Parvovirus B19

Klassifikation

Allgemeine Merkmale

Struktur

• Familie: Parvoviridae
• Gattung: Erythroparvoviren
• Nicht behülltes (nacktes), ikosaedrisches Kapsid (aus zwei Strukturproteinen VP1 und VP2).
• Lineare einzelsträngige DNA DNA Die Desoxyribonukleinsäure – Aufbau, Struktur und verschiedene Arten der DNA.
• Sehr klein: etwa 22-24 nm Durchmesser (kleinstes bekanntes humanpathogenes DNA-Virus).

Eigenschaften des Erregers

• Entdeckt im Jahre 1974.
• Virus lässt sich in Zellkulturen nicht anzüchten.
• Ausgeprägter Tropismus für menschliche erythropoetische Vorläuferzellen.

Epidemiologie und Pathogenese

Epidemiologie

• Das Parvovirus B19 ist weltweit verbreitet.
• Die Infektion kann alle Altersgruppen betreffen, der Häufigkeitsgipfel liegt aber im Schulalter (bei Kindern zwischen 3 und 15 Jahren).
• Ausbrüche treten häufig in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen auf.
• Infektionen kommen häufiger im Spätwinter und Frühsommer vor.
• Für Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren liegt die Durchseuchung bei ca. 50 %.
• Für Erwachsene im Alter von 65 bis 70 Jahren liegt die Durchseuchung bei bis zu 80 %.
• Bei Immunkompetenten kommt es nach einer Infektion meist zu einer Immunität.
• Bei Patienten*innen mit verkürzter Überlebenszeit der Erythrozyten Erythrozyten Erythrozyten und bei Föten kann es zu lebensbedrohlichen Zuständen kommen (aplastische Anämien, intrauteriner Fruchttod).

Pathogenese

• Reservoirs:
  • Parvoviren infizieren in der Regel Tiere und Insekten.
  • Das Parvovirus B19 ist der einzige humanpathogene Parvovirus-Erreger.
• Infektionsweg:
  • Tröpfcheninfektion
  • Blut oder Blutprodukte.
  • Transplazentar von der Mutter auf das Kind.
  • Das sekundäre Infektionsrisiko für exponierte Mitglieder eines gleichen Haushaltes beträgt 50 % und für Klassenkameraden 25 %.
• Lebenszyklus: Bindung des Virus an Rezeptoren Rezeptoren Rezeptoren der Wirtszelle → Endozytose → Verlagerung des Genoms in den Zellkern des Wirtes → DNA-Replikation → RNA-Transkription → Aufbau des Kapsids und Verpackung des Genoms → Zelllyse mit Freisetzung reifer Virionen.

Pathophysiologie

• Erstinfektion mit B19:
  • Eindringen der Viren über die oberen Atemwege → Ausbreitung auf sich schnell teilende erythropoetische Vorläuferzellen im Knochenmark Knochenmark Knochenmark: Zusammensetzung und Hämatopoese, die die Blutgruppensubstanz P exprimieren (dient als viraler Rezeptor).
  • Personen, die die Blutgruppensubstanz P nicht exprimieren, sind immun.
  • Virämie 5-10 Tage nach Exposition.
• Nach dem Eindringen in die Wirtszelle dringt die virale DNA DNA Die Desoxyribonukleinsäure – Aufbau, Struktur und verschiedene Arten der DNA in den Zellkern ein → das Virus ist zytotoxisch für die Zellen und hemmt die Synthese von Erythrozyten Erythrozyten Erythrozyten→ ↓ Erythropoese Erythropoese Erythrozyten mit vorübergehend ↓ Retikulozyten und Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen.
• Hohe Virämie bei Infektion.

Krankheiten, die durch das Parvovirus B19 verursacht werden

Die Symptomatik bei Infektion ist abhängig von der hämatopoetischen und immunologischen Ausgangslage der infizierten Person.

Inkubationszeit: 7-14 (-21) Tage.

