und wird bei allen Rechtsmitteln geprüft.
Beschwert ist, wer durch das angefochtene Urteil unmittelbar in seinen schutzwürdigen Interessen verletzt ist [BGHSt 7, 153].
Der Angeklagte ist grundsätzlich im Falle seiner Verurteilung beschwert. Im Falle eines Freispruches ist er es nie, auch wenn ihm die Gründe nachteilig erscheinen [BGH in ständiger Rspr.; vgl. BGHSt 7, 153].
Die Staatsanwaltschaft ist immer beschwert, wenn sie ein Urteil in irgendeiner Weise für mangelhaft erachtet. Dies gilt sogar dann, wenn der Angeklagte so verurteilt wurde, wie es der Sitzungsvertreter beantragt hat!
Eine kurze Feststellung, dass eine Beschwer vorliegt, reicht in der Regel aber aus und bedarf keiner ausführlichen Darstellung.
5. Kein Rechtsmittelverzicht oder – rücknahme
Des Weiteren ist nun zu prüfen, dass der Rechtsmittelführer nicht bereits wirksam sein Rechtsmittel zurückgenommen hat oder auf dessen Einlegung verzichtet, § 302 StPO. Eine solche Prozesshandlung kann auch schon vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist wirksam vorgenommen werden, wie ebenfalls aus § 302 StPO ersichtlich ist.
Zu beachten ist, dass ein Rechtsmittelverzicht gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 302 I 2 StPO), wenn eine Verständigung nach § 257c StPO stattgefunden hat ! Wurde der Verzicht trotzdem erklärt, ist er wirkungslos. Der BGH lässt es aber zu das Rechtsmittel einzulegen und anschließend sofort zurückzunehmen [BGHSt 55, 82].
Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, dass die Staatsanwaltschaft eine zugunsten des Angeklagten eingelegte Berufung nur mit dessen Zustimmung wieder zurücknehmen kann, § 302 I 3 StPO. Der Verteidiger benötig gemäß § 302 II StPO für die Zurücknahme eine ausdrückliche Ermächtigung.
6. Form und Frist der Einhegung
Die Berufung kann ausschließlich binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils bei dem Ausgangsgericht (Index a qou) eingelegt werden, § 314 StPO. Im Falle der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verkündung, beginnt die Frist mit der Zustellung, § 314 II StPO.
Wichtig ist, dass die Zustellung wirksam sein muss. Hier sind gerne Fallen versteckt. Eine Ausnahme von der Ausnahme besteht dann, wenn der Angeklagte in den in § 314 II StPO genannten Fällen ordnungsgemäß anwaltlich vertreten war. Dann beginnt die Frist wiederum mit Verkündung des Urteils zu laufen, denn wer anwaltlich vertreten ist, ist weniger schutzbedürftig.
Die Berechnung der Einlegungsfrist richtet sich nach § 43 I StPO, da sie nach Wochen bestimmt ist.
Als Faustformel kann man sich merken: Die Frist endet am selben Wochentag, an dem das Urteil verkündet oder zugestellt wurde, in der Folgewoche.
Beachte: Wenn das Fristende zum Beispiel auf einen gesetzlichen Feiertag fällt, gilt § 43 II StPO.
Schließlich ist die Form der Berufungseinlegung zu prüfen. Sie hat entsprechend § 314 I StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Eine Begründung ist zulässig, aber nicht erforderlich, § 317 StPO.
Bei elektronischer Berufungseinlegung ist an § 41a StPO zu denken, der diesbezüglich weitere Regelungen trifft. Ist der Berufungsführer inhaftiert, kann er sich die Erleichterungen des § 299 I StPO zu Nutze machen.
Eine Bezeichnung als Berufung ist nicht notwendig. Innerhalb der Revisionsbegründungsfrist, kann der Beschwerdeführer seine Berufung in eine Revision umändern.
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