I. Hintergrund der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen
Das BGB regelt eine Vielzahl von Dauerschuldverhältnissen wie die Leihe, Miete oder den Dienstvertrag. Diese Dauerschuldverhältnisse kennzeichnen sich dadurch, dass sie nicht durch einen einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erfüllt werden, sondern auf Dauer angelegt und auf einen fortlaufenden Leistungsaustausch gerichtet sind.
Auf solche Dauerschuldverhältnisse passen manche Regelungen des allgemeinen Schuldrechts nicht: Im Fall eines Rücktritts gem. §§ 324, 349 BGB bei einem seit drei Jahren durchgeführten Mietvertrag müsste als Folge das gesamte Schuldverhältnis nach den §§ 346 ff. BGB rückabgewickelt werden, obwohl bis zu dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung der Leistungsaustausch funktioniert hat.
Daher besteht statt des Rücktritts die Möglichkeit einer Kündigung, die das Schuldverhältnis nur für die Zukunft beendet (ex nunc), bereits erbrachte Leistungen jedoch unberührt lässt. Dadurch müssen wegen einer nachträglich eingetretenen Störung die bereits erfolgreich erbrachten Leistungen nicht rückgängig gemacht werden.
Solche Vorschriften zur außerordentlichen Kündigung finden sich für alle im Gesetz geregelten Dauerschuldverhältnisse (§§ 543, 626 BGB etc.). Sie alle haben eine solche Regelung, dass falls der Vertrag schwerwiegend verletzt wird, eine außerordentliche Kündigung fristlos möglich ist, auch wenn der Vertrag über bestimmte Zeit geschlossen wurde und normalerweise noch nicht kündbar wäre.
Es gibt jedoch auch Dauerschuldverhältnisse, die nicht Miete oder Leihe, sondern andere, neue oder gemischte Schuldverhältnisse sind, z.B. der Telekommunikationsdienstleistungs-. Franchising-, oder Bierbezugsvertrag. Für diese existieren keine speziellen gesetzlichen Kündigungsvorschriften.
Dafür existiert der § 314 BGB als Gesamtanalogie zu den Regelungen des besonderen Schuldrechts: Wenn es bei jedem gesetzlichen Dauerschuldverhältnis ein Recht zur außerordentlichen Kündigung gibt, dann ist daraus zu schließen, dass es im Sinne des Gesetzgebers ist, dass bei allen Dauerschuldverhältnissen, auch wenn sie nicht typisch im Gesetz geregelt sind, in Analogie zu diesen Vorschriften ein außerordentliches Kündigungsrecht gegeben sein soll.
Dabei sind die Normen des besonderen Schuldrechts gegenüber dem § 314 BGB leges speciales: § 314 BGB wird durch besondere Vorschriften der außerordentlichen Kündigung verdrängt. Insofern sind positiv wie negativ die speziellen Regelungen über die außerordentlichen fristlosen Kündigungen vorrangig. Es ist also nicht möglich, wenn etwa die Tatbestandsvoraussetzungen des § 543 BGB nicht erfüllt sind, auf die allgemeine Norm des § 314 BGB zurückzugreifen (negative Spezialität).
II. Schema für § 314 BGB
- Dauerschuldverhältnis „sui generis“
- Wichtiger Grund
- Erfolglose Fristsetzung/Abmahnung oder deren Entbehrlichkeit nach §§ 323 II iVm 314 II BGB
- Kündigungserklärung innerhalb einer angemessenen Frist, § 314 III BGB
Rechtsfolge: Beendigung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft
III. § 314 I BGB
Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann.
Dies ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn der wichtige Grund nicht im Risiko- und Verantwortungsbereich des Kündigenden selbst liegt – er muss also in der Person des anderen bzw. in dessen Risikobereich vorliegen und dabei durch eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall festgestellt werden. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen.
In der Klausur wird es sich hier zumeist um die Verletzung von Pflichten aus dem Vertrag gem. § 323 BGB, einschließlich der Verletzung von Schutzpflichten gem. §§ 324, 241 II BGB, handeln. Dabei ist kein Verschulden des anderen Teils erforderlich, dieses kann jedoch ggf. bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden.
Der Kündigungsgrund kann neben Vertragsverletzungen aber auch in anderen Umständen liegen, etwa dass der ursprüngliche Zweck des Vertrages aufgrund äußerer Entwicklungen nicht mehr realisierbar ist.
In der Klausur sollte man den wichtigen Grund zweistufig prüfen:
- Ist der Umstand als Kündigungsgrund generell geeignet?
- Umfassende Interessenabwägung im Einzelfall
IV. § 314 II BGB
Ist der wichtige Grund die Verletzung einer vertraglichen Pflicht, wird die Kündigung parallel zum Rücktritt nach §§ 323, 324 BGB abgewickelt: Nach § 314 II BGB ist daher die Kündigung erst nach Ablauf einer angemessenen Frist bzw. erfolgloser Abmahnung möglich. Dadurch werden dem Kündigungsgegner die drohenden Konsequenzen seiner Pflichtverletzung offenbart, zudem erhält er im gleichen Zug letztmalig die Möglichkeit, die Kündigung des Vertrages durch pflichtgemäßes Verhalten zu verhindern (Recht der zweiten Andienung).
Wie beim Rücktritt kann die Fristsetzung bzw. Abmahnung in den Fällen des § 323 II BGB gem. § 314 II 2 BGB entbehrlich sein.
V. § 314 III BGB
Gem. § 314 III BGB ist die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nur innerhalb einer angemessenen Frist seit Kenntnis vom Kündigungsgrund zulässig. Dadurch soll der Vertragsgegner in angemessener Zeit Aufschluss darüber erhalten, ob vom Kündigungsrecht Gebrauch gemacht wird. Außerdem kann nach längerem Abwarten nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wirklich unzumutbar ist.
Es gibt jedoch keine feste Frist für die Ausübung des § 314 BGB, die Angemessenheit der Frist ist damit im Einzelfall abzuwägen.
VI. Rechtsfolge
Die Kündigung wirkt für die Zukunft – für die Vergangenheit bleibt das Dauerschuldverhältnis bestehen.
VII. § 314 IV BGB
Genau wie beim Rücktritt (§ 325 BGB) kann neben der Kündigung Schadensersatz verlangt werden. Wer etwa durch eine Vertragsverletzung den Vertragspartner zur Kündigung bewegt, hat ihm gem. § 280 I 1 BGB Ersatz für den durch die vorzeitige Vertragsauflösung entstandenen Schaden zu leisten. Will der Gläubiger Schadensersatz wegen einer noch nicht oder fehlerhaft erbrachten Leistung, muss er nach § 281 BGB vorgehen.