Krankheiten bei gesunden Patienten*innen

• Häufig asymptomatischer Verlauf.
• Erythema infectiosum Erythema Infectiosum Erythema Infectiosum (Ringelröteln) (Ringelröteln, 5. Krankheit): biphasischer Verlauf der Infektion, die hauptsächlich bei Kindern vorkommt.
  • Erste Phase:
    • Hinweis auf eine lytische Infektion. Hohe Virämie.
    • Unspezifische grippeähnliche Symptome (leichtes Fieber Fieber Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Diarrhö).
    • ↓ Hämoglobinspiegel
  • Exanthem-Phase:
    • Beginnt 2-3 Wochen später.
    • Gekennzeichnet durch Exanthem und Arthralgien:
      • Rote Flecken im Gesicht (Wangenerythem, Ohrfeigenexanthem, “slapped cheecks disease”) → Ausbreitung auf Arme und Beine.
      • Konfluierend, ringförmig oder girlandenförmig,
      • Makulopapulöses Exanthem.
  • Die Diagnose wird meist anhand des klinischen Bildes gestellt; ist die Diagnose unklar, kann ein IgG- und IgM-Antikörpertest mittels ELISA erforderlich sein.
  • Therapie: Selbst-limitierende Krankheit, die meist nur einer symptomatischen Therapie bedarf. Eine kausale Therapie gibt es nicht.
• Polyarthropathie-Syndrom bei Erwachsenen geht möglicherweise kein Exanthem voraus (rheumatoide Verlaufsform).
  • Akute, symmetrische Gelenkschmerzen.
  • Betrifft in der Regel Füße, Knie, Hände und Handgelenke.
  • Keine bleibenden Gelenkschäden.
  • Kinder sind nur in etwa 10 % der Fälle von Arthralgien oder arthritischen Beschwerden betroffen. Erwachsene trifft es in 60 % der Fälle.
  • Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.
  • Selbst-limitierende Krankheit; verschwindet innerhalb von 3 Wochen.
  • Therapie: symptomatische Analgetika ( NSAIDs NSAIDs Nichtsteroidale Antirheumatika/Antiphlogistika) für schmerzende Gelenke und symptomatische Therapie.

Immungeschwächte Patienten*innen

Reine Erythrozytenaplasie:

• Die Parvovirus B19-Infektion kann nicht eliminiert werden → Persistenz des Virus→ Aplasie der Erythrozyten Erythrozyten Erythrozyten und ihrer Vorläuferzellen → chronische Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen.
• Möglicherweise keine klassischen Anzeichen einer Infektion (das typische Exanthem oder die Gelenkbeschwerden fehlen).
• Relativ milde Verlaufsform.
• Kann aber auch lebensbedrohlich sein.
• Diagnostik: Eine PCR mit direktem Virusnachweis ist aufgrund von häufigen Immundefekten und fehlenden spezifischen IgM-Antikörpern erforderlich.
• Therapie:
  • Mögliche Verringerung der Immunsuppression (z. B. Verringerung der Dosierung der Chemotherapie).
  • Bluttransfusionen (nicht kontaminiert und mit möglichst hohen IgG-Titer gegen das Virus).
  • Intravenöse Immunglobulin-Behandlung (IVIG)
  • In schweren Fällen: Knochenmarktransplantation Knochenmarktransplantation Organtransplantation.

Patienten*innen mit Hämoglobinopathien Hämoglobinopathien Anämie: Überblick und Formen

Bei Patienten*innen mit Hämoglobinopathien Hämoglobinopathien Anämie: Überblick und Formen (z. B. Sichelzellkrankheit) kann es zu einer vorübergehenden aplastischen Krise kommen:

• Vorübergehende Retikulozytopenie (7-10 Tage) führt zu ↓ Hämoglobinwerten (manchmal entwickelt sich auch eine Thrombozytopenie Thrombozytopenie Thrombozytopenie und/oder Neutropenie Neutropenie Neutropenie).
• Zu den Symptomen gehören:
  • Fieber Fieber Fieber
  • Unwohlsein
  • Juckreiz
  • Schüttelfrost
  • Möglicherweise Arthralgien
  • Makulopapulöser Ausschlag
• Klinik einer Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen.
• Abklingen im Allgemeinen innerhalb von 1-2 Wochen (durch Bildung von spezifischen Antikörpern).
• Therapie: Transfusion bei Hämoglobin < 6 g/dl mit wenigen Retikulozyten.

Infektion während der Schwangerschaft Schwangerschaft Schwangerschaft: Diagnostik, mütterliche Physiologie und Routineversorgung

• Hydrops fetalis:
  • Definiert als abnorme Flüssigkeitsansammlung in fötalen serösen Höhlen.
  • Es wird angenommen, dass dies auf eine akute, durch Viren verursachte Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen zurückzuführen ist: Die Abnahme der Erythrozytenzahl und der erhöhte Bedarf an zirkulierendem Volumen führen zu einer Flüssigkeitsretention.
  • Die kurze fetale Erythrozytenüberlebenszeit begünstigt die Entstehung einer schweren Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen.
  • Therapie:
    • Intrauterine Bluttransfusionen.
    • Gabe von Immunglobulinen.
    • Postnatale Intubation/Beatmung und Therapie des Flüssigkeitshaushaltes.
• Intrauteriner Fruchttod:
  • Risiko ↑ je früher die Infektion während der Schwangerschaft Schwangerschaft Schwangerschaft: Diagnostik, mütterliche Physiologie und Routineversorgung erfolgt.
  • Das unreife fötale Immunsystem ist nicht in der Lage, Infektionen zu bekämpfen.
• Angeborene Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen:
  • Der Umsatz der fötalen Erythrozyten Erythrozyten Erythrozyten ist schneller als postnatal.
  • Macht den Fötus anfälliger für Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen.
• Eine Parvovirus-Beteiligung wird in der Regel durch IgG- und IgM-Antikörpertests mittels ELISA festgestellt.

Vergleich der häufigsten Exantheme in der Kindheit