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I. Allgemeines zu Art. 4 GG
Menschen machen sich Gedanken, woher die Welt kommt und welchen Sinn das Leben haben soll. Sie bekennen sich zu einem Glauben oder zu einer Weltanschauung und empfinden sich dieser verwandt. Jeder Mensch darf seine Religion selbst wählen und das glauben, wovon er überzeugt ist. Man muss aber mit keiner Religion verbunden sein. Dies ist unteranderem in Art. 4 GG normiert. Dieser lautet:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
In Art. 4 GG sind somit unterschiedliche Kernpunkte verankern.
- Artikel 4 I, II GG: Glaubens- und Bekenntnisfreiheit
- Artikel 4 II GG: Gewissensfreiheit
- Artikel 4 III GG: Recht der Kriegsdienstverweigerung
II. Schema: Art. 4 GG
Prüfungsschema: Art 4 GG
- I. Schutzbereich
- 1. Persönlicher Schutzbereich: alle Menschen, auch Kinder
- 2. Sachlicher Schutzbereich: Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnisfreiheit
- II. Eingriffe: wenn der Staat die geschützten Tätigkeiten regelt/behindert
- III. Verfassungsrechtliche Rechtfertig: nach h.M. nur verfassungsimmanente Schranken
III. Schutzbereich
1. Sachlicher Schutzbereich
Nach dem BVerfG und der h.L. handelt es sich bei Art. 4 GG um ein umfassendes Grundrecht auf Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit. Geschützt wird das Bilden und Innehaben des Glaubens (“forum internum”), sowie das Bekenntnis, die Ausübung und Verbreitung des Glaubens (“forum externum”). (BVerfGE 32, 98/106 f.; 69, 1/33f.)
Die Definition der Begriffe “Glaube” und “Weltanschauung” ist umstritten. Allgemein sollen die Begriffe die Freiheit, sich eine Überzeugung von dem Zustand des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinschichten zu verschaffen, umfassen (BVerwGE 90, 1 (4)). Eine beispielhafte Definition ist:
Definition: Glaube meint die Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt.
Definition: Gewissen meint das Bewusstsein des Menschen von der Existenz des Sittengesetzes und seiner verpflichtenden Wirkung.
Das Gewissen muss folglich nicht zwingend einen religiösen Hintergrund haben.
Definition: Bekenntnis meint Äußerungen von Glauben oder Gewissen und darauf basierender Entscheidungen.
a) Darlegungslast forum externum
Geschützt ist mit dem forum externum nach h.M. nicht nur das Recht, einen Glauben zu bilden und innezuhaben, sondern auch, nach diesem Glauben zu handeln.
Erfasst werden hierbei “spezifisch religiöse Handlungen”, wie z. B. Gottesdienste, Beten, Glockenläuten oder der Ruf des Muezzins. Darüber hinaus gewährt die Glaubensfreiheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein umfassendes “Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln”.
Hieraus ergibt sich die Frage, ob bei forum-externum-Handlungen überhaupt noch die Religions- und Glaubensausübung zum Tragen kommt, oder ob es sich vorliegend um Gewissenbetätigung handelt.
Der Betroffene ist verpflichtet sein Handeln als glaubensgeleitet plausibel darzulegen.
Tipp: Lies zum tieferen Verständnis die Entscheidung des BVerwG in NJW 2001, 1365 nach!
b) Kollektive Glaubensfreiheit
Kollektive Glaubensfreiheit meint die Freiheit der Vereinigung zu juristischen Personen religiöser Prägung als auch deren Bestand und Betätigung.
Hieran ist lediglich strittig, ob es hierfür eines Rückgriffs auf Art. 19 III GG bedarf oder ob sich dieser Schutz des Kollektivs direkt aus Art. 4 I GG ergibt (s. hierzu persönlicher Schutzbereich).
Die kollektive Religionsfreiheit bewacht eine Religionsgemeinschaft selbst dann, wenn diese eine Körperschaft i. S. d. Art. 140 GG, Art. 137 V WRV des öffentlichen Rechts ist.
c) Negative Glaubensfreiheit
Der Schutzbereich der Glaubens- und Religionsfreiheit umfasst auch die negative Glaubensfreiheit.
Definition: Dies meint die Freiheit, keinen bestimmten Glauben oder keine bestimmte Weltanschauung zu haben.
