I. Hintergrund: Das Urteil des BVerfG vom 03.03.2004
Die heutige Fassung der §§ 100c-100e StPO haben wir einem Urteil des BVerfG vom 03.03.2004 (Az.: 1 BvR 2378/98) zu verdanken. Mit dieser bedeutenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die bis dahin geltenden Vorschriften über die akustische Wohnraumüberwachung in wesentlichen Teilen insoweit für verfassungswidrig erklärt.
Dem Urteil selbst ging wiederrum eine Gesetzesänderung voraus: Um das geheime Abhören von Gesprächen in Wohnungen zu ermöglichen, ist das Gesetz vom 26. 3. 1998 Art. 13 GG durch Einfügung der Abs. 3 bis 6 geändert worden. Unter strengen Voraussetzungen sollte der große Lauschangriff gemäß §§ 100 c, 100 d StPO a.F. zulässig sein.
Gegen diese Änderungen des Grundgesetzes und der StPO wurden Verfassungsbeschwerden beim BVerfG eingereicht. Während die Änderung des Art. 13 GG für verfassungsmäßig erklärt wurde, sah das BVerfG die Änderung der §§100c, 100d StPO als verfassungswidrig an, da sie den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung verletzten.
Das BVerfG schrieb dem Gesetzgeber vor, die Regelungen der StPO bis zum 30.6.2005 unter Berücksichtigung seiner Vorgaben durch verfassungsgemäße Normen zu ersetzen.
II. Die Neuregelung des großen Lauschangriffs
Mit dem Gesetz vom 24. 6. 2005 sind daher die §§ 100 c – 100 f StPO umgestaltet worden.
Die §§ 100 c-100 e StPO regeln das Abhören und Aufzeichnen des innerhalb einer Wohnung nicht öffentlich gesprochenen Wortes, während § 100 f StPO das Herstellen von Bildaufzeichnungen, den Einsatz bestimmter technischer Mittel für Observationszwecke und das Abhören sowie Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen betrifft.
1. Änderung der Voraussetzungen für einen großen Lauschangriff
Die Neuregelung des § 100c StPO lautet in der heutigen Fassung:
„(1) Auch ohne Wissen der Betroffenen darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn
- bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete besonders schwere Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat,
- die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt,
- auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen des Beschuldigten erfasst werden, die für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten von Bedeutung sind, und
- die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre.“
Die Voraussetzungen sind dabei merkbar eng gesteckt und zudem genau formuliert. Insbesondere ist nach § 100 c Abs. 1 Nr. 4 StPO die Wohnraumüberwachung nur zulässig, wenn das Erreichen ihrer Zwecke auf andere Weise „unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos“ wäre (Subsidiarität der Telefonüberwachung).
Damit wurde den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, das verlangte, dass zunächst andere und in die Rechte des Beschuldigten weniger einschneidende Maßnahmen in Erwägung gezogen werden müssen.
In Absatz 2 finden sich abschließend die Katalogtaten, bei denen ein großer Lauschangriff überhaupt nur in Betracht kommt. Dabei handelt es sich um besonders schwere Straftaten, die nach den Vorgaben des BVerfG mit Höchststrafen von mehr als fünf Jahren Freiheitsentzug bewehrt sind.
Weiterhin schränkt § 100c Abs. 4 StPO den großen Lauschangriff dahingehend ein, dass dieser nur angeordnet werden darf, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden.
Was zu diesem Kernbereich gehört, ist im Gesetz nicht definiert. Führt eine Wohnraumüberwachung zu Informationen aus dem geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, muss sie abgebrochen werden.
2. Änderung des Verfahrens bei einem großen Lauschangriff
Das Verfahren beim großen Lauschangriff regelt § 100d StPO. Die Wohnraumüberwachung bedarf stets einer richterlichen Anordnung durch die allein hierfür einzurichtende Kammer des Landgerichts. §§ 100 d Abs. 8, 101 StPO verlangen zudem grundsätzlich, die Betroffenen von Lauschangriffen zu unterrichten, sofern der Untersuchungserfolg hierdurch nicht gefährdet wird.
III. Fazit
Das BVerfG stellte in seinem Urteil klar, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung einen engen Bezug zur Menschenwürde hat. Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen gesichert sein – und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen.
In diesen Kernbereich darf die akustische Überwachung niemals eingreifen, auch nicht zum Zwecke der Strafverfolgung. Vor diesem Hintergrund sind die Neuregelungen der §§ 100c ff. StPO zu verstehen. Der Gesetzgeber passte die Vorschriften an den engen verfassungsrechtlichen Rahmen des BVerfG an.