I. Allgemeines zum Erlaubnistatbestandsirrtum
Bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum irrt der Täter über Tatsachen. Nämlich das Vorliegen aller Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes in der konkreten Tatsituation.
Er geht somit fälschlicherweise davon aus, dass sein Handeln gerechtfertigt ist, was aber auch der Fall wäre, wenn die vorgestellten Umstände tatsächlich vorlägen und somit alle erforderlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes tatsächlich vorlägen.
Definition: Der Täter unterliegt einem Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn er sich über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes irrt.
Rechtswidrig handelt auch derjenige, der irrig annimmt, sich in einer Notwehrsituation zu befinden und gerechtfertigt zu handeln (Putativnotwehr).
In der Klausur muss also zunächst angesprochen werden ob einer der klassischen Rechtfertigungsgründe greift. Dies kann in der Regel kurz gehalten werden, denn meistens fehlt es bereits an dem objektiven Vorliegen einer Notwehrlage. Als Zwischenergebnis kann sodann festgehalten werden, dass kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Als Nächstes ist zu prüfen, ob der Täter in seiner hypothetischen vorgestellten Situation gerechtfertigt gewesen ist. Erst wenn dies der Fall ist, wird auf die Theorien des Erlaubnistatbestandsirrtums eingegangen.
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II. Theorien des Erlaubnistatbestandsirrtum
Der Erlaubnistatbestandsirrtum ist aufgrund seiner Struktur eine Art Zwitter zwischen Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum. Mit dem Tatbestandsirrtum verbindet ihn der Irrtum über die tatsächlichen Umstände. Mit dem Verbotsirrtum verbindet ihn die Fehlvorstellung über die Rechtswidrigkeit.
Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung des Erlaubnistatbestandsirrtums ist umstritten, ob auf ihn § 17 StGB oder § 16 StGB angewandt wird. Fraglich ist daher, welche der beiden gesetzlichen Wertungen am ehesten der Problematik des Erlaubnistatbestandsirrtums gerecht wird.
Es gibt fünf verschiedene Theorien zum Erlaubnistatbestandsirrtum, wobei für die Klausur insbesondere die strenge Schuldtheorie sowie die beiden eingeschränkten Schuldtheorien wichtig sind.
1. Vorsatztheorie
Nach der Vorsatztheorie gehört das Unrechtsbewusstsein zum Vorsatz. Nimmt der Täter also irrtümlicherweise das Vorliegen der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes an, erliegt er einem Tatbestandsirrtum. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB wird direkt angewandt.
Die Vorsatztheorie ist durch die Einführung des § 17 StGB jedoch obsolet geworden und ist somit nicht mehr vertretbar.
2. Strenge Schuldtheorie
Die Strenge Schuldtheorie erachtet das Unrechtsbewusstsein als einen selbstständigen Bestandteil der Schuld. Der Erlaubnistatbestandsirrtum wird also, so wie jeder andere Irrtum über die Rechtswidrigkeit einer Tat, als Verbotsirrtum bewertet. § 17 S. 1 StGB wird direkt angewandt. Es kommt demnach auf die Vermeidbarkeit des Irrtums an.
Die Kritik dieser Ansicht ist, dass Ergebnisse mit dem Gerechtigkeitsgefühl oft nur schwer vereinbar sind.
3. Eingeschränkten Schuldtheorien
Die eingeschränkten Schuldtheorien schränken die Schuldtheorie ein. Der Erlaubnistatbestandsirrtum wird aus dem Anwendungsbereich des § 17 StGB herausgenommen und stattdessen in seinen Rechtsfolgen dem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB gleichgestellt. § 16 StGB wird direkt bzw. analog angewandt.
Die eingeschränkten Schuldtheorien kommen alle zum gleichen Ergebnis, leiten es aber mit unterschiedlichen Begründungsansätzen her.
a) Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
Die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes werden als negative Tatbestandsmerkmale eines Gesamtunrechtstatbestandes gesehen. Damit dem Täter der Vorsatz unterstellt werden kann, muss sich dieser auch auf das Fehlen dieser negativen Tatbestandsmerkmale beziehen. § 16 Abs. 1 StGB wird direkt angewandt. Der Vorsatz des Täters entfällt.
Gegen diese Ansicht lässt sich anführen, dass sie den Unterschieden zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit nicht gerecht wird.
b) Vorsatzunrechtverneinende eingeschränkte Schuldtheorie
Das Unrecht vorsätzlichen Handelns (Vorsatzunrecht) wird als nicht verwirklicht angesehen. § 16 Abs. 1 StGB wird analog angewandt. Der Vorsatz des Täters entfällt.
Da keine rechtswidrige Tat vorliegt, kommt ein etwaiger Teilnehmer nach §§ 26, 27 Abs. 1 StGB straflos davon. Daher ist diese Ansicht ebenfalls abzulehnen.
c) Rechtsfolgenverweisende/vorsatzschuldverneinende eingschränkte Schuldtheorie
Die Vorsatzschuld des Täters entfällt, nicht jedoch der Tatbestandsvorsatz. Allerdings werden die Rechtsfolgen eines Tatbestandsirrtums entsprechend angewandt. § 16 Abs. 1 StGB wird analog angewandt. Der Vorsatz bleibt grundsätzlich bestehen. Lediglich die Rechtsfolge des § 16 Abs. 1 StGB wird angewendet, also Bestrafung nur aus einem Fahrlässigkeitsdelikt.
Diese Ansicht ist vorzugswürdig.
Tipp: Ausführlich darzustellen ist der Meinungsstreit um die Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums insbesondere dann, wenn der Irrtum des Täters vermeidbar war. Auf eine Vermeidbarkeit kommt es nur an, wenn man der strengen Schuldtheorie folgt!
III. Prüfungsort des Erlaubnistatbestandsirrtum
Der Prüfungsstandort des Erlaubnistatbestandsirrtums hängt von der Theorie ab, die man zu der Problematik des ETBI vertritt. Demzufolge erfolgt eine Prüfung:
- als eigenständiger Prüfungspunkt zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld wenn man die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen oder die vorsatzunrechtverneinende eingeschränkte Schuldtheorie vertritt
- oder in der Schuld (Unrechtsbewusstsein: strenge Schuldtheorie; Vorsatzschuld: rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie).
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