Dies folgt insbes. daraus, dass die Anerkennung der negativen Freiheiten die Kehrseite der
Gewährung der positiven Freiheiten darstellt (BVerfGE 93, 1), sowie aus Art. 140 GG i. V. m.
Art. 136 III, IV WRV
Bekannte Beispiele, die die negative Glaubensfreiheit betreffen, sind die folgenden Fälle:
- Kruzifix-Urteil (BVerfG, NJW 1995, 2477): Kruzifix im Klassenzimmer tangiert die negative Glaubensfreiheit der Schüler.
- Kopftuch im Unterricht (BVerfG, NJW 2003, 3111.): Hier geht es um die positive Glaubensfreiheit der Lehrerin. Es muss somit ein Vergleich der Grundrechtspositionen resultieren. Im Sinne des Art. 140 GG, Art. 137 I WRV, Art. 7 GG muss nach h.M. die Religionsfreiheit der Lehrerin zurücktreten.
2. Persönlicher Schutzbereich
Art. 4 I, II GG ist ein Jedermanngrundrecht.
a) Glaubensfreiheit
Auch juristische Personen, v.a. religiöse Körperschaften des öffentlichen Rechts und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften können sich auf das Grundrecht berufen.
Auch weltanschauliche Vereinigungen, die die gemäß Art. 137 Abs. 5, Abs. 7 WRV i. V. m. Art. 140 GG öffentlich-rechtliche Körperschaften sind, können sich auf die Glaubensfreiheit berufen (z.B. die katholische oder evangelische Kirche). Wichtig ist, dass die Kirchen trotz ihres Status als juristische Personen des öffentlichen Rechts kein Teil des Staates, vgl. Art. 137 Abs. 1 WRV i. V. m.Art. 140 GG sind.
Zu beachten ist überdies, dass das Gesetz über die religiöse Kindererziehung Minderjährigen bereits mit 12 Jahren Schutz gegen “Umerziehung” und ab 14 Jahren Religionsmündigkeit zuspricht.
b) Gewissensfreiheit
Juristische Personen können sich jedoch nicht auf die Gewissensfreiheit berufen.
IV. Eingriffe
Für die Bestimmung eines Eingriffs in die Glaubensfreiheit ist der allgemeine Eingriffsbegriff anzuwenden. Dies bedeutet, dass jede staatliche Maßnahme, die die vom Grundrecht geschützten Tätigkeiten regelt oder nicht nur unwesentlich behindert, einen Eingriff darstellen kann.
Tipp: Zum tieferen Verständnis lies BVerfG, NJW 2002, 2621 ff.; BVerfGE 52, 223 (246).
V. Schranken
Art. 4 GG selbst enthält keinen Gesetzesvorbehalt.
Nach einer Mindermeinung ergebe sich aus Art. 14o GG i. V. m. Art. 136 I WRV ein Gesetzesvorbehalt. Die in Art. 136 WRV genannten “Pflichten” gehen der Religionsfreiheit vor, sodass diese Pflichten – die durch einfache Gesetze geregelt sind – die Religionsfreiheit beschränken.
Hiergegen spricht, dass nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung (vgl. BVerfGE 19, 206) sich Einschränkungen der in Art. 4 GG gewährleisteten Freiheiten nur aus der Verfassung selbst ergeben dürfen. Die einfachgesetzliche Schranke muss sich also als eine Konkretisierung von einer bereits im Grundrecht angelegten Beschränkung erweisen. Art. 4 GG enthält eine solche Beschränkungsmöglichkeit aber gerade nicht.
Nach Auffassung des BVerfG unterliegt die Religionsfreiheit keinem Gesetzesvorbehalt. Ein Eingriff kann nur durch verfassungsimmanente Schranken gerechtfertigt werden. Art. 4 GG ist demnach nur durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter einschränkbar.
Jedoch wird wegen des Gesetzesvorbehalts für alle Eingriffsakte auch dann eine gesetzliche Grundlage benötigt.
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Quellen
- Hufen, Friedhelm; Staatsrecht II, Grundrechte; 5. Auflage, 2016.
- Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke; GG, Grundgesetz Kommentar; 13. Auflage, 2014.
- Fall, Jura 1995, 150.