I. Das Recht zur Selbsthilfe, §§ 859, 860 BGB
Zunächst einmal steht dem Besitzer das Recht zur Selbsthilfe aus § 859 BGB zu. Gemäß § 859 Abs. 1 BGB darf der Besitzer sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren (Besitzwehr). Nach § 858 Abs. 1 BGB handelt derjenige mit verbotener Eigenmacht, der dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, wenn das Gesetz die Entziehung oder Störung nicht gestattet.
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§ 859 Abs. 2 BGB bestimmt, dass der Besitzer demjenigen, der ihm eine bewegliche Sache mittels verbotener Eigenmacht wegnimmt, die Sache mit Gewalt wieder abnehmen darf, wenn er ihn auf frischer Tat betrifft oder verfolgt (Besitzkehr). Nach § 859 Abs. 3 BGB bezieht sich das Recht zur Selbsthilfe ebenfalls auf Grundstücke.
Die Selbsthilfe darf sich gemäß § 859 Abs. 4 BGB auch gegen denjenigen richten, der die Fehlerhaftigkeit des Besitzes nach § 858 ABs. 2 BGB gegen sich gelten lassen muss. Nach überwiegender Ansicht muss die Gewaltanwendung ferner verhältnismäßig sein.
§ 859 BGB ist ein Rechtfertigungsgrund. § 860 BGB gestattet auch dem Besitzdiener im Sinne des § 855 BGBdie Ausübung dieser Rechte.
Im Einzelnen bestehen die folgenden Voraussetzungen:
- Vorheriger unmittelbarer Besitz/Besitzdiener
- Verbotene Eigenmacht, § 858 Abs. 1 BGB
- Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Gewaltanwendung
II. Die possessorischen Besitzansprüche gemäß §§ 861, 862, 867 BGB
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Die §§ 861, 862, 867 BGB enthalten sogenannte possessorische Besitzansprüche. Im Hinblick auf die Ansprüche aus §§ 861, 862 BGB legt § 863 BGB fest, dass gegen diese keine petitorischen Einwendungen geltend gemacht werden können. Das ergibt sich aus dem Zweck der possessorischen Ansprüche, den Rechtsfrieden zu wahren, indem die ursprüngliche Besitzlage vorläufig wiederhergestellt wird. Dies geschieht unabhängig von der Frage, ob ein Recht zum Besitz besteht. Nach herrschender Auffassung darf der Anspruchsgegner diese Einwendungen jedoch im Rahmen einer Widerklage im gleichen Prozess geltend machen.
1. Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes, § 861 BGB
§ 861 Abs. 1 BGB gewährt dem Besitzer einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes. Tauglicher Anspruchsteller ist der vorherige unmittelbare oder mittelbare Besitzer. Wichtig ist dabei, dass der mittelbare Besitzer gemäß § 869 S. 2 BGB grundsätzlich nur die Wiedereinräumung des Besitzes an den bisherigen unmittelbaren Besitzer verlangen kann.
Insgesamt hat der Anspruch die folgenden Voraussetzungen:
- Vorheriger Besitz des Anspruchstellers
- Verbotene Eigenmacht, § 858 Abs. 1 BGB
- Fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners, § 858 Abs. 2 BGB
- Anspruchsausschluss gemäß § 861 Abs. 2 BGB
- Kein Erlöschen gemäß § 864 BGB
Die Fehlerhaftigkeit des Besitzes des Anspruchsgegners kann sich zum einen daraus ergeben, dass er ihn selbst durch verbotene Eigenmacht erlangt hat (§ 858 Abs. 2 Var. 1 BGB). Daneben muss aber auch derjenige Nachfolger die Fehlerhaftigkeit im Besitz gegen sich gelten lassen, der der Erbe des Besitzers ist oder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes bei seinem Erwerb kennt (§ 858 Abs. 2 Var. 2, 3 BGB).
Gemäß § 861 Abs. 2 BGB ist der Anspruch aber ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist. Nach § 864 Abs. 1 BGB erlischt der Anspruch außerdem mit Ablauf eines Jahres nach Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn er nicht vorher durch eine Klage geltend gemacht wird. Dies gilt nach § 864 Abs. 2 BGB auch, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch ein rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann.
