Schema des Art. 13 GG
Folgendes Prüfungsschema gilt für die Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG:
I. Schutzbereich
1. Sachlicher Schutzbereich
2. Persönlicher Schutzbereich
II. Eingriff
1. Durchsuchung, Art. 13 Abs. 2 GG
2. Einsatz technischer Mittel zur Strafverfolgung, Art. 13 Abs. 3 GG
3. Einsatz technischer Mittel zur Gefahrenabwehr, Art. 13 Abs. 4 GG
4. Sonstige Eingriffe, Art. 13 Abs. 7 GG
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Bestimmung der Schranke
2. Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage
a) Formelle Verfassungsmäßigkeit
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
aa) Schrankenspezifische Anforderungen
bb) Verhältnismäßigkeit
cc) Ggf. sonstige Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit
3. Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes
I. Schutzbereich
Der Schutzbereich von Art. 13 GG teilt sich in den sachlichen und den persönlichen Schutzbereich auf.
1. Sachlicher Schutzbereich
a) Wohnung, Art. 13 Abs. 1 GG
Das Grundrecht aus Art. 13 GG garantiert die Immunität der Wohnung. Das Ziel der Norm ist, dem Einzelnen einen elementaren Lebensraum zu sichern, in dem man in Ruhe gelassen wird, ihm also eine Art Rückzugsraum zu bewilligen [BVerfGE 109, 279/309].
Daher ist Art. 13 Abs. 1 GG hauptsächlicher Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG.
Definition: Jeder Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht (Stichwort: Abschottung nach außen) und zum Ort seines privaten Lebens und Wirkens bestimmt.
Davon werden erfasst: Keller, Hotelzimmer, Wohnmobil; nicht erfasst: Auto, Gefängniszelle.
b) Betriebs- und Geschäftsräume
Hinsichtlich der Betriebs- und Geschäftsräume ist umstritten, inwieweit sie vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst sind.
- Nach einer Ansicht sollen sie nur vom Schutzbereicht umfasst sein, soweit die Räume für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
- Die heute herrschende Meinung vertritt, dass der Schutzbereich generell eröffnet ist, da auch Wirken und berufliche Entfaltung geschützt werden soll. Zudem lassen sich Wohnen und Arbeiten nicht immer trennen, beispielhaft hierfür ist das aktuell stark verbreitete Home Office. Allerdings soll es eine Abschwächung des grundrechtlichen Schutzes je nach Grad der Offenheit der jeweiligen Betriebs- und Geschäftsräume nach außen geben.
Davon ausgehend verstoßen Rechte zum Betreten von Betriebsräumen jedenfalls dann nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, dieses einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist und zudem das Gesetz den Bestimmtheitsgrundsatz wahrt und auf Zeiten beschränkt ist, in denen die Räumlichkeiten üblicherweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen
2. Persönlicher Schutzbereich
Es handelt sich um ein Jedermanns-Grundrecht und ist wesensmäßig anwendbar auf juristische Personen, Art. 19 Abs. 3 GG.
Träger des Grundrechts ist, wer direkter Besitzer der geschützten Räume ist. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an. Bedingung für den Grundrechtsschutz ist der Rechtszustand des Besitzes.
II. Eingriff
Definition: Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung liegen in jedem körperlichen und nichtkörperlichen Eindringen in den geschützten Bereich durch die öffentliche Gewalt.
Die folgende Darstellung gibt eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Eingriffen in Art. 13 GG:
Definition: Durchsuchen ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatliche Organe, um planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber nicht von sich aus offenlegen will.
Definition: Unter sonstige Eingriffe i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG fällt jedes körperliche Eindringen in die geschützten Räumlichkeiten oder Maßnahmen, die dem gleichkommen.
Exkurs: Abgrenzungsproblematiken zu anderen Grundrechten
Gem. BVerfGE 42, 212 (219) ist eine Abgrenzung zu Art. 10 GG vorzunehmen. Art. 10 GG ist sachgemäß, wenn kraft technischer Mittel auf die Leitungen zugegriffen wird, wohingegen Art. 13 GG greift, wenn das Telefongespräch im Rahmen einer Wohnraumüberwachung bspw. über die Lautsprechanlage des Telefons abgehört wird.
