I. Allgemeines zu § 223 StGB
§ 223 Abs. 1 StGB bestimmt:
Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird […] bestraft.
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Der Tatbestand des § 223 StGB schützt das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit. Das körperliche sowie das gesundheitliche Wohlbefinden sind hierin einbezogen, seelische Übel dagegen nicht. Es handelt sich um ein relatives Antragsdelikt, welches Auf Antrag verfolgt wird oder bei bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses.
Der Schutz des § 223 StGB beginnt mit der Geburt und endet mit dem Hirntod. Nicht erfasst sind hingegen Schädigungen, die noch im Mutterleib am Embryo eintreten. Anderes gilt, wenn beispielsweise die Mutter mit einem Erreger infiziert wird, womit bei der Geburt eine Ansteckung des Kindes erfolgt.
Außerdem ist zu § 223 StGB wichtig zu beachten:
II. Schema: Körperverletzung, § 223 StGB
Dieses Prüfungsschema verdeutlicht den Aufbau der Körperverletzung nach § 223 StGB:
- I. Tatbestandsmäßigkeit des § 223 StGB
- 1. Objektiver Tatbestand
- a) andere Person
- b) Körperliche Misshandlung oder
- c) Gesundheitsschädigung
- 2. Subjektiver Tatbestand
- II. Rechtswidrigkeit: ggf. Einwilligung (§ 228 StGB) beachten
- III. Schuld
- IV. Strafantrag, § 230 StGB
Oft ist in Klausuren neben dem Grundtatbestand gemäß § 223 StGB auch die Qualifikation der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB verwirklicht.
Tipp: schau dir daher auch unsere Artikel zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) an sowie zur schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) an.
III. Objektiver Tatbestand des § 223 StGB
1. Andere Person
Objektiv ist für § 223 StGB erforderlich, dass eine andere Person als der Täter beeinträchtigt wird. Damit ist eine Selbstverletzung nicht strafbar. Sofern der Täter aber jemand anderen zur Selbstverletzung veranlasst und dies die Qualität einer mittelbaren Täterschaft hat, kommt eine dahingehende Strafbarkeit in Betracht.
2. Körperliche Misshandlung
Daneben ist eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung erforderlich, um den Tatbestand des § 223 StGB zu erfüllen.
Definition: Als körperliche Misshandlung gilt eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden mehr als unerheblich beeinträchtigt wird.
Ein Schmerzempfinden muss dabei nicht vorhanden sein. Nach herrschender Meinung ist auch das Abschneiden von Haaren tatbestandsmäßig. Auch ein Verletzter kann noch körperlich misshandelt werden. Entscheidend ist, dass sein Zustand sich verschlechtert.
Beispiel: O wurde von einer Gruppe Schlägern verprügelt. Als A den verletzten O findet, prügelt er weiter auf ihn ein.
3. Gesundheitsschädigung
Definition: Eine Gesundheitsschädigung setzt das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands voraus.
Ein wichtiges Merkmal ist die Notwendigkeit eines Heilungsprozesses. Nach dem sogenannten somatologischen Krankheitsbegriff sind auch psychische Erkrankungen tatbestandsmäßig, sofern sie körperlich objektivierbar sind. Daneben fällt auch das Versetzen des Opfers in einen Rauschzustand unter den Begriff der Gesundheitsschädigung, auch wenn das Opfer sich zunächst besser fühlt.
Beispiel: T beobachtet O in einer Bar. Als O zur Toilette verschwindet, mischt T eine chemische Substanz in O’s Bier. Kurz darauf ist O völlig berauscht und tanzt mit T mehrere Stunden am Stück. Hier hat T bei O eine Gesundheitsschädigung bewirkt.
4. Problem: ärztlicher Heileingriff
Umstritten ist wie der Ärztliche Heileingriff zu behandeln ist:
Tipp: Für weitere Ausführungen zum Problem des ärztlichen Heileingriffs schau dir unser kostenloses Video an!
