I. Allgemeines
Zunächst kann festgehalten werden, dass es sich sowohl bei dem enteignungsgleichen als auch beim enteignenden Staatshaftungsanspruch um einen auf Geld gerichteten Anspruch handelt.
Ein enteignungsgleicher Eingriff liegt vor, wenn eine hoheitliche Maßnahme unmittelbar eine rechtswidrige Beeinträchtigung einer als Eigentum geschützten Rechtspositionen bewirkt.
Beispiel: A wird Adressat einer rechtswidrigen Abrissverfügung. Das Haus des A wird abgerissen. A möchte daher eine Entschädigung.
Ein enteignender Eingriff liegt vor, wenn eine rechtmäßige hoheitliche Maßnahme als Nebenfolge eine als Eigentum geschützte Rechtsposition unmittelbar beeinträchtigt.
Beispiel: A hat eine Geisel in seinem Kofferraum. Ein Polizist gibt einen gezielten Schuss ab, um das Fluchtfahrzeug zum Stehen zu zwingen. Die Kugel prallt an dem Stoßfänger des Autos ab und landet sodann in dem Geschäft des B und zerstört die sich dort befindliche Ware. Nun verlangt B eine Entschädigung vom Staat.
Wichtigster Unterschied der beiden Staatshaftungsanprüche ist somit, dass bei einem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff ein rechtswidriger Eingriff, während bei einem Anspruch aus enteignendem Eingriff ein rechtmäßiger Eingriff gegeben sein muss.
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Da die beiden Ansprüche sich aber dennoch in den meisten Prüfungspunkten gleichen, werden sie im folgenden in einem Schema behandelt.
II. Prüfungsschema
- Herleitung
- Eigentum, Art. 14 GG
- Hoheitlicher Eingriff
- Rechtswidriger oder rechtmäßiger Eingriff
- Sonderopfer
- Kausaler Schaden und Mitverschulden
- Rechtsfolge
1. Herleitung
Aufgrund dessen, dass weder der enteignungsgleiche noch der enteignende Eingriff im Gesetz normiert sind, sollte der Anspruch aus diesen am Anfang der Prüfung kurz hergeleitet werden.
Hierbei kann zum einen auf den allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der §§ 74, 75 Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (EALR) in seiner richterrechtlichen Ausprägung verwiesen werden. Zum anderen kann festgestellt werden, dass beide Ansprüche gewohnheitsrechtlich anerkannt sind.
In der Klausur sollte man sich nicht lange mit diesem Punkt aufhalten, es reichen meist wenige Sätze.
Formulierungsbeispiel: „A könnte gegen den Hoheitsträger einen Anspruch aus dem staatshaftungsrechtlichen Institut des enteignenden / enteignungsgleichen Eingriff haben, dessen Herleitung aus den §§ 74, 75 EALR oder aus Gewohnheitsrecht dahinstehen kann.“
2. Eigentum, Art. 14 GG
Zunächst müsste der Schutzbereich der Rechtsposition aus Art. 14 GG betroffen sein.
Hinsichtlich des Schutzbereiches des Art. 14 GG und des Eingriffsbegriffs läuft die Prüfung mit den Schritten bei einer Grundrechtsprüfung konform.
Definition: Eigentum ist jedes vermögenswerte Recht des Privatrechts.
Beispiele für vermögenswerte Rechte des Privatrechts sind: Eigentum an Immobilien und Mobilien, dingliche Rechte; Patent- und Urheberrechte und Unternehmensanteile, Besitzrecht des Mieters und zivilrechtliche Forderungen, etc.
Nicht umfasst von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sind: Reine Gewinn- und Erwerbschancen, das Vermögen als solches.
3. Hoheitlicher Eingriff
Der Staat muss hoheitlich gehandelt haben. Hierbei ist eine Unterteilung in enteignungsgleichen und enteignenden Eingriff vorzunehmen.
Bekanntester und in Art. 14 Abs. 3 GG normierter Fall des Eingriffs in Eigentum ist die (Zwangs)Enteignung aus Gründen des Gemeinwohls (Straßenbau, Denkmalpflege, etc.):
Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
Definition: Eine Enteignung ist jeder rechtsförmliche, hoheitliche Eingriff, der ganz oder teilweise auf die gegenwärtige oder rückwirkende, finale Entziehung des Eigentums abzielt.
Liegt eine Enteignung vor, so gestaltet sich die Prüfung von Ersatzansprüchen ab diesem Punkt einfach nach Art. 14 Abs. 3 GG:
1.) aufgrund eines Gesetzes, das
2.) eine angemessene Entschädigung vorsieht.