2. Anspruch auf Beseitigung der Störung des Besitzes, § 862 BGB
§ 862 Abs. 1 S. 1 BGB gibt dem Besitzer einen Anspruch auf Beseitigung der Störung seines Besitzes durch verbotene Eigenmacht. Eine Besitzstörung liegt immer vor, wenn zwar kein Besitzentzug gegeben ist, aber ein Verhalten vorliegt, das den Besitzer daran hindert, mit der Sache so zu verfahren, wie er möchte. Er kann nach § 862 Abs. 1 S. 2 BGB auch auf Unterlassung klagen, wenn eine erstmalige bzw. eine erneute Störung droht.
Der Anspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB hat die folgenden Voraussetzungen:
- Besitzstörung
- Durch verbotene Eigenmacht
- Störer als Anspruchsgegner
- Kein Ausschluss nach § 862 Abs. 2 BGB
- Kein Erlöschen nach § 864 BGB
§ 862 Abs. 2 BGB ist dabei genauso ausgestaltet wie § 861 Abs. 2 BGB.
3. Verfolgungsrecht, § 867 BGB
§ 867 BGB regelt das Verfolgungsrecht des Besitzers. Ist seine Sache auf ein anderes Grundstück gelangt, muss ihm dessen Besitzer die Aufsuchung und die Wegschaffung gestatten, wenn die Sache nicht bereits in Besitz genommen worden ist. Nach S. 2 kann der Grundstücksbesitzer indessen den Ersatz des Schadens verlangen, der hierdurch entsteht.
III. Die petitorischen Ansprüche aus § 1007 Abs. 1, 2 BGB
Zwei weitere wichtige Ansprüche enthält § 1007 BGB. Diese sind auf die Herausgabe der Sache gerichtet. Sie beziehen sich nur auf bewegliche Sachen und können auch nebeneinander geltend gemacht werden.
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Diese Ansprüche können nach folgenden Schemata geprüft werden:
1. § 1007 Abs. 1 BGB
- Früherer Besitz des Anspruchstellers an einer beweglichen Sache
- Besitz des Anspruchsgegners
- Bösgläubigkeit des Anspruchsgegners bei Erwerb des Besitzes
- a) Kein Besitzrecht
- b) Bösgläubigkeit, § 932 Abs. 2 BGB analog
- Kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 3 BGB:
- a) Keine Gutgläubigkeit des früheren Besitzers bei Erwerb des Besitzes, § 1007 Abs. 3 S. 1 Var. 1 BGB
- b) Aufgabe des Besitzes durch den früheren Besitzer, § 1007 Abs. 3 S. 1 Var. 2 BGB
- c) Recht zum Besitz des Anspruchsgegners gem. § 1007 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 986 BGB
Der Anspruch kann nach § 1007 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sein:
2. § 1007 Abs. 2 BGB
- Früherer Besitz des Anspruchstellers an einer beweglichen Sache
- Besitz des Anspruchsgegners
- Abhandenkommen des Besitzes beim früheren Besitzer
- Kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 2 BGB (nicht bei Geld und Inhaberpapieren, S.2):
- a) Kein Eigentum des gegenwärtigen Besitzers, § 1007 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB
- b) Kein Abhandenkommen der Sache beim gegenwärtigen Besitzer vor der Besitzzeit des Anspruchstellers, § 1007 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB
- Kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 3 BGB (s.o.)
IV. Ansprüche aus dem Deliktsrecht
1. Schadensersatzanspruch, § 823 Abs. 1 BGB
Daneben kann dem Besitzer auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zustehen, da der berechtigte Besitz nach überwiegender Ansicht als sonstiges Recht anerkannt ist.
2. Schadensersatzanspruch, § 823 Abs. 2 BGB
Hinzukommend besteht die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB geltend zu machen. Die §§ 858 ff. BGB stellen insofern taugliche Schutzgesetze dar.
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3. Unterlassungsanspruch, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog
Bejaht man einen Schutz des Besitzes über die § 823 Abs. 1 und 2 BGB, ist auch ein quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch des Besitzers aus § 1004 Abs. 1 BGB analog anzunehmen.
V. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
1. Leistungskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB
Schließlich können der berechtigte und der unberechtigte Besitz auch im Rahmen einer Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geltend gemacht werden, da beide einen vermögenswerten Vorteil und somit „etwas“ darstellen.
2. Eingriffskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB
Nach überwiegender Auffassung ist ferner der berechtigte Besitz im Rahmen einer Eingriffskondiktion kondizierbar.
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