5. Problem: Anrauchen als Körperverletzung
Fraglich ist auch, ob das Anrauchen eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB darstellt. Der Sachverhalt den das AG Erfurt [Urt. v. 18.09.2013 – 910 Js 1195/13 48 Ds] zu entscheiden hatte spielte sich wie folgt ab:
In einer Disko wird R von N darauf angesprochen, dass er nicht im Innenrauch rauchen darf. R ist genervt und möchte weiter sein Bier und seine Zigarette genießen. Um N loszuwerden stellt R sich imposant vor N, nimmt einen tiefen Zug, beugt sich herunter, so dass er sich mit seinem Mund wenige Zentimeter vor Ns Gesicht befindet und atmet aus. N hatte dem R sodann ein Glas an den Kopf geworfen, nachdem dieser fortwährend mit Zigarettenrauch pustete.
Das erstaunliche Ergebnis: Das AG wertete das Verhalten von N als Notwehr!
Es führt aus, die „inhalierte Atemluft sei regelmäßig mit Zigarettenrauch und Speichelnebel vermischt. Würde eine Person direkt gegen das Gesicht angeraucht, dann stelle dies einen rechtswidrigen Angriff gegen die Ehre und gegen die körperliche Unversehrtheit dar. Das Anrauchen mittels Zigarettenrauch-Speichelgemisch gegen das Gesicht sei eine über die Bagatellschranken hinausgehende Verletzung und dazu geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen“.
Dies sah das LG Bonn [Urteil v. 09.12.2011 – 25 Ns 555 131/09 – 148/11] in einem etwas anders gelagerten aber gleichverlaufenden Fall zwei Jahre vorher genauso.
Kurz die juristische Aufarbeitung:
1. R könnte die N körperlich misshandelt haben. (Im Fall: zu prüfen in der Notwehrlage)
Definition: Eine körperliche Misshandlung ist eine üble unangemesse Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Entsprechend h.M. ist für die Erfüllung der Tatmodalität ein Schmerzempfinden nicht erforderlich. N empfindet Ekel wegen des Anspuckens.
Insoweit könnte zunächst auf das Anspucken abgestellt werden.
- Nach Ansicht des Reichsgerichts könne das Anspucken eine Körperverletzung sein, wenn es geeignet sei, Ekel zu erregen, denn dieser wirke sich störend auf das körperliche Wohlbefinden aus.
Dem sei nur zu folgen, wenn das Anspucken zu einer Gesundheitsschädigung führe, also wenn Ekel Übelkeit o.ä. aus dem Anspucken resultiere [OLG Zweibrücken, NJW 1991, 240].
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Schwelle des Sozialüblichen überschreiten muss. Beim Anspucken an sich handele es sich nur um eine unerhebliche Beeinträchtigung. - Dieser Rechtsprechung wurde durch das LG Bonn entgegengetreten.
Eine Gesundheitsbeeinträchtigung resultiere zum einen aus den karzinogenen Partikeln des Zigarettenrauchs, zum anderen aus den potentiellen Viren und Bakterien die im Speichel typischerweise vorhanden sind [LG Bonn Urteil v. 09.12.2011 – 25 Ns 555 131/09 – 148/11]. Das LG fährt fort, die inhalierte Atemluft sei regelmäßig mit Zigarettenrauch und Speichelnebel vermischt. Würde eine Person direkt gegen das Gesicht angeraucht, dann stelle dies einen rechtswidrigen Angriff gegen die Ehre und gegen die körperliche Unversehrtheit dar. Das Anrauchen mittels Zigarettenrauch-Speichelgemisch gegen das Gesicht sei eine über die Bagatellschranken hinausgehende Verletzung und dazu geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. - Das AG Erfurt bestätigt diese Rechtsprechung und legt dar, dass der Zigarettenrauch krebserregende Stoffe enthalte und der Speichel Viren und Bakterien. Zudem würden die Schleimhäute gereizt [AG Erfurt, NStZ, 2014, 160].
2. Kritik der Entscheidung
Die jüngste Rechtsprechung verdient insoweit Kritik, als dass der Begründung, die Schleimhäute würden gereizt, wohl keine ausreichende Körperverletzungsrelevanz zukommen kann. Die Körperverletzung muss das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigen. Soweit die Reizung nur in einen zeitlich eng begrenzten Zeitraum fortwirkt, kann ein Körperverletzungserfolg nicht ohne Weiteres angenommen werden. Hinzu tritt, dass das Argument der Viren- und Bakterienübertragung sich nicht von der Sachverhaltskonstellation unterscheidet, in der eine Person angehustet oder angeniest wird. Mithin ist ein solches Verhalten missbilligenswert, allerdings ist die Bagatellgrenze nicht ohne Weiteres überschritten.
