Unterscheidung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
§ 42 Abs. 1 VwGO:
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um zwei grundlegend unterschiedliche Klagearten handelt. Anfänglich kann es schwerfallen, diese voneinander zu unterscheiden, es ist jedoch eigentlich nicht schwer.
Zunächst ist bei beiden Klagearten vorweg die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges zu prüfen. Die Unterscheidung beginnt sodann in dem Begehren des Klägers und in der Klagebefugnis.
Mit einer Anfechtungsklage begehrt man die Aufhebung oder die Änderung eines Verwaltungsaktes oder eines Teil des Verwaltungsaktes.
Mit der Verpflichtungsklage hingegen begehrt man den Erlass eines Verwaltungsaktes. Dabei kann die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage oder der Untätigkeitsklage geltend gemacht werden.
Bei der Versagungsgegenklage handelt es sich um eine Klage gegen einen ablehnenden Verwaltungsakt und gleichzeitigen Begehren eines begünstigenden Verwaltungsaktes, damit ist eine Anfechtungsklage immanent und muss nicht zusätzlich geprüft werden.
Die Untätigkeitsklage hingegen ist dann einschlägig, wenn die Behörde auf ein Ersuchen mehr als drei Monate nicht reagiert.
Daraus lässt sich folgendes ableiten:
- Aufhebung eines belastenden VA ➞ Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO
- Erlass eines begünstigenden VA ➞ Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 Alt. 2 VwGO, in Gestalt der Untätigkeitsklage
- Erlass eines begünstigenden VA unter Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung (Normalfall) ➞ Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 Alt. 1 VwGO, in Gestalt der Versagungsgegenklage
Generell ist bei jeder Prüfung einer verwaltungsrechtlichen Klage weiterhin die Unterscheidung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit zu beachten.
Merke: Die Prüfung der Begründetheit stellt dabei meist einen Schwerpunkt in der Klausur dar. Um hierfür ausreichend Zeit zu haben, sollte man die Zulässigkeitsfragen in aller Regel in der gebotenen Kürze erörtern.
Die Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO
Tipp: Keine Lust zu lesen? Sieh dir die kostenlosen Videos zur Zulässigkeit der Anfechtungsklage und Begründetheit der Anfechtungsklage an!
Die Anfechtungsklage ist meist die erste verwaltungsprozessuale Klage, mit der man im Studium konfrontiert wird.
Prüfungsschema: Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO
- I. Zulässigkeit
- 1. Verwaltungsrechtsweg
- a) Aufdrängende Spezialzuweisung (v.a. § 126 Abs. 1 BBG)
- b) Generalklausel, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
- 2. Statthafte Klageart
- a) § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO
- b) Belastender Verwaltungsakt, § 35 S. 1 VwVfG
- c) nicht erledigt (falls ja, dann § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO)
- 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
- a) Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
- b) Vorverfahren, § 68 I 1 VwGO, Ausnahme: § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO
- c) Klagefrist, § 74 Abs. 1 VwGO
- d) Klagegegner, § 78 Abs. 1 VwGO
- 4. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
- a) ordnungsgemäße Klageerhebung, §§ 81 ff. VwGO
- b) sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45 ff. VwGO
- c) Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO
- d) Prozessfähigkeit, § 62 VwGO
- e) Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
- II. Begründetheit
- § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: Soweit VA rechtswidrig und Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
I. Zulässigkeit
1. Verwaltungsrechtsweg, § 40 VwGO
Bei der Prüfung einer Anfechtungsklage muss man sich zunächst fragen, ob der Verwaltungsrechtsweg überhaupt eröffnet ist (§ 40 VwGO). Nach herrschender Meinung bildet diese Frage den ersten Punkt der Zulässigkeit und keinen gesonderten Prüfungsabschnitt.
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO) kann sich zum einen daraus ergeben, dass eine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt. Ein Beispiel ist etwa § 126 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz.
Ist eine solche nicht gegeben, muss geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO erfüllt sind. Es muss also eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen, wobei auch keine abdrängende Sonderzuweisung einschlägig sein darf.
Hinsichtlich der Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, muss dann auf die unterschiedlichen Abgrenzungstheorien zurückgegriffen werden:
- Nach der Subordinations- bzw. Subjektstheorie sind Rechtssätze, die das Verhalten von Hoheitsträgern regeln, dann öffentlich-rechtlich, wenn sie ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis betreffen.
