A. Allgemeine Informationen zur culpa in contrahendo
Bereits der Eintritt in die Vertragsverhandlungen begründet (vorvertragliche) Schutzpflichten, bei deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht eingreifen kann. Dies findet seinen Grund darin, dass sich der Geschädigte zur Erfüllung der Vertragsverhandlung in die Reichweite des anderen Teils begeben hat und hierdurch auf eine gesteigerte Sorgfalt seines Verhandlungspartners vertrauen kann. Durch die culpa in contrahendo werden die vertragsorientierten Vermögensinteressen des Vertragspartners geschützt.
Die Haftung aus c.i.c. gem. § 311 Abs. 2 BGB stellt den Geschädigten gegenüber der deliktischen Haftung wesentlich günstiger.
B. Schema
I. Schuldverhältnis i.S.v. § 311 Abs. 2 BGB
1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB
2. Vertragsanbahnung, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB
3. Ähnliche geschäftliche Kontakte, § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB
II. Pflichtverletzung, § 241 Abs. 2 BGB: vor Zustandekommen des Vertrags
III. Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB: Beweislast für Nichtvertretenmüssen liegt beim Schuldner
IV. Rechtsfolge
Schadensersatz, § 280 Abs. 1 BGB
C. Voraussetzungen der culpa in contrahendo (c.i.c.)
I. Schuldverhältnis
Bedingung für die Haftung aus c.i.c. nach § 311 Abs. 2 BGB ist zunächst das Bestehen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses in Verbindung mit der Verletzung einer aus diesem Vertragsverhältnis stehenden Pflicht, § 280 Abs. 1 BGB.
Die Frage, wann ein solches Schuldverhältnis entsteht, ist in § 311 Abs. 2 BGB normiert. Der Gesetzgeber hat dabei drei Entstehungstatbestände geschaffen, die nachstehend beschrieben werden.
1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen
§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB nennt zunächst den „klassischen“ Fall der Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Das vorvertragliche Schuldverhältnis entsteht mit dem Beginn der Vertragsverhandlungen und endet mit der Beendigung der Verhandlungen. Bei Vertragsschluss gehen die vorvertraglichen Pflichten, in dem durch den Vertrag begründeten Pflichtenprogramm auf.
2. Vertragsanbahnung
§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB versetzt die Entstehung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses auf die Vertragsanbahnung und bringt ferner den Grund der Haftung aus culpa in contrahendo zum Ausdruck; die Bedingung der Inanspruchnahme sowie die Gewährung von Vertrauen zwischen potenziellen Vertragspartnern. Der Gesetzgeber wollte damit den Fall aufgreifen, dass es dem potenziellen Kunde ohne feste Kaufabsicht möglich ist, sich in den Gefahrenbereich von seinem potenziellen Vertragspartner zu begeben um sich ein Bild von den angebotenen Erzeugnissen zu machen.
Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte „Gemüseblattfall“ des BGH (BGHZ 66, 51), in dem eine Kundin auf einem Gemüseblatt in einem Kaufhaus ausgerutscht war und dabei zu Schaden kam. Bereits bei Betreten des Kaufhauses entsteht ein rechtsgeschäftlicher Kontakt, wenn der Geschädigte es in Betracht gezogen hat, einen Kaufvertrag einzugehen. Eine konkrete Kaufabsicht muss indes nicht vorliegen. Im Gegensatz dazu, wenn der Geschädigte das Kaufhaus nur betreten hat um sich aufzuwärmen oder sich vor einem Gewitter zu schützen, fällt dies nicht unter § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
3. ähnlicher geschäftlicher Kontakt
Nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann ein vorvertragliches Schuldverhältnis ferner durch ähnliche geschäftliche Kontakte begründet werden. Somit können unter gewissen Voraussetzungen auch nicht beteiligte Dritte in den Schutzbereich einbezogen werden, wonach sie aus der Nebenpflichtverletzung Schadensersatzansprüche im eigenen Namen geltend machen können. Der oben genannte Gemüseblattfall betraf einen solchen Punkt, da nicht die Kundin selbst, sondern vielmehr ihre Tochter ausgerutscht war.
II. Pflichtverletzung
Voraussetzung des Schadensersatzanspruches ist, dass eine Verhaltenspflicht seitens des Schädigers verletzt worden sein müsste, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. Auf die c.i.c greift man lediglich dann zurück, wenn die Pflichtverletzung vor oder während des Vertragsschlusses oder auch im Rahmen eines nichtigen Vertrages stattfand.
Fallgruppen der culpa in contrahendo
Für die culpa in contrahendo haben sich unterschiedliche Fallgruppen herausgebildet. Nachfolgend werden die wichtigsten genauer betrachtet.