3. Tatbestandsmäßig kann also lediglich das unfreiwillige Passivrauchen sein. In Betracht kommt eine Gesundheitsschädigung gem. § 223 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Definition: Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen pathologischen Zustandes.
Fraglich ist, ob das kurzzeitige Passivrauchen einen pathologischen Zustand hervorgerufen oder gesteigert hat. Zwar stehe die Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens in Rede, könne jedoch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden und sei daher umstritten [BVerfGE 121, 317 (350ff)]. So enthält Tabak über 70 Bestandteile, die im Verdacht stehen Krebs zu erregen – dies konnte aber nicht abschließend bejaht werden. Die Nichtraucherschutzgesetze zielen darauf, vor den abstrakt-generellen Gefahren des Rauchens zu schützen. Es mag daher möglicherweise etwas zu weit gehen, bei bloßem, einmaligem Anrauchen von einem Körperverletzungserfolg auszugehen. Vollständig abzulehnen ist dies jedoch auch nicht.
Beachte: Bei den HIV-Fällen liegt es so, dass bereits die Infizierung den Normalzustand tiefgreifend verändert. Bei Fällen in denen es nicht zu einer Infektion gekommen ist, sondern der Erkrankte lediglich ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, ohne den Sexualpartner hierüber zu informieren, liegt regelmäßig eine versuchte Körperverletzung.
4. Ergebnis
- Bei einem einmaligen Anrauchen ist (bisher) keine Ansteckung mit Krebs oder Herzkreislauferkrankungen feststellbar. Aber auch nicht auszuschließen. Insoweit kann bei § 223 Abs. 1 StGB in beide Richtungen argumentiert werden. Falsch ist wohl keine der Ansichten! Denn: Selbst die Gerichte streiten sich darüber.
IV. Rechtswidrigkeit
1. Einwilligung und § 228 StGB
Die Körperverletzung gemäß § 223 StGB kann durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigt sein. Eine Rechtfertigung kommt aber nicht infrage, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt, § 228 StGB. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn ein Verstoß „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ anzunehmen ist.
2. Züchtigungsrecht, § 1631 Abs. 2 BGB
Nach früher herrschender Meinung konnte auch die Ausübung eines Züchtigungsrechts durch einen Erziehungsberechtigten, mit dem ein Erziehungszweck verfolgt wurde, als Rechtfertigung im Rahmen des § 223 StGB dienen. Mittlerweile wurde jedoch § 1631 Abs. 2 BGB eingeführt. Dieser bestimmt:
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
Hieraus ergibt sich, dass eine Züchtigung bereits unzulässig ist, sobald der Tatbestand des § 223 StGB erfüllt ist. Eine Mindermeinung nimmt immer noch ein Züchtigungsrecht an. Dieser Meinung sollte in der Klausur jedoch wenn möglich nicht gefolgt werden. Ein Züchtigungsrecht des Lehrers ist jedoch heutzutage durch nahezu alle Schulgesetze ausgeschlossen.
3. Beschneidung bei männlichen Kindern, § 1631d Abs. 1 BGB
Fraglich ist außerdem, ob die Eltern aufgrund ihres Sorgerechts in die Beschneidung bei männlichen Kindern einwilligen können.
Nach dem aufsehenerregenden Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln wurde der § 1631d in das BGB eingefügt, nach dessen Abs. 1 S. 1 die Personensorge auch das Recht umfasst, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll.
Demnach können die Eltern also wirksam in die Beschneidung einwilligen. Genügt sie jedoch nicht den Voraussetzungen des § 1631d BGB, ist der Eingriff rechtswidrig.
Beachte: Die Beschneidung bei weiblichen Kindern und Frauen generell ist davon ausdrücklich nicht erfasst! Vielmehr ist dieser Tatbestand unter § 226a StGB unter Strafe gestellt!
Tipp: für weitere Ausführungen zum Grundtatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB) schau dir unser kostenloses Video an!
Quellen
- Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Aufl., München 2014
- Kindhäuser, Urs: Strafrecht Besonderer Teil I, 6. Aufl., Baden-Baden 2014
- Wessels, Johannes/Hettinger, Michael: Strafrecht Besonderer Teil I, 38. Aufl., Heidelberg [u.a.] 2014