Nadelstichverletzung

Unter den möglichen Verletzungen von medizinischem Personal in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen gehört die Nadelstichverletzung zu den häufigsten Verletzungen im beruflichen Alltag. Mit der Verletzung der Haut Haut Haut: Aufbau und Funktion durch kontaminiertes Material geht eine erhöhte Gefahr der Infektion mit übertragbaren Krankheitserregern einher. Vorrangig sind hier Infektion mit dem HI-Virus, HBV und HCV zu nennen. Um eine solche Verletzung zu vermeiden, sind präventive Maßnahmen wie das Tragen von Handschuhen oder das Mitführen von Spitzenabwürfen sehr hilfreich. Kommt es dennoch zu einer Verletzung oder einem anderen Weg der Berührung mit infektiösem Material, sollte die Blutung der Läsion gefördert und eine ausreichende Desinfektion durchgeführt werden, der Infektionsstatus der Indexperson sowie Impfstatus der verletzten Person müssen ermittelt werden, eine Blutentnahme wird durchgeführt und ggf. muss eine HIV-Postexpositionsprophylaxe oder HBV-Immuniserung erwogen werden.

Aktualisiert: 31.01.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Überblick

Epidemiologie

Nadelstichverletzungen kommen in medizinischen Versorgungseinrichtungen häufig vor.

  • Laut der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie kommt es zu durchschnittlich 1.370 Verletzungen/Tag im nicht-operativen Bereich.
  • Schätzungen nach kommt es durch Verletzungen jährlich zu 400  Hepatitis B Hepatitis B Hepatitis-B-Virus-, 75  Hepatitis C Hepatitis C Hepatitis-C-Virus– sowie 1  HIV HIV Retroviren: HIV-Infektionen.
  • Vielfältige Gefahrenquellen für die berufliche Exposition mit durch Blut übertragbaren Erregern
    • Stich- und Schnittverletzungen mit Kanülen, Lanzetten, Pens und Skalpellen
    • Kontamination der Augen
    • Läsionen der Haut Haut Haut: Aufbau und Funktion und Schleimhäute
    • Verletzungen mit einer Injektionsnadel, also Nadelstichverletzungen, gehören zu den häufigsten Verletzungen

Wichtige übertragbare Krankheitserreger

Die wichtigsten durch Blut übertragbaren Erreger sind dabei die Hepatitisviren B und C und das HI-Virus. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Menge des aufgenommenen Blutes
  • Injektionstiefe (bei Stichverletzungen)
  • Expositionsdauer
  • Infektiosität der Patient*innen (Viruslast bei HIV-Patient*innen) abhängt

Für das Infektionsrisiko nach einer Exposition gegenüber infektiösem Blut kann für eine Schätzung die sogenannte 3er-Regel genutzt werden:

Prävention

Das Risiko einer Infektion ist nicht zu unterschätzen. Daher sollten primär Maßnahmen ergriffen werden, die darauf abzielen, das Risiko einer Nadelstichverletzung möglichst gering zu halten:

  • Vor Aufnahme einer klinischen Tätigkeit gegen  Hepatitis B Hepatitis B Hepatitis-B-Virus impfen und in regelmäßigen Abständen den Titer kontrollieren lassen. Im Regelfall übernimmt dies der betriebsärztliche Dienst der Kliniken.
  • Genügend Zeit für die Vorbereitung und Durchführung von Blutentnahmen, um Verletzungen aufgrund von Zeitdruck zu vermeiden.
  • Verwendung stichsicherer Instrumente
  • Mitnahme eines Abwurfbehälters bei Blutentnahmen und Injektionen
  • Entsorgen von Kanülen direkt nach dem Gebrauch:
    • Niemals offen liegen lassen
    • Schutzkappe nicht wieder aufsetzen (Recapping)
  • Konsequentes Tragen von Handschuhen bei einem Umgang mit potenziell infektiösem Material
  • Bei invasiven und operativen Eingriffen ist das Tragen doppelter Handschuhe empfehlenswert.
  • Verwendung von Mundschutz sowie einem Spritzschutz bzw. einer Schutzbrille, wenn die Gefahr der Kontamination von Augen/Schleimhäuten gegeben ist (z. B. im OP)

