Arteria-spinalis-anterior-Syndrom/Anterior-cord-Syndrom

Bei dem ventralen Rückenmarksyndrom (Anterior-cord-Syndrom oder auch Arteria spinalis anterior Syndrom genannt) handelt es sich um ein inkomplettes Rückenmarksyndrom mit Läsion der vorderen zwei Drittel des Rückenmarks. Das vordere Rückenmarksyndrom kann durch einen Verschluss der vorderen Spinalarterie oder durch ein Trauma verursacht werden. Durch eine Ischämie im Versorgungsgebiet kommt es zu typischen motorischen und sensiblen Ausfällen. Das klinische Erscheinungsbild umfasst den Verlust sowohl der motorischen als auch der sensorischen Funktion unterhalb der Läsion. Es kommt zu Lähmungen, Paraparesen, Schmerzen und einer dissoziierten Empfindungsstörung. Die Diagnosestellung erfolgt durch klinische Untersuchungen und neurologische Bildgebung mit MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT). Ziel der Therapie ist es, die zugrunde liegende Ursache zu beheben. Der Erhalt der motorischen Funktionen hat Priorität, aber die Prognose ist schlecht.

Aktualisiert: 17.02.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Überblick

Definition

Das ventrale Rückenmarksyndrom (auch Anterior-cord-Syndrom oder Arteria spinalis anterior Syndrom genannt) ist ein inkomplettes Rückenmarksyndrom mit Ischämie der Versorgungsgebiete der Arteria spinalis anterior (Läsion der Vorderhörner, spinothalamischen Bahnen und der Pyramidenbahn). Es kommt zu einem Verlust der motorischen und sensorischen Funktion unterhalb der Läsion mit dissoziierter Empfindungsstörung und Paraparese.

Das Anterior-cord-Syndrom ist meist traumatisch bedingt, das Spinalis-anterior-Syndrom hat eine vaskuläre Ursache. Die klinischen Ausfälle sind bei beiden vergleichbar, da jeweils die vorderen zwei Drittel des Rückenmarks betroffen sind.

Epidemiologie

  • Geschätzte Inzidenz: 3,1 pro 100.000
  • 2,7 % der traumatischen Rückenmarksverletzungen
  • Das am häufigsten betroffene Versorgungsgebiet von Rückenmarksinfarkten.

Ätiologie

  • Verschluss der A. spinalis anterior und Ischämie in dem von der A. spinalis anterior versorgten Gebiet:
    • Iatrogen (am häufigsten): Kreuzklemmen der Aorta während der Reparatur von Brust- und Bauchaortenaneurysmen
    • Schwere Hypotonie Hypotonie Hypotonie
    • Atherothrombotische Erkrankung
    • Vaskulitis
    • Kokain (selten)
  • Direkte Verletzung/Trauma:
  • Raumforderung im Spinalkanal:
    • Gutartige oder bösartige Tumoren
    • Hämatom
  • Strahlenmyelopathie

Pathophysiologie

Das ventrale Rückenmarksyndrom beginnt mit einem Verschluss der Blutversorgung oder einer Verletzung der Wirbelsäule Wirbelsäule Wirbelsäule. Das Syndrom ist selten auf Rückenmarkstumore zurückzuführen.

Verletzungsmechanismen

  • A. spinalis anterior-Verschluss:
    • Der Blutfluss durch die A. spinalis anterior wird unterbrochen → Ischämie des Rückenmarkgewebes auf Infarktebene und unterhalb.
    • Infarkt der kortikospinalen und spinothalamischen Bahnen → Anterior-cord-Syndrom
  • Wirbel-/Berstungsfrakturen:

Neurologische Folgen

  • Anatomie: Motorische Kerne des Rückenmarks sind im Vorderhorn lokalisiert → Interneurone vermitteln Informationen aus anderen absteigenden Bahnen (pyramidalen und extrapyramidalen motorischen Systemen). → Synapse Synapse Synapsen und Neurotransmission auf den Alpha- und Gamma-Motorneuronen → Verlassen des Vorderhorns über die ventrale Nervenwurzel →
  • Verletzung des Vorderhorns/des vorderen Rückenmarks → Läsion von:
    • Pyramidenbahn (Tracuts corticospinalis)→ motorische Lähmung und fehlende Reflexe
    • Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus) → beidseitiger Verlust des Schmerz- und Temperaturempfindens
    • Absteigende autonome Bahnen → Verlust der Blasenkontrolle
  • Tast-, Lage- und Vibrationsempfinden (Tiefensensibilität) sind normal (Hinterstränge intakt).
  • Bei akuter Rückenmarksverletzung Rückenmarksverletzung Rückenmarksverletzungen:
    • Sekundärverletzungen aufgrund von einem Rückenmarködem können sich in den ersten 8–12 Stunden durch eine neurologische Verschlechterung äußern.
    • Maximal 3–6 Tage nach der Verletzung.
    • Verschwindet etwa 9 Tage nach der Verletzung.
  • Allmählich ersetzt durch zentrale hämorrhagische Nekrose.

