I. Allgemeines zu § 826 BGB
§ 826 BGB lautet:
Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Im Gegensatz zu § 823 BGB wird von § 826 BGB auch das Vermögen als solches geschützt. Dieser weite Schutz wird natürlich dadurch eingeschränkt, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gegeben sein muss. Dem Grundsatz nach bietet § 826 BGB eine Auffangfunktion für Fälle, die nicht unter § 823 BGB fallen. Dennoch liegt keine Subsidiarität vor.
II. Schema des § 826 BGB
Prüfungsschema der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, § 826 BGB:
Schema: § 826 BGB
- Sittenwidrige Schädigungshandlung
- Schaden (jedes Interesse, ob vermögensrechtlicher oder reeller Natur)
- Haftungsausfüllende Kausalität
- Vorsatz hinsichtlich der Sittenwidrigkeit und des Schaden
- Rechtfolge
III. Voraussetzungen des § 826 BGB
1. Schaden
Zunächst muss ein Schaden verursacht worden sein, wobei auch reine Vermögenseinbußen erfasst sind. Dieser Schaden muss dem Schädiger zurechenbar sein. Hierfür sind Kausalität und der richtige Schutzzweck der Norm erforderlich.
Definition: Ein Schaden ist eine unfreiwillige Einbuße an rechtlich geschützten Interessen.
2. Sittenwidrigkeit
Bei dem Merkmal der Sittenwidrigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der Ausfüllung bedarf. Nach der klassischen Formel ist sittenwidrig alles, was gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Diese Formel stößt allerdings auf heftige Kritik.
Definition: Sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Es muss ferner eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten.
Um näher festzustellen, wann eine Sittenwidrigkeit vorliegt, kann etwa auf grundrechtliche Wertungen zurückgegriffen werden. Außerrechtliche Maßstäbe (wie bestimmte Moralvorstellungen), können zwar zur Auslegung herangezogen werden, dies allerdings nur in begrenztem Maße.
Im Ergebnis muss somit für jeden Einzelfall festgestellt werden, ob eine Sittenwidrigkeit gegeben ist, wobei auch die Motive des Schädigers Relevanz erlangen. Dennoch ist aufgrund der Weite des Begriffs eine restriktive Handhabung angebracht.
Auch in § 138 BGB findet sich der Begriff der Sittenwidrigkeit. Da dort aber lediglich die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts angeordnet wird, muss nicht stets dieselbe Art Sittenwidrigkeit wie in § 826 BGB gegeben sein.
3. Vorsatz
Der Schuldner muss nicht nur sittenwidrig, sondern auch vorsätzlich handeln. Hierfür reicht bedingter Vorsatz, der etwa bei Angaben “ins Blaue hinein” gegeben ist, aber nicht grobe Fahrlässigkeit. Im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB muss sich der Vorsatz auch auf den Schaden beziehen.
Vorsatz bezüglich der Sittenwidrigkeit selbst ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn der Schuldner Vorsatz bezüglich der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände hat.
IV. Fallgruppen des § 826 BGB
Wegen der Weite des § 826 BGB haben sich einige Fallgruppen herausgebildet, welche die Anwendung des § 826 BGB nahe legen.
1. Illoyales Verhalten
Eine Fallgruppe stellt grob illoyales Verhalten gegenüber dem Vertragspartner dar. Klassischer Fall hierfür ist die arglistige Täuschung. Ebenso fallen hierunter schwere Verletzungen der gesellschaftlichen Treuepflicht, wobei diese tatsächlich schwerwiegend sein muss.
2. Verleiten zum Vertragsbruch (wohl häufigster Klausurfall)
Generell darf die Mitwirkung an fremden Vertragsverletzungen nicht als sittenwidrig angesehen werden. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen. So ist dies etwa beim Doppelverkauf der Fall, wenn der Zweitkäufer den Verkäufer zum Vertragsbruch mit dem Erstkäufer verleitet, indem er verspricht, den Verkäufer von Schadensersatzansprüchen durch den Erstkäufer freizustellen.
3. Fehlerhafte Auskunft oder Gutachten
Auch die Erteilung fehlerhafter Auskünfte, Zeugnisse oder Gutachten wird von § 826 BGB umfasst. Grundsätzlich ist hierfür die Kenntnis der Unrichtigkeit zu fordern. Hierfür genügen häufig auch Angaben “ins Blaue hinein”. Da in diesen Fällen auch oft Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen § 311 Abs. 2 Nr. 3, § 311 Abs. 3 S. 2 BGB oder Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter greift, ist die Bedeutung von § 826 BGB bei solchen Verhältnissen eher nachrangig.
4. Gläubigerbenachteiligung- und Gefährdung
Zudem kommt § 826 BGB häufig bei Fällen der Insolvenzverschleppung zum Tragen. Ebenso kann bei Bevorzugung einzelner Gläubiger im Vorfeld der Zwangsvollstreckung eine Anwendung des § 826 BGB zu bejahen sein. Auch für die Fälle der Kredittäuschung gilt § 826 BGB.
5. Formale Rechtspositionen
Sollten formale Rechtspositionen missbraucht werden, erscheint eine Anwendung des § 826 BGB naheliegend. Insbesondere gilt dies bei rechtskräftigen, materiell unrichtigen Vollstreckungstiteln. Es kann sich in diesen Fällen durch § 826 BGB ein Anspruch auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung ergeben. Hier ist allerdings eine restriktive Auslegung geboten.
6. Monopolstellungen
Bei Vorliegen einer Monopolstellung könnte eine sittenwidrige Schädigung vorliegen, wenn der Monopolist einen Vertragsschluss verweigert, obwohl der andere dringend auf die Leistung angewiesen ist. Dieser könnte durch § 826 BGB einen Anspruch auf Vertragsschluss erhalten.
Quellen
- Brox, Hans / Walker, Wolf-Dietrich: Besonderes Schuldrecht, 39. Auflage 2015.
- Looschelders, Dirk: Schuldrecht Besonderer Teil, 9. Auflage 2014.