- Nach der Interessentheorie gehören Rechtssätze, dem öffentlichen Interesse dienen, dem öffentlichen Recht. Rechtssätze, die dem Individualinteresse dienen, gehören dem Privatrecht an.
- Nach der herrschenden modifizierten Subjektstheorie handelt es sich um öffentliches Recht, wenn der betreffende Rechtssatz nicht für jedermann gilt, sondern vielmehr ausschließend Sonderrecht des Staates begründet. Da Träger öffentlicher Aufgaben aber auch Adressat von privatrechtlichen Normen sein können, wird die Theorie dahingehend ergänzt, dass eine Rechtsnorm nur öffentlich rechtlich ist, wenn sie einen Hoheitsträger als solchen, d.h. gerade in seiner Eigenschaft als Subjekt hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet. Hier hilft die Kontrollfrage: Ist das Rechtsverhältnis umkehrbar?
2. Statthafte Klageart, § 88 VwGO
Anschließend ist zu prüfen, ob die Anfechtungsklage auch die statthafte Klageart ist. Über die Statthaftigkeit entscheidet nach § 88 VwGO das Begehren des Klägers. Die Anfechtungsklage ist in § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO geregelt und ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines noch nicht erledigten Verwaltungsakts begehrt.
Die Voraussetzungen, die ein Verwaltungsakt hat, sind dabei in § 35 S. 1 VwVfG geregelt und hier zu prüfen. Je nach der individuellen Fallgestaltung müssen aber nicht alle Merkmale eines Verwaltungsaktes in epischer Breite dargestellt werden.
3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
a) Klagebefugnis
Der Kläger muss außerdem nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein. Er muss also geltend machen, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die sogenannte Möglichkeitstheorie besagt dabei, dass eine Rechtsverletzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen möglich sein muss.
Bei einer Anfechtungsklage kann nach der Adressatentheorie aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist.
b) Vorverfahren
Vor der Erhebung der Anfechtungsklage muss nach den §§ 68 ff. VwGO auch ein Vorverfahren ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt worden sein, sofern nicht die Ausnahmen des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO eingreifen. Einige Bundesländer haben das Vorverfahren jedoch in vielen Fällen in ihren Ausführungsgesetzen zur VwGO ausgeschlossen. Dies ermöglicht § 68 Abs. 1 S. 2 Var. 1 VwGO. In diesem Fall ist also immer ein Blick in das jeweilige Landesrecht erforderlich!
c) Klagefrist
Darüber hinaus muss auch die Klagefrist gewahrt werden. Gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist ein Widerspruchsverfahren entbehrlich, muss die Klage nach Satz 2 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erfolgen. Nach § 58 Abs. 2 VwGO kommt auch eine Jahresfrist in Betracht, wenn eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist.
d) Klagegegner
Außerdem muss die Klage sich nach § 78 VwGO auch gegen den richtigen Klagegegner richten. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gilt dabei grundsätzlich das Rechtsträgerprinzip. Die Klage ist demnach gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft zu richten, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.
Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann sie nur an die erlassende Behörde gerichtet werden, wenn das Landesrecht dies bestimmt. Nach anderer Ansicht ist die Frage des richtigen Klagegegners jedoch erst in der Begründetheit zu erörtern (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1990, 44 (44)).
4. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
Als wichtige allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen sind außerdem die Beteiligten- und die Prozessfähigkeit nach §§ 61, 62 VwGO zu nennen, die an dieser Stelle geprüft werden müssen. Weitere Voraussetzungen, wie etwa das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, sind nur zu nennen, wenn hierfür tatsächliche Anhaltspunkte im Sachverhalt bestehen.
II. Begründetheit
§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO stellt fest, dass das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid aufhebt, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt ist.
Hier muss also geprüft werden, ob der angegriffene Verwaltungsakt formell oder materiell rechtswidrig ist. Ist dies der Fall, muss noch kurz (unter Bezugnahme auf die Klagebefugnis) angesprochen werden, in welchen Rechten der Kläger hierdurch verletzt ist.
Tipp: Da die Anfechtungsklage von sehr herausragender Bedeutung ist empfehlen wir auch den ausführlicheren Artikel zur Anfechtungsklage § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO zu lesen.
