Allgemeines
Die Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf ist von hoher Relevanz. Dabei steht im Fokus die Prüfung der Begründetheit. Demnach sollten bei den im Grunde genommen gleichbleibenden Zulässigkeitsaspekten keine Fehler unterlaufen, um wichtige Zeit einzusparen.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde: Schema
Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Schema:
- Zuständigkeit
- Beschwerdefähigkeit
- Prozessfähigkeit
- Beschwerdegegenstand
- Beschwerdebefugnis
- Rechtswegerschöpfung
- Subsidiarität
- Form und Frist
I. Zuständigkeit
Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Verfassungsbeschwerde ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG. Mit ihr können sich Bürger gegen Grundrechtsverletzungen durch den Staat wehren. Damit sichert sie die Grundrechte im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber den drei Gewalten ab.
II. Die Beschwerdefähigkeit
Im Rahmen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde muss zuerst auf die Beschwerdefähigkeit eingegangen werden.
Defintion: § 90 Abs. 1 BVerfGG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG stellt dazu fest, dass „jedermann“ beschwerdefähig ist. Diese Formulierung meint alle Grundrechtsberechtigten. Das sind zunächst einmal alle natürlichen Personen.
Bei Ausländern ist zu beachten, dass diese sich (idR) nicht auf die sogenannten Deutschengrundrechte berufen können. Ihnen stehen nur die Jedermann-Grundrechte zur Verfügung. Daneben dient ihnen Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht.
Innerhalb der Beschwerdefähigkeit ist außerdem Art. 19 Abs. 3 GG relevant. Danach gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen des Privatrechts, soweit sie “ihrem Wesen nach” auf sie anwendbar sind. Hiervon sind auch nichtrechtsfähige Personengruppen und Handelsgesellschaften erfasst. Juristische Personen des Privatrechts, die ihren Sitz im EU-Ausland haben, sind Ihnen gleichgestellt, vgl. Art 18, 26 Abs. 2 AEUV.
Ein Grundrecht ist nach der Theorie (Lit.) der „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ dann auf juristische Personen anwendbar, wenn das Grundrecht genauso gefährdet ist, wie das einer natürlichen Person, d.h. die Lage mit einer natürlichen Person vergleichbar ist. Das BVerfG folgt der Theorie des “personalen Substrats”, welche meint, dass hinter jeder juristischen Person natürliche Personen stehen und sofern diese gleichermaßen in ihrem Grundrecht betroffen sind, einschlägig ist.
Dagegen sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig (Konfusionsargument). Sie können sich grundsätzlich nur auf die Justizgrundrechte berufen. Hiervon gibt es aber einige Ausnahmen:
- Religionsgemeinschaften sind unbeschränkt grundrechtsfähig.
- Rundfunkanstalten können sich auf die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen.
- Universitäten sind in Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) grundrechtsfähig.
Auch bei den Rundfunkanstalten und den Universitäten gibt es aber eine Tendenz des Gerichts, die Geltendmachung anderer Grundrechte zuzulassen, wenn das durch sie geschützte Verhalten, das ihnen jeweils zugeordnete Grundrecht schützt.
III. Die Prozessfähigkeit
Der nächste Prüfungspunkt innerhalb der Verfassungsbeschwerde gilt der Prozessfähigkeit:
Definition: also der Fähigkeit, die Prozesshandlungenselbst oder durch einen Vertreter vorzunehmen.
Volljährige natürliche Personen sind grundsätzlich prozessfähig. Bei Minderjährigen kommt es auf die Grundrechtsmündigkeit an. Nach herrschender Meinung muss dabei überprüft werden, ob sie hinsichtlich des Grundrechts, dessen Verletzung sie geltend machen wollen, über die hinreichende Einsichtsfähigkeit verfügen.
Ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn ein einfaches Gesetz eine Altersgrenze vorschreibt (Bsp.: § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung legt fest, dass ein Kind ab 14 Jahren über seine Religionszugehörigkeit entscheiden kann). Wer prozessunfähig ist, muss sich hingegen vertreten lassen.