Maßnahmen im Verletzungsfall

Sofortmaßnahmen

Bei Verletzungen und Kontamination mit infektiösem Material sollte rasch gehandelt werden. Die Sofortbehandlung umfasst mehrere Maßnahmen:

  • Stich-/Schnittverletzungen:
    • Wunde mindestens eine Minute bluten lassen
      • Das umliegende Gewebe zur Blutungsförderung nicht zusammendrücken
      • Das Zusammendrücken kann das Vordringen des Erregers in tiefere Gewebeschichten begünstigen.
    • Gründliche Desinfektion der Verletzung mit Antiseptikum, z. B. einem gängigen Händedesinfektionsmittel
    • Die Einstichstelle kann mit einer desinfektionsmittelgetränkten Kompresse oder auch Tupfer feucht gehalten werden.
  • Kontamination von Hautläsionen:
    • Desinfektion der kontaminierten Läsion mit einem Händesdesinfektionsmittel
    • Feuchthalten der kontaminierten Wunde durch desinfektionsmittelgetränkte Kompresse
  • Augen: gründliche Spülung mit Wasser oder NaCl 0,9 %
  • Schleimhaut: gründliches Ausspülen mit Wasser oder einem geeigneten Schleimhautantiseptikum (z. B. Octenisept)

Weitere Maßnahmen

Nach initialer Versorgung schließen sich weitere Maßnahmen zum Infektionsschutz an.

  • Beurteilung des Infektionsrisikos:
  • Blutentnahme:
    • Untersuchung des Blutes der verletzten Person:
      • Anti-HBs-Titer
      • HBV-, HCV- und HIV-Serologie
    • Das Blut der Indexperson darf nur mit entsprechender Zustimmung untersucht werden! Kontrolle von:
      • HBs-Antigen
      • HCV-Antikörper
      • HIV-Antikörper
      • Sollte der Test für Antikörper von HCV oder HIV HIV Retroviren: HIV positiv ausfallen, wird direkt eine PCR-Untersuchung für den direkten Virusnachweis und Bestimmung der Viruslast durchgeführt.
  • Weitere therapeutische Maßnahmen: ggf. Durchführung einer HBV-Immunisierung oder HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)

Achtung: Eine Nadelstichverletzung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ist ein Arbeitsunfall, der dem Betriebs- oder Durchgangsarzt (D-Arzt) gemeldet werden muss. Für Arbeits- und Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten ist die gesetzliche Unfallversicherung zuständig.

Verlaufskontrolle

Da eine Serokonversion nicht immer gleich festzustellen ist – die Antikörperbildung erfordert Zeit – sind weiterführende Laborkontrollen notwendig.

  • Indexperson HCV-positiv: Blutentnahme nach 2 Wochen für HCV-Seroloie und Transaminasen
  • Nach 6 Wochen, 3 Monaten und 6 Monaten: HBV-, HCV- und HIV-Serologie einschließlich Transaminase Transaminase Abbau von Aminosäuren

Zusammenfassung:

  1. Blutung fördern
  2. Desinfektion
  3. Beurteilung des Infektionsrisikos
  4. Blutentnahme
  5. Ggf. HBV-Immunisierung oder HIV-Postexpositionsprophylaxe
  6. Verlaufskontrollen

Hepatitis B-Immunisierung

Maßnahmen

Ob und in welchem Umfang nach statt gehabter Exposition eine Hepatitis B-Impfung erfolgen sollte, ist vom Impfstatus der verletzten Person und dem Infektionsstatus der Indexperson abhängig:

  • HBs-Antigen bei Indexperson negativ: Keine weiteren Maßnahmen erforderlich.
  • HBs-Antigen bei Indexperson positiv:
    • Impfstatus unbekannt/in der Vergangenheit keine Immunisierung/ Nonresponder/Anti-HBs-Titer < 10 IE/L → Simultanimpfung: Impfung Impfung Impfung mit dem HBV-Hyperimmunglobulin (Passivimpfstoff) und vollständige Grundimmunisierung (Aktivimpfstoff)
    • Anti-HBs-Titer < 100 IE/L, aber > 10 IE/L: Einmalige Immunisierung mit Aktivimpfstoff ist ausreichend.
    • Anti-HBs-Titer > 100 IE/L: Keine weiteren Maßnahmen erforderlich.

