I. Sachverhalt
Adoptivsohn und Alleinerbe Peter Gorski (P) des 1963 verstorbenen Gustaf Gründgens (Schauspieler und Intendant) hatte gegen die Nymphenburger Verlagshandlung (N) ein Verbot erwirkt. Dieses bezog sich auf die Vervielfältigung, den Vertreib und die Veröffentlichung des Buches „Mephisto Roman einer Karriere“ von Klaus Mann.
Klaus Mann war 1933 aus Deutschland ausgewandert. Bereits im Jahr 1936 hatte Mann den Roman im Exilverlag Querido in Amsterdam veröffentlicht. Mann verstarb im Jahr 1949. 1956 erschien der Roman im Aufbauverlag Ost-Berlin. In Westdeutschland sollte der Roman zunächst nicht erscheinen
Gegenstand des Romans ist der Aufstieg des hochbegabten Schauspielers Hendrik Höfgen. Dieser leugnet seine politische Überzeugung und streift alle menschlichen als auch ethischen Bindungen ab um sich per Vereinbarung mit dem nationalsozialistischen Regime Deutschlands seine künstlerische Karriere zu sichern.
Die Darstellung des Romans umfasst die psychischen, geistigen sowie soziologischen Voraussetzungen die den Aufstieg des Hendrik Höfgen ermöglichten. Vorbild der Romanfigur ist Gustaf Gründgens. Mann und Gründgens waren in den zwanziger Jahren befreundet. Des Weiteren war Gründgens kurze Zeit mit Manns Schwester Erika verheiratet.
Zwischen der Romanfigur Hendrik Höfgen und dem Menschen Gustaf Gründgens bestehen mannigfaltige Übereinstimmungen. Darunter seine äußere Erscheinung, die Mitwirkung an Theaterstücken und deren Reihenfolge, sowie dessen Aufschwung zum Preußischen Staatsrat als auch zum Generaldirektor der Preußischen Staatstheater.
Insbesondere der Titel des Buchs zieht eine Parallele zu Gründgens bekanntester Rolle, die er während seiner Tätigkeit am Preußischen Staatstheater in Berlin verkörperte – Mephistopheles in Goethes Faust.
N kündigte im August 1963 an, den Mephisto-Roman zu veröffentlichen. Nach dem Tod von Gustaf Gründgens im Oktober 1963 erhob sein Adoptivsohn und Alleinerbe P Klage gegen N.
II. Entscheidung der Vorinstanzen
Zwar sei der Roman keine Biographie Gründgens und auch keine historische Studie des deutschen Theaterlebens der Zwanziger und Dreißiger, allerdings müsse das theaterkundige Publikum aufgrund der Übereinstimmungen mit dem Äußeren als auch des Lebenslaufs von Höfgen und Gründgens annehmen, dass die unbekannten persönlichen Gegebenheiten, Handlungen und Motive zutreffend sein (BGHZ 50, 133; BGH, 20.03.1968 – I ZR 44/66).
Demnach gelangt das OLG Hamburg (OLG Hamburg, 10.03.1966 – 3 U 372/65) als auch der BGH (BGH, 20.03.1968 – I ZR 44/66) zu der Überzeugung, dass der Roman die Ehre Gründgens sowie sein Ansehen und seine soziale Geltung verletze. Ebenso verunglimpfe er gröblich Gründgens Andenken.
Infolge der Urteile sah sich N in seiner Kunstfreiheit verletzt und legte gegen diese Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein.
III. Lösung des BVerfG
N könnte in seinem verfassungsmäßigen Recht der Kunstfreiheit verletzt sein, Art. 5 Abs. 3 GG.
1. Schutzbereich der Kunstfreiheit
Der sachliche Schutzbereich des Kunstbegriffs macht erhebliche Schwierigkeiten. Das BVerfG vertritt heute parallel drei Kunstbegriffe (materialen, formalen und offenen).
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Im Mephisto-Beschluss wurde der materiale Kunstbegriff niedergelegt. Hiervon umfasst ist „das Wesentliche der künstlerischen Betätigung, die freie schöpferische Gestaltung in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.“ (BVerfGE 30, 173 (188f)).