Die Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO
Tipp: Keine Lust zu lesen? Sieh dir die kostenlosen Videos zur Zulässigkeit der Verpflichtungsklage und der Begründetheit der Verpflichtungsklage an!
Bei der Verpflichtungsklage dreht sich alles um einen begehrten Verwaltungsakt.
Prüfungsschema: Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO
- I. Zulässigkeit
- 1. Verwaltungsrechtsweg
- a) Aufdrängende Spezialzuweisung
- b) Generalklausel, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
- 2. Statthafte Klageart, § 88 VwGO
- a) § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO
- b) Erlass eines Verwaltungsaktes, § 35 S. 1 VwVfG
- 3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
- a) Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
- b) Vorverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO, Ausnahme: § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO
- c) Klagefrist, § 74 Abs. 2 VwGO
- d) Klagegegner, § 78 Abs. 1 VwGO
- 4. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
- a) ordnungsgemäße Klageerhebung, §§ 81 ff. VwGO
- b) sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45 ff. VwGO
- c) Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO
- d) Prozessfähigkeit, § 62 VwGO
- e) Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
- II. Begründetheit
- § 113 Abs. 5 VwGO: Unterlassen oder Versagen des VA rechtswidrig, Kläger in seinen Rechten verletzt und Sache spruchreif.
I. Zulässigkeit
1. Verwaltungsrechtsweg, § 40 VwGO
Auch hier beginnt die Prüfung mit der Frage, ob der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) überhaupt eröffnet ist (s.o.).
2. Statthafte Klageart, § 88 VwGO
Ihre Statthaftigkeit richtet sich ebenfalls nach dem Klagebegehren. Die Verpflichtungsklage ist nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO statthaft, wenn der Erlass eines Verwaltungsaktes (§ 35 VwVfG) begehrt wird.
3. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
a) Klagebefugnis
Die Klagebefugnis setzt nach § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung (Versagungsgegenklage) oder Unterlassung des Verwaltungsakts (Untätigkeitsklage) in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Adressatentheorie kann hier jedoch nicht angewandt werden.
Stattdessen muss geprüft werden, ob der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf den beantragten Verwaltungsakt hat, da dieser Anspruch das durch die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes verletzte subjektive Recht ist.
b) Vorverfahren
Ferner ergibt sich aus § 68 Abs. 2 VwGO, dass auch bei der Verpflichtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen ist. Etwas anderes gilt gemäß § 75 VwGO bei der Untätigkeitsklage.
c) Klagefrist
Außerdem stellt § 74 Abs. 2 VwGO klar, dass für die Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage auch die Klagefrist des Absatz 1 gilt.
d) Klagegegner
Weiterhin ist hier auch die Vorschrift des § 78 VwGO zur Bestimmung des richtigen Klagegegners anwendbar.
4. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
Ebenso können die obigen Ausführungen zu den allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen übernommen werden.
II. Begründetheit
Eine Aussage über die Begründetheit der Verpflichtungsklage trifft § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
[Danach] spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, wenn die Sache spruchreif ist.
Die Ablehnung oder Unterlassung ist rechtswidrig, wenn der Kläger einen Anspruch auf den beantragten Verwaltungsakt hat. In diesem Fall ist er auch automatisch in seinen Rechten verletzt. „Spruchreife“ heißt dabei, dass das Gericht abschließend über den Erlass des Verwaltungsaktes entscheiden kann. Nur dann kann es die Behörde dazu verurteilen, den Verwaltungsakt zu erlassen.
Anders sieht es etwa bei einer notwendigen Ermessensentscheidung oder einem Beurteilungsspielraum der Behörde aus: In diesem Fall kann nur ein Bescheidungsurteil des Gerichts nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ergehen.
Tipp: Wir empfehlen den ausführlicheren Artikel zur Verpflichtungsklage § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO.
Quellen
- Schoch/Schneider/Bier/Ehlers VwGO § 40 Rn. 10.
- Schoch/Schneider/Bier/Schütz/Wahl VwGO § 42 Rn. 53.
- Krüger, JuS 2013, 598 ff.
- BeckOK VwGO/Schmidt-Kötters VwGO § 42.
- Frenz, JA 2011, 917 (920).