Plötzlicher Kindstod

Der plötzliche Säuglingstod (Englisches Akronym: SIDS = sudden infant death syndrom) beschreibt den plötzlichen Tod eines ansonsten gesunden Säuglings (< 1 Jahr alt), ohne erkennbare Todesursache. Auch eine Autopsie liefert keine eindeutige Todesursache. Es handelt sich um die häufigste Todesursache bei Säuglingen im Alter von 1 bis 12 Monaten in Industrieländern. Ätiologie und Pathophysiologie des SIDS sind noch nicht abschließend geklärt. Eine Reihe von Risikofaktoren können zu einem erhöhten Risiko für ein SIDS führen. In Industrieländern ist, nach Einführen konsequenter Aufklärung und präventiver Maßnahmen das Sterberisiko gesunken. Der plötzliche Säuglingstod ist eine Ausschlussdiagnose und kann nur gestellt werden, wenn andere Todesursachen durch eine gründliche Anamnese und eine Autopsie ausgeschlossen wurden. Es gibt keine Therapie, die ein SIDS verhindern kann. Die präventive Aufklärung der Eltern ist der Schlüssel zur Verringerung des SIDS-Risikos. Zu den präventiven Maßnahmen gehören das Sicherstellen einer sicheren Schlafsituation sowie die Reduktion der Risikofaktoren.

Aktualisiert: 17.04.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Definition und Epidemiologie

Definition

Beim plötzlichen Säuglingstod (Englisches Akronym: SIDS = sudden infant death syndrome) handelt es sich um den plötzlichen, ungeklärten Tod eines Kindes im Säuglingsalter (< 1 Jahr), für den es keine erkennbare Ursache in der Anamnese, Auffindesituation oder klinischen Untersuchung gibt. Auch eine rechtsmedizinische Untersuchung (Autopsie) lässt keine adäquate Todesursache erkennen.

Epidemiologie

  • Häufigste Todesursache bei Säuglingen im Alter von 1 bis 12 Monaten in Industrieländern.
    • Häufigkeitsgipfel: 2. – 4. Lebensmonat
    • > 90% der Fälle kommen vor dem 6. Lebensmonat vor
    • > 90% der Fälle ereignen sich im Schlaf
  • Jährliche Inzidenz: 0,4 pro 1.000 Lebendgeburten
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen (60:40)
  • In Industrieländern ist ein deutlicher Rückgang des Sterberisikos bei Säuglingen zu verzeichnen durch die Aufklärung der Eltern über die Risikofaktoren und das Ergreifen von präventiven Maßnahmen.
SUID 1990-2018

Sterblichkeit aufgrund des plötzlichen Säuglingstodes und anderer Ursachen. Es ist ein Rückgang der Sterblichkeit zu verzeichnen, dank präventiver Maßnahmen.

Bild: “Trends in Sudden Unexpected Infant Death by Cause, 1990–2018” von CDC/NCHS, National Vital Statistics System, Compressed Mortality File. License: Public Domain, bearbeitet von Lecturio.

Ätiologie und Pathophysiologie

Ätiologie

Die Ursache für das SIDS ist noch nicht abschließend geklärt. Man vermutet eine multifaktorielle Genese bei besonders vulnerablen Säuglingen, bei der endogene und exogene Faktoren eine Rolle spielen. Zu den Hypothesen zählt u. a. eine potenzielle genetische Vulnerabilität.