Zudem können weitere Abgrenzungsprobleme gegenüber Art. 14 GG auftreten. Art. 14 GG gilt dabei für echte Eingriffe in die Substanz, während Zwangsbelegungen auch die „räumliche Privatsphäre“ betreffen dürfen.
III. Schranken
Die Absätze 2 bis 7 des Art. 13 GG weisen zahlreiche Einschränkungsmöglichkeiten auf:
- Art. 13 Abs. 2 GG, „zielgerichtetes Suchen“ i.V.m. gesetzlicher Grundlage: Eine Einhaltung des Zitiergebots und des Bestimmtheitserfordernisses wird gefordert. Polizeirechtliche Generalklauseln genügen nicht. Die Durchsuchung muss grds. durch einen Richter, außer wenn Gefahr im Verzug ist, festgelegt werden.
Merke: Richterliche Durchsuchungsbeschlüsse verlieren spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ihre rechtfertigende Kraft.
- Art. 13 Abs. 3-5 GG, „großer Lauschangriff“: Da ein Eingriff in Art. 1 GG nicht statthaft werden kann, muss Art. 13 Abs. 3 GG verfassungskonform so ausgelegt werden, dass ein Abhören der Intimsphäre von ihm nicht belegt ist.
- Art. 13 Abs. 7 GG, für andere Fälle als die Durchsuchungen: Für die Klausur genügt es, die Anordnung mit dem aus dem Sicherheits- und Ordungsrecht bekannten Gefahrenbegriffs zu subsumieren.
- Ungeschriebene Grenzen: Das Grundrecht aus Art. 13 GG kann i.S.d. Zivilschutzes eingeschränkt werden, Art. 17a Abs. 2 GG.
Fallbeispiel
Infolge einer Beschwerde eines Kunden beabsichtigt die Gewerbeaufsicht der Stadt H die Betriebsräume des Gastwirtes I auf Einhaltung hygienischer Anordnungen zu prüfen. Darauf erscheint während der Mittagszeit ein Beauftragter der Stadt und mustert die Küche des I.
Ist die Besichtigung mit Art. 13 Abs. 1 GG vereinbar?
Durch die Beobachtung könnte das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 Abs. 1 GG des I verletzt sein.
I. Schutzbereich
Dazu müsste der Schutzbereich eröffnet sein. Der Schutzbereich teilt sich in den sachlichen und persönlichen Schutzbereich auf.
Da es sich um ein Jedermannsgrundrecht handelt, ist I vom persönlichen Schutzbereich umfasst.
Für die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs müsste zunächst eine Wohnung bestehen. Unter Wohnung sind solche Räume zu verstehen, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen sind und zur Stätte des privaten Lebens und Wirkens bestimmt sind. Art. 13 Abs. 1 GG schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Hier wurden die Betriebsräume und die Küche der Gaststätte des I betrachtet. Es ist fraglich, ob Betriebsräume überhaupt unter den Schutzbereich des Art. 13 GG subsumiert werden können. Im Sinne der h.M. zählen jedoch auch Arbeits- Betriebs- und Geschäftsräume zur Wohnung i.S.d. Grundrechts. Die Betriebsräume und die Küche des I sind demgemäß vom Schutzbereich umfasst. Mithin ist der sachliche Schutzbereich und damit der Schutzbereich im generellen eröffnet.
II. Eingriff
Durch die Besichtigung müsste aber auch in den Schutzbereich des I eingegriffen worden sein. Grundlegend liegt ein Eingriff vor, wenn eine staatliche Stelle die Privatheit der Wohnung beeinträchtigt. Vorliegend könnte man in der Besichtigung einen Eingriff in den Schutzbereich sehen. Allerdings ist zu bedenken, dass es sich hier um Geschäfts- und Betriebsräume handelt, die durch das Grundrecht nur begrenzt gesichert werden.
Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt nicht vor, wenn eine verfassungsmäßige Verfügung zum Betreten der Räume berechtigt.
Diese ist nach § 22 Abs. 2 GastG gegeben. Indem auch dessen Voraussetzungen erfüllt sind, ist ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts nicht gegeben.
III. Ergebnis
Die Besichtigung verstößt nicht gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 Abs. 1 GG.
Tipp: Du möchtest mehr über die Unverletzlichkeit der Wohnung erfahren? Dann schau dir am besten hier unser Video zu Art. 13 GG an.