Klinik und Diagnostik

Das Verständnis der anatomischen Strukturen, die bei einem ventralen Querschnittsyndrom betroffen sind, ist essenziell zum Verständnis der Symptomatik.

Klinik

Anamnese:

  • Der Verlauf ist meist akut.
  • Personen mit akuter zervikaler spondylotischer Myelopathie und leichten oder keinen vorherigen Defiziten in der Vorgeschichte: neurologischer Notfall.
  • Einlieferung in der Notaufnahme aufgrund eines Traumas und keine Anamnese bezüglich Risikofaktoren.
  • Mögliches Auftreten von Symptomen im Krankenhaus nach Aortenoperation.

Befunde der körperlichen Untersuchung:

  • Fast immer bilateral
  • Motorische Defizite:
    • Schlaffe segmentale Lähmung (initial) bei Läsion der Vorderhörner.
    • Schlaffe Paraparese der Beine unterhalb der Läsion
  • Gestörte Sinnesempfindung:
    • Verlust des Schmerz- und Temperaturempfindens (dissoziierte Sensibilitätsstörung) unterhalb der Läsion.
    • Auf Höhe der Läsion gürtelförmige Parästhesien und Schmerzen.
  • Nicht betroffen (hintere Säulen werden ausgespart): Lagesinn, Vibrationssinn und leichte Berührung (dissoziierte Sensibilitätsstörung).
  • Autonome Dysfunktion: Harninkontinenz Harninkontinenz Harninkontinenz durch Blasenlähmung

Diagnostik

  • Bildgebung:
  • Labordiagnostik:
    • Falls indiziert, Blutbild und Blutkulturen zur Überprüfung von potenziellen Infektionen.
    • Erythrozytensedimentationsrate (BSG) und CRP zur Beurteilung einer entzündlichen Ätiologie.
    • Gerinnungstests für einen möglichen hyperkoagulierbaren Zustand.
    • Eine Lumbalpunktion im Liquor kann erforderlich sein, um eine Infektion auszuschließen.
Sagittalansicht der spinalen T2-MRT mit „bleistiftähnlichen“ ischämischen Veränderungen im Rückenmark, im Einklang mit einem Anterior-Cord-Syndrom (ACS)

Sagittale Ansicht der spinalen T2-Magnetresonanztomographie mit „stiftähnlichen“ ischämischen Veränderungen im Rückenmark, die mit einem ventralen Rückenmarksyndrom vereinbar sind.

Bild :“T2 Weighted sagittal image shows linear hyperintensity along the lower cervical and thoracic cord without cord expansion” by Nilukshana Yogendranathan, et al. Lizenz: CC BY 4.0

Therapie und Prognose

Die Therapie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die motorischen Funktionen zu erhalten.

Akute Notfallversorgung

  • Medikamente (abhängig von der Ursache des Anterior-cord-Syndroms):
    • Das Outcome verbessert sich mit hochdosierten IV-Steroiden innerhalb von 8 Stunden nach der Verletzung.
    • Infusion von Methylprednisolon Methylprednisolon Immunsuppressiva als IV-Bolus für die ersten 23 Stunden.
  • Eine Thrombolyse oder Thrombozytenaggregationshemmer Thrombozytenaggregationshemmer Thrombozytenaggregationshemmer können bei atherothrombotischen oder embolischen Ursachen in Betracht gezogen werden.
  • Immunsuppressionstherapie bei Vaskulitis und anderen Autoimmunursachen.
  • Blasenkatheterisierung bei neurogener Blase.

Chirurgische Versorgung

  • Laminektomie zur spinalen Dekompression, falls indiziert.
  • Prävention eines Anterior-cord-Syndroms bei chirurgischen Eingriffen:
    • Protokolle zur Vermeidung einer Rückenmarksischämie während einer Aortenoperation.
    • Vermeidung verlängerter Klemmzeiten und IV-Vasopressoren.

Langzeitpflege durch Rehabilitation

  • Umfangreiche Physiotherapie mit dem Ziel:
    • Erhalt von Kraft und Bewegungsfreiheit
    • Dehnen zur Linderung der Spastik
  • Ergotherapie: zum Erhalt der funktionellen Fähigkeiten durch Selbstversorgung.