Immunität

Laut Aussagen des Robert-Koch-Instituts gilt für geimpfte Personen generell: Immunität besteht, wenn innerhalb des letzten Jahres ein Anti-HBs-Titer von > 100 IE/L gemessen wurde oder wenn innerhalb der letzten 5 Jahre eine erfolgreiche Immunisierung (d. h. Anti-HBs-Titer nach Impfung Impfung Impfung > 100 IE/L) stattgefunden hat.

Maßnahmen zur HIV-Prophylaxe

Kommt es zu einem Unfall mit parenteralem oder Schleimhautkontakt mit möglicherweise HIV-infiziertem Material, sollte die Durchführung einer medikamentösen HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP) erwogen werden.

  • In folgenden Fällen sollte die PEP empfohlen werden:
  • In folgenden Fällen kann die PEP angeboten werden:

Die PEP wird im Idealfall innerhalb der ersten 2 Stunden nach Exposition, spätestens jedoch binnen 24 Stunden begonnen:

  • Standardprophylaxe: Raltegravir (Handelsname: Isentress ®) 400 mg 2x/d kombiniert mit Emtricibatin + Tenofovir (Handelsname: Truvada®) 245/200 mg 1x/d
  • Die Dauer der PEP beträgt 28–30 Tage.
  • UAW: Nieren Nieren Niere und Leberschädigung → regelmäßige Laborkontrollen mit Nieren- und Leberparametern notwendig

Achtung: Für einen HIV-Test ist nach deutschem Recht grundsätzlich die Einwilligung der Patient*innen erforderlich. Eine Rechtsprechung zur Testung gegen den ausdrücklichen Willen des Indexpatient*in und zum Schutze des Verletzten nach einer Nadelstichverletzung gibt es bisher nicht.

Quellen

  1. Robert Koch Institut. (2018). RKI-Ratgeber: Hepatitis B und D. www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_HepatitisB.html (Zugriff am 27.01.2023)
  2. Robert Koch Institut. (2922). RKI-Ratgeber: HIV-Infektion/AIDS. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_HIV_AIDS.html (Zugriff am 27.01.2023)
  3. Berufsgenossenschaft für Gesundheitspflege und Wohlfahrt. (2021). Risiko Nadelstich, Blutübertragbaren Infektionen wirksam vorbeugen. https://www.bgw-online.de/resource/blob/18152/5158553ce5d2c83b02dca2f3bebd8dbc/bgw09-20-001-risiko-nadelstich-data.pdf (Zugriff am 27.01.2023)
  4. Berufsgenossenschaft für Gesundheitspflege und Wohlfahrt. (2021). Stich- oder Schnittverletzungen. https://www.bgw-online.de/resource/blob/18154/8dd21ff096a7c4862b71242b5fc963f2/bgw09-20-002-risiko-nadelstich-leitfaden-data.pdf (Zugriff am 27.01.2023)
  5. Prof. Dr. A. Plettenberg et al. (2015). Maßnahmen nach HIV- oder Hepatitis B-/C-Exposition. Institut für Interdisziplinäre Medizin. https://www.ifi-medizin.de/files/ifi_content/pdf/Broschuere%20Massnahmen%20nach%20HIV-%20Hepatitis-Exposition%20Aug.%202015.pdf (Zugriff am 27.01.2023)
  6. TU München. (n.d.). Postexpositionsprophylaxe. Institut für Virologie. https://web.med.tum.de/virologie/diagnostik/notfalldiagnostik/postexpositionsprophylaxe-pep/ (Zugriff am 27.01.2023)
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