- Schutzpflichten gegenüber gefährdeten Rechtsgütern, § 241 Abs. 2 BGB („Gemüseblattfall“): Verletzt ein Vertragspartner eine vorvertragliche Schutzpflicht begründet dies neben deliktischen Ansprüchen einen Schadensersatzanspruch, § 280 Abs. 1 BGB. Mithin werden auch Dritte, unter Anwendung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, in dem Schutzbereich berücksichtigt. Siehe auch: BGHZ 66,51.
- Abbruch von Vertragsverhandlungen: Die Vertragsfreiheit ermöglicht jedem Vertragspartner das Recht, von dem potenziellen Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Werden während dieser Zeit Aufwendungen getätigt, so muss sich dieser Vertragsteil dieses Risiko anrechnen lassen. Wird jedoch ein als sicher anzunehmender Vertragsschluss, nach den nötigen Vertragsverhandlungen später ohne triftigen Grund beendet, können die getätigten Aufwendungen unter dem Punkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zu erstatten sein. Zu der Ausnahme bei redlichen Verhalten siehe auch: BGH NJW 1996, 1884.
- Verhinderung wirksamer Verträge: Erfolgt die Unwirksamkeit auf einem Wirksamkeitshindernis bspw. in Form mangelnder Aufklärung, unwirksamer Geschäftsbedingungen, so kann die schädigende Partei gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig sein. Siehe dazu auch: BGHZ 99, 101 ff.
- Verletzung von Aufklärungspflichten: Während der Vertragsverhandlungen unterliegen die Beteiligten der Pflicht, den anderen über diejenigen Umstände aufzuklären, die von hoher Bedeutung sind. Als Rechtsfolge kommen unterschiedliche Möglichkeiten in Betracht; es wäre bei ordnungsgemäßer Aufklärung zum Abschluss gekommen, zum Abschluss eines anderen Vertrages oder gar zu keinerlei Abschluss. Um jegliche Streitstände diesbezüglich zu verhindern, hat die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr anerkannt. In diesem Sinne ist der Schädiger beweispflichtig, dass der Schaden eben auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte. Siehe auch: BGHZ 124, 151 (159).
D. Konkurrenzen
Die c.i.c. wirft vielfältige Konkurrenzfragen auf. Bedenken Sie bei Ihrer schematischen Prüfung immer an den Grundsatz von dem Nebeneinander von Vertrags- und Deliktsansprüchen. Der Vertragsverletzungsanspruch schließt nicht deliktische Ansprüche aus, wonach bei Verletzung nicht leistungsbezogener Pflichten auch Deliktsansprüche bestehen. Zudem muss eine Abgrenzung nicht leistungsbezogener Schutz- und Aufklärungspflichten von Leistungspflichten erfolgen. Relevant ist dies insbesondere bei der Verjährung und den §§ 281, 283, 434 ff., 633 ff. BGB.
E. Schaden, Kausalität, Verschulden
Dem Anspruchsteller muss durch das pflichtwidrige Verhalten des Schuldners ein Schaden entstanden sein, § 280 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich des Verschuldens sind die §§ 276 bis 278 BGB anwendbar. Der Geschäftsherr muss gemäß § 278 BGB für alle Personen einstehen, derer er sich bedient. Das Verschulden wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, sodass es dem Schuldner letztlich freisteht, den Entlastungsbeweis zu führen, wenn er sich von der Haftung befreien will.
Tipp: Schau dir hier unser Video zu den Voraussetzungen der culpa in contrahendo (c.i.c.) gem. § 311 Abs. 2 BGB an!
F. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo
Im Falle der Haftung wegen vorvertraglicher Verletzung von Nebenpflichten hat der Geschädigte einen Anspruch auf Schadensersatz, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. Der Geschädigte ist gemäß § 249 BGB dabei so zu stellen, wie wenn das geschädigte Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Ersatz erfolgt auf der Basis des Vertrauensschadens.
Denke auch an dieser Stelle an die Möglichkeit des Ersatzes des entgangenen Gewinns (Erfüllungsinteresse).
Bei der Verteilung der Behauptungslast und der Beweislast trägt der Anspruchsteller die Beweislast der anspruchsbegründeten Tatsachen, der Anspruchsgegner nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB lediglich den Beweis, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Bei der Beweislastverteilungsanordnung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auf die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung hält ebenfalls der Anspruchssteller den Beweis inne.
Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB verjähren grundsätzlich nach § 195 BGB in drei Jahren.
Tipp: Schau dir hier unser Video zu den Rechtsfolgen der culpa in contrahendo (c.i.c.) gem. § 311 Abs. 2 BGB an!