Komplikationen einer Rückenmarksverletzung Rückenmarksverletzung Rückenmarksverletzungen

Prognose

  • Anterior-cord-Syndrom: schlechteste Prognose aller Rückenmarkssyndrome
  • Wiederherstellung der Funktion ist schlecht:
    • Die meisten Todesfälle treten unmittelbar nach einer Verletzung auf.
    • Nur wenige Menschen erlangen die Fähigkeit des Gehens zurück.
    • Eine Verbesserung kann in den Jahren nach der Verletzung beobachtet werden.
  • Frauen und ältere Personen: ↑ Risiko für schlechtere Prognose

Differentialdiagnosen

  • Zentrales Rückenmarksyndrom Zentrales Rückenmarksyndrom Zentrales Rückenmarksyndrom (CCS): ein neurologisches Syndrom, das durch eine Verletzung des Zentrums des Rückenmarks verursacht wird und den Spinothalamus und den kortikospinalen Trakt betrifft. Ein zentrales Rückenmarksyndrom Zentrales Rückenmarksyndrom Zentrales Rückenmarksyndrom (CCS) wird häufig durch ein Trauma bei Personen mit zervikaler Spondylose verursacht. Klinische Manifestationen sind motorische Defizite (betrifft die oberen Gliedmaßen stärker als die unteren Gliedmaßen), variable sensorische Defizite unterhalb der Verletzungsgrenze und Blasenfunktionsstörungen. Die Diagnose wird durch Untersuchung und MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT) gestellt. Die Behandlung kann je nach Schwere der Verletzung medizinisch oder chirurgisch erfolgen.
  • Rückenmarksyndrom: ein inkomplettes Rückenmarksyndrom, das durch einen Verlust der Vibration und des Lagesinns unterhalb der Verletzungsgrenze gekennzeichnet ist. Als sehr seltene Erkrankung wird der Status des hinteren Rückenmarksyndroms als eigenständige klinische Entität in der Literatur noch diskutiert und kann sich mit dem zentralen Rückenmarksyndrom überschneiden. Die Diagnose wird klinisch und mit neurologischer Bildgebung gestellt. Die Behandlung umfasst Steroide, Medikamente gegen Spastik und/oder Operationen zur Reparatur von Wirbelfrakturen.
  • Brown-Séquard-Syndrom Brown-Séquard-Syndrom Brown-Séquard-Syndrom: Hemisektion des Rückenmarks infolge von einer Verletzung. Das Brown-Séquard-Syndrom Brown-Séquard-Syndrom Brown-Séquard-Syndrom entsteht am häufigsten durch ein penetrierendes Trauma (z. B. Messer- oder Schussverletzung), aber andere Ursachen umfassen Tumore, Bandscheibenvorfälle, Demyelinisierung und Infarkte. Das klinische Erscheinungsbild umfasst Schwäche und Lähmung einer Körperseite und Sensibilitätsverlust auf der gegenüberliegenden Seite. Die Diagnose erfolgt durch eine neurologische Untersuchung und MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT). Die Therapie umfasst eine frühzeitige Behandlung mit hochdosierten Steroiden; zusätzliche Behandlung ist symptomatisch und supportiv.
  • Multiple Sklerose Multiple Sklerose Multiple Sklerose: eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die zur Demyelinisierung des ZNS führt. Die Ätiologie der Multiplen Sklerose ist ungeklärt, es wird jedoch angenommen, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen. Die Diagnose erfolgt durch MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT) und Liquoruntersuchung. Die Behandlung umfasst Kortikosteroide, für akute Exazerbationen und krankheitsmodifizierende Mittel, um Exazerbationen zu reduzieren/das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
  • Bandscheibenvorfall Bandscheibenvorfall Bandscheibenvorfall: Ausstoßen des Nucleus pulposus Nucleus pulposus Bandscheibenvorfall durch eine Perforation im Anulus fibrosus Anulus fibrosus Bandscheibenvorfall der Bandscheibe Bandscheibe Wirbelsäule. Der Bandscheibenvorfall Bandscheibenvorfall Bandscheibenvorfall wird am häufigsten durch degenerative Bandscheibenerkrankungen verursacht und ist ein wichtiges Schmerzsyndrom mit der Möglichkeit einer neurologischen Beeinträchtigung. Die Diagnose erfolgt durch klinische Untersuchung und MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT). Die Behandlung kann konservativ mit Medikamenten und Physiotherapie erfolgen. Bei hartnäckigen Schmerzen oder Myelopathie ist eine Operation angezeigt.

Quellen

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