I. Schutzbereich
1. persönlicher Schutzbereich
Bei der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG handelt es sich um ein sog. “Jedermann-Grundrecht”. Das Grundrecht ist auch auf juristische Personen des Privatrechts i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG anwendbar.
Geschützt wird zum einen die individuelle Koalitionsfreiheit (Schutz des Einzelnen), d.h. in positiver Form die Freiheit der Gründung, des Beitritts und der Betätigung und in negativer Form die Austritts- und Fernbleibensfreiheit.
Außerdem schützt Art. 9 Abs. 3 GG die kollektive Koalitionsfreiheit (Schutz des Verbandes). Dazu gehört der Schutz der Koalition als solcher sowie die Berechtigung zum Zusammenschluss mit anderen Koalitionen. Vor allem aber beinhaltet die kollektive Koalitionsfreiheit auch das Recht, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigungen die Zwecke der Koalition zu verfolgen. Dazu gehören insbesondere Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks oder die Tarifautonomie.
Die Koalitionsfreiheit ist nicht nur ein staatsgerichtetes Abwehrrecht, sondern entfaltet vor allem auch unmittelbare Drittwirkung im Verhältnis von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Hierdurch bildet das Grundrecht der Koalitionsfreiheit die Grundlage des kollektiven Arbeitsrechts und ist dahingehend spezieller als die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG. Deshalb stellt eine Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund seiner Tätigkeit in der Gewerkschaft eine Verletzung der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG dar und ist demzufolge nichtig.
Daneben gilt die Koalitionsfreiheit für alle Berufe, auch für Beamte, Richter und Soldaten — wobei Beamte jedoch kein Streikrecht gem. Art. 9 Abs. 3 GG haben.
2. sachlicher Schutzbereich
Geschützt wird einerseits das Recht des Einzelnen, eine Koalition zu bilden und sich in ihr zu betätigen, aber auch andererseits das Recht, aus Koalitionen auszutreten oder einer solchen von Vornherein nicht anzugehören. Daneben gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG als kollektives Recht die Koalition als solche in ihrem Bestand.
Koalitionen sind Vereinigungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 GG zur Wahrung und Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen, die frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und überbetrieblich organisiert sind.
Definition: Auf freiwilliger Basis bedeutet, dass nicht frei gegründete Zwangszusammenschlüsse nicht dem Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen.
Definition: Die Gegnerfreiheit bestimmt, dass Koalitionen nur Arbeitgeber oder Arbeitnehmer als Mitglieder haben dürfen.
Definition: Die (Gegner-)Unabhängigkeit setzt voraus, dass Koalitionen unabhängig (personell, organisatorisch, finanziell) gegenüber gegnerischen Einflüssen sind, um die Interessenvertretung ihrer Mitglieder wirksam wahrzunehmen.
Die überbetriebliche Organisation soll die Gegnerunabhängigkeit gewährleisten und stellt insofern einen Anhaltspunkt für die Unabhängigkeit der Koalition dar.
Damit der Schutzbereich eröffnet ist, muss es sich bei der Vereinigung um eine Koalition handeln. Es müssen also zum einen die allgemeinen Anforderungen an eine Vereinigung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 GG erfüllt sein (freiwilliger und dauerhafter Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Zweck). Hinzu kommt, dass auch die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kumulativ verfolgt werden müssen.
Definition: Arbeitsbedingungen sind Bedingungen die das Arbeitsverhältnis selbst betreffen — etwa Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Lohn und Urlaub.
Definition: Wirtschaftsbedingungen haben über die Arbeitsbedingungen hinaus wirtschafts- und sozialpolitischen Charakter — wie etwa Arbeitsplatzgarantien, Verringerung der Arbeitslosigkeit oder neue Technologien.
Beide Ziele müssen gemeinsam angestrebt werden. Es reicht also nicht aus, dass entweder Arbeitsbedingungen oder Wirtschaftsbedingungen gefördert werden — deshalb fallen Verbraucherverbände, Kartelle usw. nicht unter Art. 9 Abs. 3 GG.
II. Eingriff
Eingriffe in die Koalitionsfreiheit sind alle belastenden staatlichen Maßnahmen wie Verbote, Gebote, Sanktionen usw. Insbesondere kommen hier Sanktionen durch den Arbeitgeber wegen Beitreten oder Tätigwerden in einer Koalition in Betracht.
Im Rahmen der Koalitionsfreiheit ist jedoch eine Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff erforderlich: Ausgestaltung bedeutet, dass der StaaterstmaligRahmenbedingungen für eine Ausübung des Grundrechts festlegt oder modifiziert. Deshalb sind Maßnahmen, welche die Koalitionsfreiheit nur ausgestalten, wie etwa das Tarifsvertragsgesetz, grundsätzlich keine Eingriffe. Ein Eingriff liegt jedoch vor, wenn die Ausgestaltung den Kernbereich der Koalitionsfreiheit berührt oder wenn einzelne Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt werden.
Die Koalitionsfreiheit besitzt außerdem insofern eine besondere Eigenschaft, als dass Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen durch Private schützt (unmittelbare Drittwirkung). Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ist damit auch Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2, § 1004 BGB.
III. Verfassungsmäßige Rechtfertigung
Im Rahmen der Verfassungsmäßigen Rechtfertigung ist fraglich, ob die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG auch auf Art. 9 Abs. 3 GG anwendbar ist.
Eine Ansicht bejaht dies, weil die Koalitionsfreiheit nicht weitergehend geschützt sein könne als die Parteienfreiheit nach Art. 21 GG.
Die herrschende Meinung verneint den Rückgriff auf Art. 9 Abs. 2 GG: Art. 9 Abs. 2 GG stehe im Grundgesetz nach der Vereinigungsfreiheit, aber vor der Koalitionsfreiheit, was eine Schrankenübertragung verbiete (systematische Stellung). Es existiere auch eine Parallele zu Art. 5 GG, wo der Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG auch nicht auf die Wissenschafts- und Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG übertragen werde. Das BVerfG hat daher bisher auch nicht auf Art. 9 Abs. 2 GG zurückgegriffen.
Dieser Streit ist regelmäßig eher unbedeutend und nicht entscheidungserheblich, da eine Vereinigung, die gem. Art. 9 Abs. 2 GG verboten ist, fast nie unter den Begriff der Koalition fallen wird und der Schutzbereich somit bereits nicht eröffnet wäre.
Folgt man der herrschenden Meinung bleibt lediglich kollidierendes Verfassungsrecht als verfassungsmäßige Rechtfertigung. In Betracht kommen dann Grundrechte Dritter, etwa Art. 9 Abs. 3 GG der Gegenseite oder Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Verbot von Arbeitskampf in lebensnotwendigen Betrieben wie Krankenhäusern). Andere wichtige Güter von Verfassungsrang sind z.B. das Beamtentum gem. Art. 33 Abs. 5 GG, wodurch das Streikverbot von Beamten gerechtfertigt werden kann oder das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, wodurch die kollektive Koalitionsfreiheit unanwendbar ist.
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