Der Weiterfressermangel, § 823 Abs. 1 BGB

Der Weiterfressermangel, § 823 Abs. 1 BGB

In berühmten Entscheidungen wie dem „Schwimmschalter-Fall“, dem „Gaszug-Fall“ oder dem „Kompressor-Fall“ entwickelte der BGH Voraussetzungen für eine Rechtsfigur, die das Vertrags- und das Deliktsrecht miteinander verknüpft – den Weiterfressermangel. Hier erfährst du, was bei der Anwendung zu beachten ist.
Weiterfressermangel
Lecturio Redaktion

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19.02.2024

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Inhalt

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I. Die Begrifflichkeit des Weiterfressermangels

Das von der Rechtsprechung geschaffene Institut des Weiterfressermangels findet im Rahmen des Deliktsrechts Anwendung. Deliktischer Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB kann nur verlangt werden, wenn eine Eigentumsverletzung vorliegt. Erwirbt man eine bereits mangelhafte Sache, zum Beispiel ein Schlauchboot mit Leck, kann man sich nicht auf § 823 Abs. 1 BGB berufen, da die Sache nie unbeschädigt gewesen ist. Man hat demnach nie mangelfreies Eigentum erworben! Allein durch die Lieferung defekter Sachen ist noch keine Eigentumsverletzung gegeben.

Liegt jedoch ein Weiterfressermangel vor, könnte laut Rechtsprechung eine andere Bewertung, nämlich die Bejahung einer Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, sachgerechter und angebracht sein.

Definition: Ein Weiterfressermangel ist ein ursprünglicher Mangel, der sich auf einen kleinen, abgrenzbaren Teil der Sache beschränkt, sich jedoch später auf die ganze Sache ausdehnt, demnach „weiterfrisst“.

Ein klassisches Beispiel liefert der Gaszug-Fall: Der K erwirbt ein Auto im Wert von 50.000€. Der Gaszug, der normalerweise dafür sorgt, dass das Gaspedal ohne Druck automatisch in die Ausgangsposition geht, ist jedoch defekt. Die Reparatur würde maximal 50€ kosten und wenige Minuten dauern. Aufgrund des Defekts gerät K in einen Unfall, bei dem der gesamte Wagen zerstört wird.

In solchen Konstellationen, wenn ein unbedeutend kleiner Mangel vorliegt, hat der Käufer nicht bloß mangelhaftes, sondern durchaus überwiegend mangelfreies Eigentum erworben. Durch das „Weiterfressen“ des Mangels, wird dieses überwiegend mangelfreie Eigentum verletzt.

II. Gründe für die Einführung des Rechtsinstituts

Die Idee der Anwendung von § 823 Abs. 1 BGB bei weiterfressenden Mängeln basiert auf folgenden Erwägungen:

  1. Die Mängelgewährleistungsrechte (§§ 434 ff. BGB) unterliegen wesentlich kürzeren Verjährungsfristen (idR § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) als Ansprüche aus dem Deliktrecht. Zur Verhinderung von unbilligen Ergebnissen ermöglichte die Rechtsprechung eine breitere Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB.
  2. In Fällen, in den der Verkäufer selbst aufgrund von Insolvenz zahlungsunfähig ist, bleibt dem geschädigten Käufer lediglich der Rückgriff auf den Hersteller. Jedoch kommt die Haftung des Herstellers gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG nur in solchen Fällen in Frage, in den eine andere Sache, als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird. Ohne das Institut des Weiterfressermangels könnten keine Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Hersteller entstehen.

III. Lösung der Rechtsprechung

Nach der Auffassung der Rechtsprechung ist die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB möglich. Ob die dafür erforderliche Eigentumsverletzung vorliegt, richtet sich nach dem Kriterium der Stoffgleichheit.

