A. Zulässigkeit
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I. Zuständigkeit des Gerichts
Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG.
Manchmal muss an dieser Stelle von Streitigkeiten des Landesverfassungsgerichts abgegrenzt werden.
II. Beteiligtenfähigkeit/Parteifähigkeit
Das Organstreitverfahren stellt eine verfassungsgerichtliche Kompetenzstreitigkeit zwischen einem Antragssteller und einem Antragsgegner dar. Es ist damit kontradiktorisch.
1. Antragsteller
Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG können Antragsteller sein:
- oberste Bundesorgane: also Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung;
- andere Beteiligte, wenn sie im GG oder der GO BT mit eigenen Rechten ausgestattet sind: insbesondere Fraktionen und Ausschüsse; ebenso der einzelne Abgeordnete, da er in Art. 38 Abs. 1 GG mit eigenen Rechten ausgestattet ist;
Neben Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG bestimmt auch § 63 BVerfGG, wer Antragsteller im Organstreit sein kann:
- der Bundespräsident,
- Bundestag,
- Bundesrat,
- Bundesregierung und
- die im GG oder in der GO BT mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe;
Hier zeigt sich ein Widerspruch in den Regelungen: Im Gegensatz zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG spricht § 63 BVerfGG nicht von „obersten Bundesorganen“, sondern zählt die berechtigten Organe enumerativ auf; andererseits sind nach § 63 BVerfGG auch die Teile dieser Organe antragsberechtigt. § 63 BVerfGG ist also einerseits enger, andererseits weiter als Art. 93 Abs. 1 Nr.1 GG gefasst.
Vor allem im Falle des Abgeordneten wird dieser Widerspruch problematisch: Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist er antragsbefugt, nach § 63 BVerfGG jedoch nicht. Nach herrschender Meinung ist es daher ausreichend, wenn die Partei nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG oder nach § 63 BVerfGG beteiligungsfähig ist. Zudem ist § 63 BVerfGG verfassungskonform auszulegen und normhierarchisch unter dem Grundgesetz angesiedelt.
Sonderproblem: Wegfall der Antragsberechtigung
Problematisch sind die Fälle, in denen der Antragsteller zwischenzeitlich seine Antragsberechtigung verliert (Beispiel: Der Antragsteller ist Abgeordneter und verliert aufgrund von Neuwahlen seinen Sitz im Bundestag). Grundsätzlich muss die Antragsberechtigung nur zum Zeitpunkt der Antragsstellung vorhanden sein. Ein späterer Wegfall macht den Antrag nicht automatisch unzulässig. Allerdings ist nicht in jedem Fall ein Festhalten am Antrag möglich: es muss ein objektives Klarstellungsinteresse fortbestehen, beispielsweise weil vergleichbare Interessenkonflikte auch in Zukunft auftreten können. Verdeutlichen lässt sich dies an folgendem Beispiel:
Der Abgeordnete X wehrt sich gegen den Erlass eines Gesetzes, dass die Abgeordnetenrechte beschneidet. Er stellt den Antrag beim BVerfG im Juli 2013. Im September 2013 kommt es zu Neuwahlen und X wird nicht wiedergewählt. Jedoch ist eine Entscheidung des BVerfG über das Gesetz auch im Sinne der anderen Abgeordneten, weshalb der Wegfall der Antragsberechtigung des X unschädlich ist.
2. Antragsgegner
Der Kreis der möglichen Antragsgegner ist mit dem der Antragsteller identisch, hier können demnach dieselben Probleme auftreten, die schon oben erläutert wurden.
III. Antragsgegenstand
Tauglicher Antragsgegenstand ist gem. § 64 Abs. 1 BVerfGG jede Maßnahme oder jedes Unterlassen des Antragsgegners, sofern diese Maßnahme, bzw. Unterlassung rechtserheblich ist. Der Maßnahmenbegriff ist dabei weit auszulegen, darunter kann quasi jedes Verhalten des Antragsgegners fallen.
Definition: Rechtserheblich ist die Maßnahme, wenn zwischen Antragssteller und Antragsgegner eine konkrete Meinungsverschiedenheit über verfassungsrechtliche Rechte oder Pflichten besteht.
Ein Unterlassen kann nur dann Antragsgegenstand sein, wenn ihm eine verfassungsrechtliche
Pflicht zum Tätigwerden entgegensteht.
IV. Antragsbefugnis
Der Antragsteller muss auch antragsbefugt sein. Für die Antragsbefugnis muss er gem. § 64 Abs. 1 BVerfGG geltend machen, durch die beanstandete Maßnahme/Unterlassen in seinen organschaftlichen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Der Antragssteller kann dabei grundsätzlich nur eigene Rechte geltend machen. Eine Ausnahme besteht lediglich bei Fraktionen, welche auch Rechte des Bundestages geltend machen können. Man spricht in einem solchen Fall dann von Prozessstandschaft (diese ist in § 64 Abs. 1 BVerfGG gesetzlich normiert).
Wichtig: Ist der Antragssteller zugleich natürliche Person, also etwa der Bundespräsident oder ein einzelner Abgeordneter, darf bei der Antragsbefugnis nicht auf die Grundrechte zurückgegriffen werden, die ihm in privater Rolle zustehen (bspw. Meinungsfreiheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht). Im Organstreitverfahren darf ausschließlich die Verletzung von organschaftlichen Rechten gerügt werden.
Eine Verletzung der Geschäftsordnung reicht zur Zulässigkeit des Organstreitverfahrens nicht
aus. Es bedarf dann der Darstellung, dass die Regelung der Geschäftsordnung Ausdruck einer
verfassungsrechtlich normierten Rechtsposition ist und der Antragsteller infolge dessen als
Institution des Verfassungsrechts betroffen ist.
V. Form und Frist
Der Antrag ist schriftlich und mit Begründung (§§ 23 Abs. 1, 64 Abs. 2 BVerfGG) innerhalb von sechs Monaten (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) nach Bekanntwerden der Maßnahme zu stellen.
VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist im Organstreitverfahren selten problematisch, kann jedoch fehlen, wenn der Antragsteller bspw. das gerügte Verhalten verhindern kann oder keine Wiederholungsgefahr besteht.
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die beanstandete Maßnahme/Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt (vgl. § 67 BVerfG). Hier sind nun die Verletzungen von organschaftlichen Rechten zu prüfen. Als solche organschaftliche Rechte kommen bspw. in Betracht:
- Recht des Abgeordneten auf freies Mandat, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
- Rederecht des Abgeordneten, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
- Rechte des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, Art. 77 GG
- Recht auf Fraktionsbildung, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
- Initiativrecht, Art. 76 Abs. 1 S. GG
- Recht zur Bildung von Untersuchungsausschüssen, Art. 44 Abs. 1 GG
Grundsätzlich gibt es kein feststehendes Schema für die Begründetheitsprüfung, allerdings bietet sich das folgende Prüfungsschema in den meisten Klausuren an.
Allgemeines Prüfungsschema
Begründetheit
- Rechtsposition des Antragstellers
- = durch das Grundgesetz übertragene Recht, § 64 I BVerfGG
- Beeinträchtigung (Eingriff, Verletzung)
- = Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners
- Rechtfertigung
- = Auslegung und Abwägung der Rechte des Antragsgegners
C. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht stellt die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme oder der angegriffenen Unterlassung fest. Es ergeht ein Feststellungsurteil.
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