IV. Der taugliche Beschwerdegegenstand
Über den tauglichen Beschwerdegegenstand der Verfassungsbeschwerde geben Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG Auskunft.
Definition: Die Verfassungsbeschwerde kann sich damit gegen jeden Akt der öffentlichen Gewalt, also der Judikative (Gerichtsurteile), Legislative (formelle Gesetze) und der Exekutive (beispielsweise Verwaltungsakte), wenden.
Hier wird zwischen Urteils- und Rechtssatzverfassungsbeschwerde unterschieden. Bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde sollte sicher gegangen werden, dass es sich um ein letztinstanzliches Urteil handelt.
V. Die Beschwerdebefugnis
Als nächstes muss man sich im Rahmen der Verfassungsbeschwerde mit der Beschwerdebefugnis auseinandersetzen.
Definition: Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG muss der Beschwerdeführer behaupten, durch den Akt der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder den dort aufgezählten grundrechtsähnlichen Rechten verletzt zu sein. Dabei muss die Möglichkeit bestehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in einem dieser Rechte verletzt ist.
Darüber hinaus verlangt das Bundeverfassungsgericht, dass der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.
Definition: Der Beschwerdeführer ist selbst betroffen, wenn er Adressat des Aktes der öffentlichen Gewalt ist.
Es genügt auch, wenn zwar ein Dritter der Adressat ist, aber eine ausreichend enge Rechtsbeziehung zwischen der Maßnahme und der Grundrechtsposition des Beschwerdeführers besteht.
Definition: Er ist gegenwärtig betroffen, wenn die von ihm behauptete Grundrechtsverletzung schon eingetreten ist und noch anhält.
Definition: Unmittelbar ist er betroffen, wenn es keiner weiteren Zwischenakte mehr für eine Verletzung seines Rechts bedarf.
Bsp.: Grundsätzlich keine unmittelbare Betroffenheit bei Gesetzen, die Vollzugsakte vorsehen.
Diesem Umstand kommt aber nur Indizienwirkung für die Frage zu, ob eine unmittelbare Betroffenheit vorliegt. Es kann stattdessen auch ausreichen, dass der Beschwerdeführer bereits in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt ist.
VI. Die Rechtswegerschöpfung
§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG verlangt außerdem die vorherige Rechtswegerschöpfung.
Definition: Der Beschwerdeführer muss also alle ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel vor den Fachgerichten ausgeschöpft haben, bevor er eine Verfassungsbeschwerde einlegt. Eine Ausnahme enthält § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG.
Danach kann das Bundesverfassungsgericht über eine vor Rechtswegerschöpfung eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung gilt allerdings nicht bei formellen Gesetzen, weil der Beschwerdeführer diese nicht vor den Fachgerichten angreifen kann.
VII. Der Subsidiaritätsgrundsatz
Als nächste Zulässigkeitsvoraussetzung folgt die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Danach muss der Beschwerdeführer auch über die Rechtswegerschöpfung hinaus versuchen, seine Interessen durch anderen fachgerichtlichen Rechtsschutz durchzusetzen. Erst nachdem alle zumutbaren Möglichkeiten erfolglos blieben, darf Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
VIII. Form und Frist
Weiterhin ist zu prüfen, ob die Form gewahrt wurde. Nach § 23 Abs. 1 BVerfGG ist die Schriftform erforderlich. Der Antrag muss auch begründet werden. Dies ergibt sich aus §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG.
Schließlich muss geprüft werden, ob die Frist aus § 93 Abs. 1 BVerfGG eingehalten wurde. Danach muss die Verfassungsbeschwerde innerhalb eines Monats erhoben werden. Unter den Voraussetzungen des § 93 II BVerfGG ist auch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand möglich. Will der Beschwerdeführer gegen ein Gesetz vorgehen, hat er dagegen die Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG einzuhalten.
Vertiefung
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Quellen
- BeckOK GG/Morgenthaler GG Art. 93 Rn. 49, 54, 55, 64, 65, 66.
- Hömig in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 92 Rn. 33.
- Peters/Markus, JuS 2013, 887 (889).
- Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 206, 207, 208, 212.