Die Stoffgleichheit zwischen anfänglichem Mangel und späterem Schaden bemisst sich nach der natürlichen und wirtschaftlichen Betrachtungsweise und liegt regelmäßig vor, wenn:

  • die Sache aufgrund des Mangels von Anfang an nicht oder sehr eingeschränkt verwendbar ist
  • der Mangel nur unter erheblichem finanziellem Aufwand behoben werden könnte
  • der Mangel technisch nicht behebbar ist

Liegt Stoffgleichheit zwischen ursprünglichem Mangel und eingetretenem Schaden vor, ist nur das Äquivalenzinteresse verletzt.

Definition: Äquivalenzinteresse ist eine aus dem Vertrag resultierende Erwartung eine mangelfreie Sache zu erhalten.

Eine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist zu verneinen. Denn wer eine von Anfang an unbrauchbare Sache erwirbt, kann keine Eigentumsverletzung geltend machen, da er nie unverletztes Eigentum hatte. Es kommen lediglich Ansprüche aus §§ 434 ff. BGB in Betracht.

Nicht stoffgleich sind ursprünglicher Mangel und späterer Schaden, wenn der Mangel nur einen begrenzten Teil der Sache betrifft und

  • nur zu geringfügigen Funktionsbeeinträchtigungen führt
  • mit geringem finanziellem und technischem Aufwand und ohne die Beschädigung anderer Teile behoben werden kann

Besteht keine Stoffgleichheit, sind sowohl Äquivalenz- als auch Integritätsinteresse des Erwerbers verletzt.

Definition: Integritätsinteresse ist das Interesse eines Vertragspartners daran, dass seine Rechtsgüter, die außerhalb der konkreten Vertragsbeziehung stehen, Unversehrtheit bleiben (sog. Erhaltungsinteresse).

Der § 823 Abs. 1 BGB ist auf den Schutz des Integritätsinteresses gerichtet und ist mithin in solchen Fällen anwendbar.

IV. Kritik der Literatur

Die von der Literatur vertretene Gegenauffassung lehnt die Anwendung des Rechtsinstituts vom weiterfressermangel aus folgenden Gründen ab:

  • Die Regelungen des kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsrechts sind abschließend und gewähren ausreichenden Interessenschutz.
  • Das Kriterium der Stoffgleichheit ist für eine genaue Abgrenzung zu unbestimmt.
  • Jedenfalls seit der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 ist der deliktische Rückgriff obsolet und vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.

Folgt man dieser Ansicht, bestehen Ansprüche des Erwerbers nur gemäß §§ 434 ff. BGB.

V. Fazit

Der Umgang mit dem erläuterten Problem birgt keine weiteren, als die genannten Schwierigkeiten. Sowohl für die Auffassung der Rechtsprechung, als auch für die der Literatur gibt es gute Argumente. Für welche Ansicht man sich in Klausuren entscheidet, ist daher nebensächlich. Die überwiegende Meinung stellt aber wohl die Rechtsprechung dar. Wichtig ist es hingegen, überhaupt das Vorliegen eines Weiterfressermangels zu erkennen. Daher ist die Lektüre der eingangs genannten Urteile „Schwimmschalter-Fall“ (BGHZ 67, 359) „Kompressor-Fall“ (BGH NJW 1985, 2420) und „Gaszug-Fall“ (BGHZ 86, 256) sehr zu empfehlen.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

Dr. Frank Stummer

Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

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Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

Wolfgang A. Erharter

Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

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Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

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Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

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Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

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Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

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Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Wladislaw Jachtchenko ist mehrfach ausgezeichneter Experte, TOP-Speaker in Europa und gefragter Business Coach. Er hält Vorträge, trainiert und coacht seit 2007 Politiker, Führungskräfte und Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie Allianz, BMW, Pro7, Westwing, 3M und viele andere – sowohl offline in Präsenztrainings als auch online in seiner Argumentorik Online-Akademie mit bereits über 52.000 Teilnehmern. Er vermittelt seinen Kunden nicht nur Tools professioneller Rhetorik, sondern auch effektive Überzeugungstechniken, Methoden für erfolgreiches Verhandeln, professionelles Konfliktmanagement und Techniken für effektives Leadership.

Alexander Plath

Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.