  • Erhöhte Anfälligkeit von Säuglingen: In bestimmten Lebensphasen sind Säuglinge unfähig, eine Hypoxie/Hyperkapnie zu erkennen oder darauf zu reagieren. Zu diesen endogenen Risikofaktoren zählen:
    • Frühgeburt Frühgeburt Vorzeitige Wehentätigkeit und Frühgeburt
    • Säuglinge mit Hirnstammanomalien. Dies kann zur Beeinflussung des Atemantriebs und diversen weiteren autonomen Funktionen kommen.
    • Säuglinge nach perinataler Asphyxie
    • Frühgeborene/Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht
    • Störungen der autonomen Regulation
    • Säuglinge nach Sterbefall (Englisches Akronym: ALTE = apparent life threatening event)
    • Säugling mit Geschwistern, die durch ein SIDS verstorben sind
  • Mütterliche Risikofaktoren:
  • Umweltbedingte Risikofaktoren (viele davon sind beeinflussbare Risikofaktoren)
    • Unsichere Schlafsituation:
      • Schlafen in Bauchlage
      • Gemeinsames Schlafen mit den Eltern (Co-Sleeping)
      • Unsichere Schlafsituation (Spielzeug, Kissen, Decken usw., die zu einer Verlegung des Gesichts führen können)
      • Schlafen auf einer weichen Schlafunterlage
      • Bedecken des Kopfes des Säuglings
      • Überwärmung des Kindes während des Schlafes
    • Kindesmissbrauch
    • Familienanamnese Familienanamnese Vorsorgeuntersuchungen und Prävention im Erwachsenenalter von SIDS. Eine genetische Komponente ist nicht ausgeschlossen.

Pathophysiologie

  • Es wird davon ausgegangen, dass es sich um einen sequenziellen Prozess handelt:
    1. Ausgangszustand: Hypoxie
    2. Progressive Bradykardie Bradykardie Bradyarrhythmien
    3. Längerer Atemstillstand und anschließendes Ersticken
  • Kann durch äußere Reize beeinflusst werden, die den Säugling zum Atmen bringen.
  • Möglicherweise sind Veränderungen des Serotonin-Signalwegs im Gehirn an der Pathogenese beteiligt.
Pathophysiology of Sudden Infant Death Syndrome

Mögliche Pathophysiologie des plötzlichen Kindstods:
Bei einigen gefährdeten Säuglingen kann ein Ereignis zu Hypoxie und/oder Hyperkapnie führen. Die Unfähigkeit, dies zu erkennen oder darauf zu reagieren, führt zu fortschreitenden physiologischen Folgen und zum Tod.

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Diagnostik und Therapie

Diagnostik

Das SIDS ist eine Ausschlussdiagnose, die erst nach der Geburt gestellt werden kann:

  • Gründliche Anamnese.
  • Untersuchung des Tatorts und der Umstände des Todes. Der Auffindeort muss ausführlich dokumentiert werden.
  • Autopsie nach definierten Richtlinien. Eine definitive Todesursache kann nicht feststellt werden.
    • Immer indiziert in Fällen ohne erkennbare Todesursache (in vielen Ländern ist dies gesetzlich vorgeschrieben).
    • Die Autopsiebefunde bei SIDS können folgende Befunde enthalten:
      • Wohlgenährtes Kleinkind in gutem Zustand
      • Keine offensichtlichen Anzeichen von Erregung oder Trauma (Verletzungen, Petechien, Ekchymosen).
      • Totenflecken an der Vorderseite des Körpers, aber nicht im Gesicht (bedingt durch die Bauchlage zum Zeitpunkt des Todes)
      • Zyanotische Lippen und Nägel

Therapie

Es gibt keine Therapie, die einen plötzlichen Säuglingstod sicher verhindern kann. Das Hauptaugenmerk der Therapie liegt auf einer guten Primärprävention mit präventiven Maßnahmen gegen SIDS (Vermeidung der Risikofaktoren, Erkennen und Überwachung der Säuglinge mit potenziell erhöhtem Risiko für SIDS) und einer genauen Post-Mortem-Diagnose, sowie der emotionalen und psychologischen Unterstützung der Eltern. Eltern und Familienangehörige sollten ebenfalls mit einbezogen werden:

  • Erlaubnis, Zeit mit dem verstorbenen Säugling zu verbringen
  • Angebot einer Trauerbegleitung und engmaschige Überwachung auf Anzeichen von Depressionen

Prävention

Die Aufklärung der Eltern ist essenziell zur Prävention von einem SIDS. Wie bereits erwähnt, sind viele der Risikofaktoren beeinflussbar und können vermieden werden. Die elterliche Aufklärung umfasst:

  • Förderung einer regelmäßigen Schwangerschaftsvorsorge während der Schwangerschaft Schwangerschaft Schwangerschaft: Diagnostik, mütterliche Physiologie und Routineversorgung.
  • Ermutigung zum Verzicht auf Tabak und illegale Drogen.
  • Sichere Schlafsituationen:
    • Säuglinge sollten bis zu einem Alter von 1 Jahr in Rückenlage schlafen.
    • Schlafen auf einer festen Matratze
    • Schlafen in einem sicheren Kinderbett (keine Kuscheltiere, Decken, Kissen usw.)
    • Schlafen mit einem Schlafsack oder mit einer Decke, wo das Kind nicht mit dem Kopf drunter rutschen kann
    • Das Kind kann im elterlichen Schlafzimmer schlafen, jedoch in einem eigenen Kinderbett
    • Im 1. Lebensjahr so lange stillen wie möglich
    • Wickeln vermeiden, sobald das Kind sich umdrehen kann
    • Überwärmung des Kindes vermeiden
    • Das Einführen eines Schnullers kann sich protektiv auswirken
    • Impfen wirkt protektiv

Differentialdiagnosen

Die folgenden Erkrankungsbilder stellen natürliche Todesursachen dar, die von einem SIDS zu unterscheiden sind:

  • Atemwegsinfektionen bei Kindern (z. B. Bronchiolitis, Krupp): können die Sauerstoffaufnahme stark beeinträchtigen und eine Apnoe begünstigen, die zum Tod führt, wenn nicht eingegriffen wird.
  • Long QT-Syndrom: eine Störung der myokardialen Repolarisation, die durch ein verlängertes QT-Intervall im Elektrokardiogramm Elektrokardiogramm Normales Elektrokardiogramm (EKG) gekennzeichnet ist. Dieses Syndrom ist verbunden mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung lebensbedrohlicher Arrhythmien, insbesondere von Torsades de pointes. Die Patient*innen können zum Zeitpunkt des Todes relativ asymptomatisch sein.
  • Angeborene Fehler bei der Fettsäureoxidation: Fettsäuren Fettsäuren Fettsäuren und Lipide sind eine wichtige Energiequelle für Säuglinge, insbesondere für Neugeborene, da sie das Hirngewebe schützen, wenn der Glukosespiegel niedrig ist. Angeborene Stoffwechselstörungen können zu einer raschen Erschöpfung der Energiespeicher führen.
  • Reye-Syndrom: eine akute hepatische Störung, die bei Kindern auftritt, die während fiebriger Erkrankungen Aspirin Aspirin Nichtsteroidale Antirheumatika/Antiphlogistika zur Temperatur- und Symptomkontrolle erhalten haben.

Quellen

  1. Szentpetery, S., Weiner, D. J., & Finder, J. D. (2018). Pulmonary disorders. In B. J. Zitelli MD et al.: Zitelli and Davis’ atlas of pediatric physical diagnosis (pp. 593-615). https://www.clinicalkey.es/#!/content/3-s2.0-B9780323393034000177
  2. Ferri, F. F., M.D. (2020). Shaken baby syndrome. In Ferri, Fred F., M.D., F.A.C.P. (Ed.), Ferri’s clinical advisor 2020 (pp. 1250.e4). https://www.clinicalkey.es/#!/content/3-s2.0-B9780323672542007993
  3. Madan-Khetarpal, S., & Arnold, G. (2018). Genetic disorders and dysmorphic conditions. In B. J. Zitelli MD, S. C. McIntire MD & Nowalk, Andrew J., MD, Ph.D. (Eds.), Zitelli and Davis’ atlas of pediatric physical diagnosis (pp. 1-43). https://www.clinicalkey.es/#!/content/3-s2.0-B9780323393034000013
  4. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. (S1) Leitlinie. DGSM. “ Prävention des Plötzlichen Säuglingstods“. AWMF-Registernummer 063-002. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/063-002l_S1_Pravention-des-ploetzlichen-Saeuglingstodes_2018-07.pdf (Zugriff am 27.06.2022)
  5. Gortner Ludwig, Meyer Sascha, Bartmann Peter. Duale Reihe Pädiatrie. 5. Auflage. Thieme Verlag. 2018. doi:10.1055/b-005-145246
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