Zurückzuführen auf die Nassauskiesungs-Entscheidung [BGH 60, 126] kann der Eingriff in ein Eigentum jedoch auch andere Gestalt, als die Enteignung, haben.
Hierbei ist eine Unterteilung in enteignungsgleichen und enteignenden Eingriff vorzunehmen.
Beim enteignungsgleichen Eingriff liegt die hoheitliche Handlung meist in einer Rechtsverordnung, einer Satzung, einem Verwaltungsakt oder einem Realakt, während sie beim enteignenden Eingriff lediglich durch einen Realakt geschehen kann.
Zudem muss bei dem enteignungsgleichen Eingriff der Eingriff lediglich unmittelbar – somit kausal-adäquat – erfolgen. Hierbei ist eine typische Folge ausreichend. Im Gegensatz dazu ist für den enteignenden Eingriff neben der Unmittelbarkeit dessen auch notwendig, dass der Eingriff faktisch erfolgt – also eine ungewollte Nebenfolge rechtmäßigen Handels darstellt.
Der weiteren Prüfung der Entschädigungsansprüche liegt damit stets folgende Überlegung zugrunde:
4. Rechtswidriger oder rechtmäßiger Eingriff
Daraufhin folgt der Schwerpunkt der Prüfung. Es ist festzustellen, ob es sich bei dem Eingriff um einen rechtswidrigen oder rechtmäßigen Eingriff handelt. Dieser Prüfungspunkt ist Einfallstor für das Verwaltungsrecht. Hierbei wird die Ermächtigungsgrundlage sowie die formelle und materielle Rechtswidrig- / bzw. Rechtmäßigkeit geprüft.
5. Sonderopfer
Als nächster Punkt in der Prüfung des Anspruchs ist festzustellen, ob der Anspruchsbegehrende ein Sonderopfer leisten musste. Ein solches wird aufgrund eines rechtswidrigen Eingriffs – also beim enteignungsgleichen Anspruch – indiziert.
Beim rechtmäßigen (enteignenden) Eingriff hingegen ist das Sonderopfer positiv festzustellen.
Definition: Ein Sonderopfer liegt vor, wenn eine Ungleichbehandlung des Betroffenen im Vergleich zu anderen vorliegt und dieser durch die Folgen der Handlung besondere Belastungen auf sich nehmen muss.
Das ist der Fall, wenn z.B. keine Duldungspflicht, im Sinne von § 906 BGB besteht.
6. Kausaler Schaden und Mitverschulden, § 254 BGB (analog)
Die typische Gefahrenlage der Maßnahme realisiert sich in der Beeinträchtigung und führt zum materiellen Schaden.
Zudem ist auf ein Mitverschulden im Rahmen des § 254 BGB (analog) einzugehen.
Definition: Der Betroffene muss das Mögliche und Zumutbare veranlassen, um den Schaden zu vermeiden.
7. Rechtsfolge
Schließlich sind noch ein paar Worte zur Rechtsfolge zu sagen.
Zu beachten ist in jedem Fall, dass der Marktpreis des Eigentums allein nicht der einzige Faktor ist, an dem die Angemessenheit zu messen ist. Gerade Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG regelt, dass auch Rücksicht auf die Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu nehmen ist.
Grund hierfür liegt darin, dass der Eigentumsentzug kein Tauschgeschäft darstellt, sondern das Eigentum dadurch dem Markt gänzlich entzogen wird.
III. Konkurrenzen
Die Ansprüche werden von speziellen Vorschriften des Polizei- und Ordnungswidrigkeitenrechts verdrängt(!). Ebenso können die Ansprüche Ansprüchen auf Beseitigung des Eigentumseingriffs wie dem Folgenbeseitigungsanspruch und dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch verdrängt werden.
Der Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG ist neben dem Anspruch aus enteignungsgleichem Anspruch anwendbar, da beide Ansprüche unterschiedlichen Rechtskreisen angehören. Während der Amtshaftungsanspruch auf Schadensersatz gerichtet ist, gewährt der Anspruch aus enteignungsgleichem Anspruch lediglich einen Ausgleich für den Vermögensverlust. Zudem ist letzterer Anspruch verschuldensunabhängig, garantiert also eine leichtere Rechtsverfolgung.
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Quellen
- Detterbeck, Steffen: Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2018.
- Ossenbühl, Fritz/ Cornils, Matthias: Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2015.