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist eine wertentscheidende Grundsatznorm die das Verhältnis zwischen Kunst und Staat regelt. Sie gewährt ein individuelles Freiheitsrecht. Von der Kunstfreiheitsgarantie umfasst sind die künstlerische Betätigung, die Darbietung sowie Verbreitung des Kunstwerks (BVerfGE 30, 173).
Der persönliche Schutzbereich ist weit zu fassen. Denn zur Gewährleistung der Kunstfreiheit gehört gerade die Sicherstellung derer wirtschaftlichen Voraussetzungen (BVerfGE 77, 240 (251)). Daher kann sich auch ein Buchverleger auf das Recht der Kunstfreiheit berufen (BVerfGE 30, 173, 191).
N fällt daher in den sachlichen als auch persönlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG.
2. Eingriff
Das der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegende Streitverfahren basiert auf einem Unterlassungsanspruch des P gemäß §§ 1004, 823 BGB i. V. in. Art. 1 und 2 GG. Also einem Rechtsstreit zwischen Privaten um Normen des Privatrechts. Eine Verfassungsbeschwerde fußt typischerweise auf einer Streitigkeit zwischen Bürger und Staat.
In der Lüth-Entscheidung hat das BVerfG die unmittelbare Anwendung der Grundrechte unter Privaten abgelehnt. Mithin seien die Grundrechte dazu bestimmt, die Freiheit des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen (BVerfGE 7, 198, 204).
Nichtsdestotrotz stellt das Grundgesetz mittels der Grundrechte eine objektive Werteordnung auf, die für alle Teile des Rechts gilt, also auch auf das Zivilrecht ausstrahlt. Daher müssten die bürgerlich-rechtlichen Normen im Geiste der Grundrechte ausgelegt werden (BVerfGE 7, 198, 205). Dies bezeichnet man auch als mittelbare Drittwirkung der Grundrechte.
Durch das Verbot der Veröffentlichung wurde in die Kunstfreiheit der N eingegriffen.
3. verfassungsmäßige Rechtfertigung
Der Eingriff wäre verfassungsmäßig gerechtfertigt, wenn der Eingriff durch die Schranke des Art. 5 Abs. 3 GG beschränkt ist. Die Kunstfreiheit wird nicht von Art. 5 Abs. 2 oder Art. 2 Abs. 2 HS 2 GG beschränkt (BVerfGE 30, 173, 192 f.).
Art. 5 Abs. 3 GG wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr greifen die verfassungsimmanenten Schranken. Diese sind die Grundrechte Dritter sowie andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte (BVerfGE 30, 173, 192 f).
4. Grundrechte Dritter
Die Spannung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und verfassungsrechtlich geschütztem Persönlichkeitsbereich ist entsprechend der grundgesetzlichen Wertordnung aufzulösen. Insbesondere die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen ist zu beachten (BVerfGE 30, 173).
Der soziale Wert- und Achtungsanspruch eines Individuums kann nicht der Kunstfreiheit übergeordnet werden. Ebenso wenig kann sich die Kunstfreiheit über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen.
Ob die künstlerische Darstellung des Hendrik Höfgen anhand der Persönlichkeitsdaten von Gustaf Gründgens einen schweren Eingriff in dessen schutzwürdiges Persönlichkeitsrecht darstellt, welcher der Veröffentlichung des Romans entgegensteht, kann nur unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles abgewogen werden.
Zu beachten ist, ob und inwieweit die Romanfigur gegenüber dem verstorbenen Menschen durch die künstlerische Ausformung des Stoffs sowie die Ein- und Unterordnung in den Gesamtheit des Kunstwerks derart verselbständigt sei, dass die genutzten individuellen und privaten Informationen als auch persönlich-intime Details aus dem Leben des Gustaf Gründgens als objektiviert erscheinen (BVerfGE 30, 173).
Ergibt die kunstspezifische berücksichtigende Betrachtung, dass der Künstler eine Abbildung des Menschen gezeichnet hat, so seien das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung bzw. die Reichweite und das Gewicht der Verfälschung für die Wertschätzung des Betroffenen oder dessen Andenken maßgeblich (BVerfGE 30, 173).
Die Verfassungsrichter entschieden drei zu drei. Folglich konnten sie gem. § 15 Abs. 2 S. 4 BVerfG nicht feststellen, ob das angefochtene Urteil gegen das GG verstößt. Demgemäß wies das BVerfG die VB der N zurück.