I. Die Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit (auch Meinungsäußerungsfreiheit genannt) ist in Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG geregelt. Danach hat jeder
[…] das Recht, seine Meinung in Wort, Bild und Schrift frei zu äußern und zu verbreiten […].
Sie findet ihre Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Das Bundesverfassungsgericht unterstrich die herausragende Bedeutung der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) in seinem bekannten Lüth-Urteil:
„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“ [BVerfGE 7, 198 (208)].
II. Schutzbereich der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG
1. persönlicher Schutzbereich
Nach dem Gesetzeswortlaut hat „jeder“ das Recht, seine Meinung frei zu äußern – es handelt sich folglich um ein Jedermanns-Grundrecht. Darüber hinaus können sich auch juristische Personen des Privatrechts nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die Meinungsfreiheit berufen. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist dies hingegen nicht möglich.
2. sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst grundsätzlich jede Meinung.
Nach dem Bundesverfassungsgericht liegt eine Meinung vor, wenn die Äußerung durch ein „Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“ [BVerfGE 61, 1 (8)] gekennzeichnet ist.
Auch Tatsachenbehauptungen unterstehen dem Schutzbereich, sofern sie mit einer Meinung verbunden sind. Dies ist oft allein schon deshalb der Fall, weil Tatsachenbehauptungen regelmäßig die Voraussetzung für eine Meinungsbildung sind. Nur wenn sie nicht mit einer Meinung verbunden bzw. für die Bildung von Meinungen relevant sind, sind Tatsachenbehauptungen nicht umfasst.
Auch bewusste oder erwiesenermaßen falsche Tatsachenbehauptungen werden nicht geschützt. Allerdings ist auch die negative Meinungsfreiheit im Schutzbereich enthalten, also das Recht, seine Meinung nicht zu äußern und zu verbreiten.
Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG schützt indessen das Äußern und Verbreiten der Meinung in Wort, Schrift und Bild. Diese Aufzählung ist allerdings nur beispielhaft.
Demgegenüber erachtet das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Schmähkritik als nicht vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Zu dieser führt es in seiner Entscheidung zur Bezeichnung von Franz Josef Strauß als „Zwangsdemokrat“ aus:
„Eine herabsetzende Äußerung nimmt […] erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen.“ [BVerfGE 82, 272 (284)]
III. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
In seinem Beschluss vom 28. Juli 2014 (1 BvR 482/13) bekräftigt das Bundesverfassungsgericht erneut seinen Standpunkt im Hinblick auf die Schmähkritik. Danach kommt eine Schmähkritik nicht per se bei einer überzogenen Kritik in Frage. Stattdessen müsse hinzukommen, dass der Kritisierende die angegriffene Person vor allem herabsetzen möchte und es ihm nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache ankommt.
1. Der Sachverhalt und die Verfahrensschritte
Der Beschwerdeführer hatte eine Schadensersatzklage beim Amtsgericht erhoben, der jedoch nicht stattgegeben wurde. Auch seine Berufung scheiterte. Daraufhin reichte er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin ein.
Innerhalb dieser bezeichnete er ihr Handeln als „schäbiges, rechtswidriges und eines Richters unwürdiges Verhalten“. Die Richterin müsse darüber hinaus „effizient bestraft werden“, damit sie nicht „auf die schiefe Bahn“ gerate.
Dies führte zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung nach § 185 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 20 €. Das anschließende Berufungsverfahren war für ihn von Erfolg gekrönt: Das Landgericht sprach den Beschwerdeführer frei.
Im Revisionsverfahren vor dem Oberlandesgericht wurde diese Entscheidung jedoch aufgehoben und anschließend zurück verwiesen. Daraufhin befand das Landgericht die Berufung für unbegründet. Auch mit seiner nachfolgenden Revision vor dem OLG konnte sich der Beschwerdeführer nicht behaupten
Im Anschluss legte er Verfassungsbeschwerde mit der Begründung ein, er sei in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG verletzt. Das Bundesverfassungsgericht stimmte ihm zu und entschied, dass die von ihm angegriffenen Urteile den Beschwerdeführer in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzen.
2. Die Argumente des Bundesverfassungsgerichts
Das Landgericht (dem sich das Oberlandesgericht angeschlossen hat) habe in unzutreffender Weise das Vorliegen einer Schmähkritik angenommen. Weil sie die Meinungsfreiheit verdrängt, ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Es reicht für die Annahme einer solchen nicht aus, dass eine Kritik als ausfallend oder überzogen einzuordnen ist.
Stattdessen muss hinzukommen, dass es dem Kritisierenden nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern darum geht, die betroffene Person zu diffamieren. Eine Schmähkritik ist also durch eine persönliche Kränkung gekennzeichnet, die die sachliche Thematik in den Hintergrund drängt.
Nur in solch einem Fall kann auf die Abwägung unter der Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Daraus folgt, dass die Schmähkritik wohl meist auf Privatfehden beschränkt bleibt und eher selten bei Fragen eine Rolle spielt, die die Öffentlichkeit berühren.
Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hätten die Äußerungen des Beschwerdeführers eine sachliche Grundlage gehabt. Abgesehen von der Äußerung, die Richterin würde sonst „auf die schiefe Bahn geraten“, hätte das Landgericht seine Entscheidung für die Annahme einer Schmähkritik nicht begründet.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt außerdem einen Verstoß des Landgerichts gegen die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG an, weil es die Aussage des Beschwerdeführers, dass die Richterin sonst „auf die schiefe Bahn gerate“, so interpretiert, als meine er damit, dass sie zukünftig Straftaten begehen werde.
Es handele sich jedoch um eine mehrdeutige Aussage und das Landgericht habe andere Interpretationsmöglichkeiten zuvor nicht ausgeschlossen. Stattdessen habe es sich mit weiteren Deutungsmöglichkeiten nicht auseinander gesetzt.
Darüber hinaus kritisiert das Bundesverfassungsgericht, dass das Landgericht keine hinreichende Abwägung vorgenommen habe. Stattdessen hätte es sich nur einseitig auf den Ehrschutz der Richterin bezogen und die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers außer Acht gelassen.
Zusätzlich wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer den Adressatenkreis seiner Kritik klein gehalten und er sich im „Kampf ums Recht“ befunden habe. In diesem sei grundsätzlich auch die Benutzung eindringlicher, starker Worte erlaubt.
Tipp: Lese die zugehörige Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.10.14 hier.
IV. Beispiele
Beispiele, bei denen Schmähkritik vom Bundesverfassungsgericht verneint wurde:
- „Dahergelaufene, durchgeknallte, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke” Staatsanwältin“ [BVerfG – 1 BvR 2646/15]
- „Dummschwätzer“ [BVerfG NJW 2009, 749]
- „Soldaten sind Mörder“ [BVerfGE 93, 266]
- „Zwangsdemokrat Franz J. Strauß“ [BVerfGE 82, 272]
- „Multifunktionäre mit brauner Sektenerfahrung“ [BVerfG NJW-RR 2000, 1712]
- „Obergauleiter der SA-Horden“ [BVerfG NJW 2017, 1460]
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